
© Tobias Weckenbrock
Funde und Gegenmaßnahmen: Eichenprozessionsspinner-Alarm in Castrop-Rauxel
Neue Plage?
Der Eichenprozessionsspinner ist wieder da. Derzeit sind die Brennhaare wohl noch kein Problem. Aber jetzt regt sich rund um den Gänsebusch etwas: Anwohner beschweren sich, Rütgers reagiert.
Als beim Chemiewerk Rütgers im April ein Brief hereinflatterte, da hatte man in Castrop-Rauxel ganz andere Probleme: die Corona-Krise und die Beschränkungen; und bei Rütgers Germany konkret die Fertigstellung der neuen Millionen-Anlage zur Herstellung wasserklarer Harze mit fast 300 Fremdarbeitern auf dem eigenen Gelände.
In diesem Brief aus der Anwohnerschaft, der anonym verfasst ist, geht es um eine ganz andere Sorge. Eine, die 2019 Castrop-Rauxel verrückt machte: Der Eichenprozessionsspinner ist wieder da. Das machte schon vom Rapensweg in Ickern vergangene Woche die Runde. Doch auch im Gänsebusch zwischen Rauxel und Habinghorst, einem Wald, der weitgehend auf Rütgers-Gelände liegt, ist das Problem zurück.
Hier war der Befall vergangenes Jahr besonders spürbar. Auf dem Sportplatz von Victoria Habinghorst, auf dem Festivalgelände an der Waldbühne, bei der Kita Senfkorn: Überall juckte und brannte es durch die Raupe, deren feine Haare beim Menschen Probleme auslösen, wenn sie im Sommer durch die Luft fliegen.
Nester in Fetzen
Im Brief, gezeichnet am 31. März 2020, heißt es, dass „wir“, und damit sind die Anwohner gemeint, „bislang noch nicht feststellen konnten, dass sich seit letztem Jahr jemand um die Nester der Raupen gekümmert hat.“ Sie hingen in Fetzen in an den Bäumen oder lägen gar auf dem Boden herum - für Kinder leicht zugänglich.
Bewohner der Wartburgstraße hätten juckende Haut, wenn sie gegenüber auf der anderen Straßenseite die Nester nur sähen. Man kratze sich blutig, versuche kalt zu duschen, was einige Minuten, aber nicht länger Abhilfe verschaffe. Und man könne nicht schlafen, so die anonymen Autoren. Man wolle eine Unterschriftensammlung starten, heißt es im Brief an Rütgers Germany: an der Wartburgstraße, der Römerstraße, Lessingstraße, Kanalstraße, Arndtstraße und Hannemannstraße.

An einem Baum Am Rapensweg in Ickern ist erstmals 2020 ein Befall mit dem Eichenprozessionsspinner gemeldet worden. © Privat
Rütgers Germany hat der Brief offenbar nicht ganz kalt gelassen. Geschäftsführer Dr. Günther Weymans sagte Anfang Mai im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir können nicht die Bäume fällen. Wir können auch keine Giftwolken versprühen, damit wir die anderen Tiere nicht gefährden.“ Man werde eine externe Firma anheuern, die nächste Woche die „Raupen abpflückt“. Im Juni werde man das wiederholen. „Anders geht es wohl nicht“, so Weymans. Dabei beziehe er sich auf den Waldrand. „Im Wald selbst werden wir die Raupen nicht abpflücken können, aber da kommt ja auch keiner rein.“
Sport- und Tennisplätze berücksichtigt
Bei den Arbeiten werde man den Sportplatz von Victoria Habinghorst berücksichtigen. Der Verein sagte wegen der Raupenplage Anfang Juni 2019 sogar ein Fest ab. Auch das Save-the-planet-Festival auf der Waldbühne, das dieses Jahr wieder abgesagt wurde, konnte nicht stattfinden. „Und den Tennisbereich pflücken wir auch mit ab“, kündigte Günther Weymans von Rütgers an. Gleiches gelte für die Zufahrt zum Wald und den Bereich an der Kita.
Die Zugangswege würden mit Schildern gekennzeichnet. Ärgerlich: Vergangenes Jahr seien die von Rütgers angebrachten Schilder abgerissen worden.
Und was tut die Stadt Castrop-Rauxel? Es stünden Flächen im Fokus, auf denen sich besonders Kinder oder ältere Menschen aufhalten: Friedhöfe, Spielplätze, Schulhöfe. Sprich: nicht alle. Man kontrolliere insbesondere die Eichen, die bereits in den Vorjahren befallen waren. „Entwickelt wurde ein vielfältiger Maßnahmenkatalog, der in unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Raupe ansetzt“, heißt es.
Aktuell gehe von den Raupen noch keine Gefahr aus. Erst im dritten Larvenstadium entwickelten die Tierchen die Nesselhaare, die sie bei Stress abwerfen. Diese Gifthaare verursachen beim Menschen Reizungen der Atemwege und Haut. In alten Nesten und Häuten der Larven bleibe die Giftwirkung der Haare lange erhalten.
Stadt wendet pflanzliches Mittel an
Man wende ein pflanzliches Mittel an, das auch im ökologischen Landbau
eingesetzt werde. Das Eichenwäldchen hinter der Wilhelmschule, Bäume an der Fridtjof-Nansen-Realschule, am Parkbad Nord und auf dem Ickerner Friedhof sowie im Gewerbegebiet am Rapensweg und an der Hannemannstraße würden mit dem Biozid NeemProtect eingesprüht. Durch das Fressen der behandelten Blätter nehmen die Raupen das Mittel auf, hören in kürzester Zeit zu fressen und zu wachsen auf. Sie legen auch keine Eier mehr und entwickeln keine neuen Brennhaare.
Das Mittel sei für den Menschen und andere Tiere unschädlich, so Bereichsleiter Klaus Breuer von Stadtgrün. Er versichert: „Somit verwenden wir an den Örtlichkeiten, an denen wir zum Schutz der Menschen agieren müssen, das mildest mögliche Mittel.“
Eichenprozessionsspinner ein wertvoller Bestandteil der Natur
Die Absaugung durch Spezialfirmen bleibe Bestandteil des Maßnahmenkatalogs. Zudem sind in diesem Frühjahr erstmals Fallen im Einsatz, die die Raupen auffangen. Vor Monaten brachte man 100 Nistkästen an Eichen an, die Rotkehlchen, Blau- und Kohlmeisen anlocken sollen. „Sobald die Vögel nisten, brauchen sie zahlreiche Insekten, um ihren Nachwuchs zu füttern. Dafür sollen dann auch die Raupen der Eichenprozessionsspinner herhalten“, so die Stadt.
Neben der für Menschen schädlichen Wirkung durch die Nesselhaare sei der Eichenprozessionsspinner, später ein Falter, jedoch ein wertvoller Bestandteil der Natur. Befallene und kahlgefressene Bäume erholten sich in der Regel. Raupen und Falter seien Teile verschiedener Nahrungsketten. Natürliche Feinde sind Wanzen, Käfer wie zum Beispiel der Puppenräuber, Raupenfliegen und Schlupfwespen. „Daher ist eine Bekämpfung außerhalb des Lebensumfeldes von
Menschen nicht notwendig“, so die Stadt.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
