
© Volker Engel (Archiv)
Bürgermeister im Corona-Interview: Ja zu Notbremse, Nein zu Schulöffnungen
Interview
Mitten in steigende Corona-Zahlen hinein sollen nächste Woche die Kinder in die Schulen zurückkehren. Warum Castrop-Rauxels Bürgermeister Kravanja das für falsch hält, erläutert er im Interview.
Noch nie war Castrop-Rauxel so stark von Corona-Infektionen getroffen wie aktuell. Und das, obwohl schätzungsweise bereits jeder sechste Einwohner mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft ist. Gleichzeitig rückt erstmals seit Beginn der Pandemie eine Ausgangssperre für die Castrop-Rauxelerinnen und Castrop-Rauxeler näher – sobald die neuen Regelungen des Bundes wie geplant in Kraft treten.
Wie steht Bürgermeister Rajko Kravanja zu den Maßnahmen und zum Wiederbeginn des Schulunterrichts? Und wie möchte er die neuen Beschränkungen kontrollieren? Darüber hat er am Mittwoch (14.4.) im Interview mit Redakteur Matthias Langrock gesprochen – einen Tag, bevor die Corona-Inzidenz in Castrop-Rauxel auf mehr als 300 gestiegen ist.
Herr Kravanja, fast 500 Castrop-Rauxeler gelten als aktiv mit dem Coronavirus infiziert. Die Notbremse wird kommen. Halten Sie das für richtig?
Ja, ich halte das aus mehreren Gründen für richtig. Erstens, weil es aufgrund der Inzidenz dringend geboten ist, wieder Schritte einzuleiten, die Zahlen runter zu kriegen, und zweitens, weil ich es ausdrücklich begrüße, dass wir bundesweit gleiche Regeln haben, an denen sich die Menschen orientieren können.
War diese Bundesregelung wirklich nötig?
Es war nötig, dass die Bundeskanzlerin ein Machtwort spricht und durchregiert. Es hat eben nicht funktioniert, dass die Länderchefs das untereinander ausmachen, sondern es bedurfte erstes Machtwort der Kanzlerin.
Allerdings haben auch der Landrat oder Sie als Bürgermeister nicht gesagt: Komm, wir machen in Castrop-Rauxel die Läden dicht.
Ja, stimmt. Wir müssten immer alle Maßnahmen auch mit dem Land abstimmen, wir dürfen ja nicht einfach so alleine entscheiden. Das gilt für alle Kreise und kreisfreien Städte. Einige Kreise haben es probiert mit Maßnahmen, sind aber gescheitert und zurückgepfiffen worden. Also insofern ist das jetzt, glaube ich, die richtige Vorgehensweise.
Damit wir das noch mal klar haben: Für die Einführung der Notbremse in Castrop-Rauxel ist die Inzidenz des Kreises Recklinghausen entscheidend, richtig? Solange die unter 200 liegt, werden zum Beispiel die Schulen nächste Woche öffnen.
Korrekt. Es gilt erst einmal die Inzidenz des Kreises. Wir werden aber im Kreise der Städte miteinander sprechen, ob zusätzliche Maßnahmen im Kreis Recklinghausen sinnvoll sind. Diese Debatte werden wir führen, weil ich nicht glaube, dass die Inzidenzen sich beruhigen. Im Gegenteil, ich glaube, sie steigen weiter. Und dann muss es auch weitere Maßnahmen geben.
In dieser Woche wird es aber keine Verschärfungen mehr geben, oder?
Selbst wenn wir mit neuen Vorschlägen kämen, muss das Land zustimmen. Das ist ein Prozess, der mindestens bis zur nächsten Woche dauern würde.
Schauen wir uns zwei wichtige einzelne Punkte der Notbremse an: Zum einen die Ausgangssperre. Wie denken Sie darüber?
Heute gibt es eine zusammenfassende Studie, die sagt: Mit der Ausgangssperre gehen 10 bis 20 Prozent Mobilitäts-Einschränkungen einher. Es ist ein sehr schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, aber ich bin von dem Erfolg überzeugt und glaube, dass man damit Mobilität in den Griff bekommt, weil man vor allen Dingen private Treffen am Abend verhindert, beim Bierchen in geschlossenen Räumlichkeiten.
Und zusätzlich ist es auch ein psychologisches Element, das wir damit einführen, wo nochmal deutlich wird: Es ist ernst und wir müssen wieder runter mit den Zahlen! Also: Ich würde unterm Strich sagen: Es ist ein Instrument, das ich schweren Herzens mittrage.
Wie können Sie eine Ausgangssperre wirksam kontrollieren?
Wir als Stadt werden kontrollieren. Und die Polizei auch. Aber ja, das wird eine Herkulesaufgabe. Wir werden nicht an jeder Ecke stehen können. Aber es geht auch gar nicht darum, dass ich als Bürger das letzte Schlupfloch finde und sage: „Ich gehe jetzt im schwarzen Hoodie durch die Nacht und werde nicht entdeckt.“ Sondern da ist eine Botschaft dahinter: Es geht darum, wirklich Infektionen, Kontakte zu vermeiden. Das sollte man einfach ernst nehmen, ohne das Schlupfloch zu suchen.
Das zweite heikle Thema ist der Schulunterricht. Finden Sie es gut, dass es kommende Woche wieder Präsenz- beziehungsweise Wechselunterricht geben soll?
Das ist eine Debatte, wo es kein Schwarz und Weiß gibt. Das vorweg geschickt. Mir ist bewusst, dass gerade Eltern, die selbst im Homeoffice sitzen, mit dem Homeschooling eine Doppelbelastung haben. Trotzdem müssen wir ja abwägen zwischen den sozialen Folgeproblemen durch Homeschooling und die Frage des Infektionsschutzes in der Schule. Ich werte zweites höher.
Ich hätte die Schulen nicht aufgemacht. Ich hätte sie im Distanzunterricht gelassen. Das ist weiterhin meine Forderung gegenüber dem Land. Ich sehe die Zahlen nicht beruhigt an, sondern im Gegenteil. Ich kann für Castrop-Rauxel sagen: Die Zahlen steigen, und in eine steigende dritte Welle hinein noch weitere Öffnungsschritte an Schulen vorzunehmen, halte ich nicht für klug.
Was kann die Stadt anderweitig tun, um den Bürgern zu helfen? Bei uns hat sich zum Beispiel ein Leser gemeldet, der sauer ist, dass er noch Kita-Gebühren zahlen soll für eingeschränkte Leistungen...
Ich finde das eine bodenlose Frechheit vom Land. Das muss ich wirklich sagen. Gerade auf den Februar bezogen. Da hat das Land ausdrücklich darum geworben: Bitte, bitte schickt eure Kinder nicht in die Kita, wenn es irgendwie geht! Und ganz viele Eltern haben das unter einem hohen Maß an Belastungen getan.
Alle sind davon ausgegangen, auch wir, dass selbstverständlich die Kita-Gebühren vom Land anteilig übernommen werden. Und am Ende des Tages kam die Rückmeldung, dass das nicht passieren wird. Ich finde, so geht man nicht mit dem Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern um.
Wir fordern das Land auf, es doch zu tun. Dann würden wir selbstverständlich auch mit unserem Beitrag wieder parat stehen. Das kann aber nicht jede Stadt separat für sich entscheiden und schultern, sondern das muss vom Land getragen werden.
Und umgekehrt wäre es für Castrop-Rauxel nicht leistbar, einfach nur zu verzichten, weil man die Personalkosten etc. weiter hat?
Genau. Es kann aber auch generell nicht sein, dass eine Stadt, die keine Kita-Gebühren erhebt, zum Beispiel Düsseldorf, besser da rauskommt und die Kommunen im Ruhrgebiet dafür bezahlen müssen. Denn selbst wenn wir erstatten, müssten wir das Geld über Gebühren und Steuern wieder einnehmen. Das ist „rechte Tasche, linke Tasche“. Insofern muss es da eine Beteiligung des Landes und des Bundes geben.
Gibt es für Sie im Moment irgendwas, das Hoffnung in der Krise macht?
Es gibt das Instrument Testen und das Instrument Impfen. Das läuft ja durchaus. Wir müssen jetzt einmal runter von diesen Zahlen. Und ich glaube, dann können auch solche guten Modellprojekte wie Tübingen funktionieren. Dann kann es über den Sommer hin auch wieder funktionieren, sich im Freien zu treffen. Und wenn wir dann weiter impfen, dann kann es eine Perspektive geben. Also ich bin da frohen Mutes. Aber die Grundvoraussetzung ist, dass wir jetzt einmal wieder alles zusammenkneifen und durch diese Zeit durchgehen. Noch einmal runter schalten.
Das komplette Video-Interview mit Rajko Kravanja sehen Sie unter rn.de/castrop
Als Journalist arbeite ich seit mehr als 25 Jahren. Im Kreis Unna bin ich dagegen noch recht neu, aber voller Neugier auf Menschen, Städte und Gemeinden. Schreiben habe ich gelernt, komme aber viel zu selten dazu. Dafür stehe ich gerne mal vor der Kamera.
