Eine öffentliche Debatte über internen Streit hatte Borussia Dortmund bei allem Schlamassel gerade noch gefehlt. Ehrlich empört wollte Niclas Füllkrug am Samstag ein Zitat von ihm wieder einfangen, dass er unmittelbar nach Spielschluss beim TV-Sender Sky gesagt hatte. Es ließ sich als Kritik an Trainer Edin Terzic verstehen, sollte aber ausdrücklich nicht so gemeint gewesen sein. „Wir haben nicht den perfekten Ansatz gehabt, um dieses Spiel heute zu spielen“, hatte der BVB-Neuzugang gesagt. „Stuttgart hat es ein bisschen anders gespielt als sonst, damit haben sie uns vor eine Riesenaufgabe gestellt.“
BVB kassiert zweite Bundesliga-Niederlage in Serie
Auch ohne den falsch interpretierten Hinweis von Mittelstürmer Füllkrug, bei dem sein dritter Bundesliga-Treffer der Saison nicht über seine eigene bescheidene Leistung hinwegtäuschen konnte, geriet am Samstag der sportlich Verantwortliche ungewollt mit ins Blickfeld. Edin Terzic kämpfte nach dem x-ten so denkbar unnötigen Rückschlag mit seiner Elf mit den Emotionen. Mühsam unterdrückte er den Impuls, seine Mannschaft zu „schreddern“, wie er es formulierte.
Allein die Wortwahl zeigt die Wut, die Verärgerung und auch die Enttäuschung, die ihn innerlich aufwühlte. Als er nach der Partie den mitgereisten Fans zuwinkte, stand ihm der Schmerz ins Gesicht geschrieben. Der 41-Jährige leidet körperlich nach Niederlagen. Vor scharfer Kritik aus Teilen der Anhängerschaft von Borussia Dortmund bewahrte ihn das nicht. Nach der zweiten Bundesliga-Niederlage am Stück – das gab es zuletzt im November 2022 in Wolfsburg und Mönchengladbach – kennzeichneten auch dort Wut, Verärgerung und Enttäuschung die Gemütslage. Nur ohne Maulkorb, und häufig anonym in sozialen Netzwerken.
Kritik an BVB-Trainer Terzic
Der Extrakt aus vielen teils absurden und teils reflektierten Beiträgen: Terzic entwickle die Mannschaft spielerisch nicht weiter, er sei taktisch nicht top, habe falsche Spieler eingekauft. Die Kehrtwende von großer Zustimmung noch vor dem Bayern-Spiel oder nach dem Sieg gegen Newcastle vollzieht sich dabei binnen weniger Tage, sogar weniger Spielminuten. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es oft keine Schattierungen und Abstufungen mehr bei den Urteilen. Damit disqualifiziert sich Kritik schnell. Ein Blick unter die Oberfläche hilft bei der Einordnung, mit Hilfe von Fakten.
Wer die drei BVB-Langzeittrainer in der Post-Klopp-Ära vergleicht, sieht bei der Punktausbeute erstaunlicherweise kaum Unterschiede. Die Zahlen:
Nun mag man diskutieren, welchem Trainer der bessere Kader zur Verfügung gestanden hat oder wie die Qualität der Gegner und die jeweilige Stärke der Liga zu beurteilen ist. Unterm Strich finden sich Argumente in alle Richtungen. Bei Terzic bemerkenswert: In seinen beiden Amtszeiten liegt die durchschnittliche Punktausbeute beim selben Wert. Nicht besser, nicht schlechter.
Schon 17 Liga-Gegentore für den BVB
Nach elf Spieltagen in der Bundesliga gibt mehr noch als die Anzahl der Zähler das Torverhältnis einen Fingerzeig für die fußballerische Klasse und wahre Leistungsstärke. Das wiederum liefert kein gutes Zeugnis für Terzic und sein Team. 21:17 Treffer sind in der Tabelle notiert. Bei den erzielten Toren sind es nur halb so viele wie beim FC Bayern, sechs Mannschaften sind gefährlicher. Bei den Gegentoren – doppelt so viele wie beim FC Bayern – verteidigen fünf Teams besser. Zieht man die xGoals (22,03 : 20,73) zu Rate und klammert den Faktor Zufall aus, stehen nur Heidenheim, Darmstadt, Bochum und Köln schwächer da! Dortmunds bester Spieler der Saison bisher, Torhüter Gregor Kobel, hat oft größeren Schaden verhindert. Der BVB hat nach dieser statistischen Berechnung 4,15 Punkte mehr auf dem Konto als erwartbar.

Das deutet durchaus darauf hin, dass bei der Terzic-Elf die sportliche Leistung auch in der punktemäßig erfolgreichen ersten Saisonphase nicht so gut war, wie es die Ergebnisse vorgaukelten. Dem Kompromiss von solider Defensive und mehr Balance im Spiel (Terzic: „Weniger sexy, mehr Erfolg“) ist die fußballerische Komponente zum Opfer gefallen. Vor allem gegen hoch attackierende Mannschaften zeigt sich der BVB nicht pressingresistent. Es fehlen klare Lauf- und Passwege für den Aufbau aus der Tiefe. Es fehlt auch oft der Mut, einen Schnittstellenpass über mehr als 20 Meter in kleinere Zonen hineinzuspielen, um den Druck zu mindern und Räume zu öffnen.
Ist der BVB nur noch Bundesliga-Durchschnitt?
Das fällt weniger auf, wenn sich die Gegner eher in eine abwartende Haltung zurückziehen, mit Zeit am Ball geht alles leichter. Gegen mutige Mannschaften sind diese Schwächen hingegen sofort erkennbar. Es gibt dafür keine Datengrundlage, doch es verfestigt sich der Eindruck, dass der Anteil der Zuspiele in den Stand den Anteil der Zuspiele in Bewegung längst überwiegt. Mit wie viel Vollgas in allen Aktionen die Stuttgarter dem BVB dessen gedankliche, körperliche und mannschaftliche Langsamkeit vorgeführt haben, muss auch den Dortmunder Bossen weh getan haben.
Ohne Frage fehlen der Borussia aktuell Spieler in dauerhaft starker Form. Müdigkeit und Verschleiß lassen sich nicht leugnen. Der Einwand, wer vor allem durchschnittliche Bundesliga-Spieler einkaufe (Salih Özcan, Julian Ryerson, Ramy Bensebaini), der spiele auch irgendwann wie eine durchschnittliche Bundesliga-Mannschaft, lässt sich ebenso nicht abweisen. In dem Kader steckt trotzdem viel mehr Potenzial und auch genügend Qualität, um am Ende der Saison unter den ersten vier Teams zu landen und die Qualifikation für die Champions League zu gewährleisten. Dann hört die Phantasie allerdings auch auf. Und das gilt aktuell für die Truppe und den Trainer. Alle zusammen stünden in der Verantwortung, sagt Terzic. Alle zusammen müssen mehr liefern.
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Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 12. November 2023.