Ginter: "Ich setze mir nach oben keine Grenze"

BVB-Interview des Monats

Der einst schüchterne BVB-Neuzugang aus dem Breisgau, Matthias Ginter, hat sich zu einem gestandenen und selbstbewussten Innenverteidiger gemausert. Mit Jürgen Koers und Dirk Krampe sprach der 22-Jährige über seine Entwicklung, Heimatgefühle und Tiefpunkte in der Karriere, aus denen er besonders viel mitnehmen konnte.

DORTMUND

, 17.11.2016, 10:30 Uhr / Lesedauer: 6 min
Matthias Ginter (l.) im Interview mit unseren BVB-Reportern Dirk Krampe (r.) und Jürgen Koers.

Matthias Ginter (l.) im Interview mit unseren BVB-Reportern Dirk Krampe (r.) und Jürgen Koers.

Wie haben Sie das erste freie Wochenende seit dem Sommer genutzt?

Ich war in der Heimat. Das hat gut getan. Es war schön, meine Familie und viele Freunde mal wieder zu sehen.

Haben Sie auch beim SC March vorbeigeschaut?

Ja. Mein Heimatverein ist aktuell Tabellenführer in der Kreisliga A, hat am Sonntag aber das Spitzenspiel gegen den Dritten kurz vor Schluss verloren. Ich habe also kein Glück gebracht. Aber es war schön, die ganzen Freunde mal wieder zu sehen. Früher haben wir ja so oft zusammen gespielt.  

Wie kam es, dass Ihre Mutter Sie zu den „Füchsletagen“ beim SC Freiburg angemeldet hatte?

Das war ehrlich gesagt ein Zufall. Wir waren beim Bundesligaspiel des SC, ich glaube gegen Hansa Rostock. Im Stadionmagazin stand, dass man seine Kinder zur Sichtung anmelden könne, den „Füchsletagen“. Das war im Winter 2004, und ab Sommer 2005 habe ich dann beim SC Freiburg gespielt.

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Und sind dort Profi geworden. Hatten Sie einen Plan B, falls das nicht geklappt hätte?

Nicht wirklich. Ich hätte vielleicht Sportmanagement studiert. Mit 16, 17 Jahren macht man sich darüber ja eher wenig Gedanken, da war ich schon auf Fußball fokussiert, da war ich schon voll in diesem Tunnel drin. Ich wollte unbedingt Profi werden.

Die Feier zum 18. Geburtstag musste dann aber ausfallen, oder?

Zumindest war sie wohl anders als bei 95 Prozent der 18-Jährigen (lacht). Ich war da gerade zu den Profis aufgerückt. Wir haben im Familienkreis und mit ein paar engen Freunden gefeiert, ganz ruhig. Ich konnte es da nicht mehr krachen lassen.

… und zwei Tage später …

… habe ich dann nachträglich gefeiert, nach meinem Bundesligadebüt, bei dem ich gleich ein Tor geschossen hatte. Das hatte dann mehr von einer Geburtstagsparty, war ganz spontan und ging auch etwas länger (lacht).

Zwei Jahre später sind Sie in Dortmund gelandet. Wie haben Sie Ihre Entwicklung hier erlebt?

Es ging gleich furchtbar schlecht los mit dem Leverkusen-Spiel im August 2014, als wir nach neun Sekunden 0:1 in Rückstand gerieten. Die ganze Hinrunde lief danach nicht rund. Ich kann mich an gar keine ähnlich schwierige Dortmunder Zeit erinnern. Es war ja fast die größte sportliche Krise der jüngeren Vereinsgeschichte. Für mich begann damit eine Zeit mit vielen Höhen und Tiefen. Mal lief es gut, dann war ich wieder draußen, manchmal sogar gar nicht im Kader. Es gab immer diese Wellenbewegungen, keine Konstanz.

Schwierig für einen jungen Spieler...

Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass mich auch und gerade die Täler in der Entwicklung sehr weit vorangebracht haben. Wenn man in der Situation steckt, ist das nicht spaßig. Aber wenn man gestärkt daraus hervorkommt, ist das ungemein wertvoll als Erfahrung und für die Persönlichkeit. Man lernt: Man muss immer weiterarbeiten, und wenn man dann aus dem Sumpf wieder herauskommt, ist das umso schöner.

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War Ihnen klar, was fehlte? Was hat der Trainer Ihnen mitgegeben?

Ich hatte schon Anfang dieses Jahres einen Fitnesstrainer engagiert. Körperlich habe ich mich rasch besser gefühlt. Aber die Konkurrenz auf meinen Positionen in der Abwehr war groß. Und ich kam dann in der Rückrunde nicht mehr auf die Einsatzzeiten der Hinrunde, was wohl auch ein Grund dafür war, warum ich nicht zur Euro mitgenommen wurde. Im Sommer hat sich dann bei mir der Gedanke entwickelt, mich auch im mentalen Bereich weiterzuentwickeln.

Ich bin noch jung, es gibt in jedem Bereich noch Potenzial. Ich bin weit davon entfernt zu sagen, ich wäre in einem Bereich schon gut genug. Die mentalen Fortschritte habe ich schnell gespürt, ich wurde im Kopf stärker, ich konnte vorangehen. Bei dieser Entwicklung hat mir auch die Erfahrung der Olympia-Teilnahme geholfen. Unser Trainer wollte sehen, dass ich vorangehe, die Mannschaft mit führe. Er hat mir da eine positive Rückmeldung meiner Leistungen dort gegeben.

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Beeindruckend war, wie souverän und selbstsicher Sie in Rio im Finale den Elfmeter verwandelt habe. Als erster Schütze, gegen ein Pfeifkonzert.

Ich bereue, dass ich im DFB-Pokalfinale nicht angetreten bin. Klar, ich hätte da auch verschießen können, und ich hatte in der Rückrunde eher wenig gespielt. In Rio war das dann eine ganz andere Situation. Da war ich Führungsspieler. Das hat mir wahnsinnig geholfen, in so einem Finale einen Elfer zu verwandeln. Wenn man durch so eine Situation gut durchgekommen ist, gibt das automatisch einen Schub.

Seite 2: Matthias Ginter über seine Rolle beim BVB, seine bisherigen Coaches und seine Karriere im DFB-Dress.

Sie haben Mats Hummels als ein Vorbild benannt. Warum?

In meinen ersten Monaten in Dortmund haben mir Mats und Sebastian Kehl viel geholfen, viel mit mir gesprochen. Ich habe auch im täglichen Training viel von Mats gelernt. Wie er arbeitet, wie er vorangeht, von seiner Präsenz und seiner Körpersprache. Da habe ich mir viel abgeguckt. Ähnlich ging es mir bei Jerome Boateng in der Nationalmannschaft. Das sind zwei der besten Innenverteidiger der Welt, da schadet es nicht, denen genau zuzuschauen.

Sie haben auch körperlich ein breiteres Kreuz bekommen. Haben Sie an Gewicht zugelegt?

Ich wiege nicht viel mehr als vorher. Ich wiege anders (lacht). Ich habe auch früher viel geschuftet, da war ich auch schon sehr ehrgeizig. Mit einem professionellen Fitnesstrainer an der Seite ist das aber viel effektiver. Und im Ergebnis macht es einen Unterschied, wenn jemand aufrechter und imposanter auf dem Platz steht. Das war auch das Ziel des Mentaltrainings, eine positive Ausstrahlung und Aggressivität an den Tag zu legen. Beides zusammen hat mir enorm geholfen.

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Inwiefern?

Es war ja offensichtlich, dass mir die Körpersprache gefehlt hat, gerade in den vergangenen beiden Spielzeiten. Das gebe ich gerne zu. Deswegen musste ich mich da unbedingt verbessern. Auch der Trainer wollte mich wachrütteln. Er hat mich an der Stelle wahnsinnig gut durchschaut, aber kein Wunder: Er arbeitet sehr detailliert und akribisch mit den Spielern. Dass es jetzt so schnell besser geworden ist, ist eine Bestätigung, dass ich an dem Thema unbedingt dranbleiben muss.  

Sie haben seit September kaum ein Spiel verpasst. Wie froh sind Sie, dass Sie gerade kein grün-weißes Trikot tragen oder ein weißes mit roten Hosen?

Unabhängig von Vereinsfarben: Es gab im Sommer Anfragen und auch konkrete Angebote. Parallel dazu war beim BVB einiges im Umbruch. Kurz habe ich mir schon Gedanken gemacht. Als es dann vom BVB hieß, dass er die Angebote nicht annimmt, man stattdessen auf mich setzt und auf mich zählt, hat mir das schon imponiert und mir eine gewisse Wertschätzung aufgezeigt.

Ist Ihnen nach dem Umbruch auch eine andere Rolle in der Mannschaft zuteil geworden?

Es sind drei Stützen der Mannschaft gegangen, da bilden sich dann automatisch neue Hierarchien. Jeder muss für sich entscheiden, in welche Rolle er schlüpfen kann und will. Ich weiß nicht so genau, ob ich vor einem Jahr ähnlich mit hätte vorangehen können und wollen, wie ich das jetzt kann. Aus meiner Perspektive war ich jetzt zur rechten Zeit am rechten Ort.

22 Jahre, weit über 100 Bundesligaspiele, bei der WM dabei, bei Olympia dabei – bei anderen Spielern müsste man sich Sorgen machen, ob sie nicht abheben. Bei Ihnen besteht diese Gefahr nicht, oder?

Nein! Ich habe mir noch keinen Ferrari und keine Villa gekauft (schmunzelt). Ich hebe nicht so schnell ab, so bin ich auch nicht erzogen worden. Im umgekehrten Fall bin ich dafür auch nicht eingeknickt, als es für mich nicht gut lief.

Was sagt Christian Streich zu Ihrer Entwicklung?

Wir stehen regelmäßig im Kontakt. Er sagt, dass ihm gefällt, was er von mir sieht. Sein Lob bedeutet mir sehr viel, er war sicher die wichtigste Person in meiner Karriere bisher. Er hat mich mit 18 Jahren zum Stamm-Innenverteidiger beim SC Freiburg gemacht, mitten im Abstiegskampf der Bundesliga. Das gibt es nicht so oft. Ich bin ihm sehr dankbar für sein Vertrauen, wir verstehen uns super. Ich freue mich deshalb auch über seinen Erfolg beim SC Freiburg. Wenn man sieht, was er aus den Möglichkeiten in Freiburg macht, ist das wahnsinnig erfolgreich.

Sie hatten in Ihren jungen Jahren bereits eine Menge profilierter Trainer. Streich, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, beim DFB Jogi Löw und Horst Hrubesch. Was haben Sie von denen mitgenommen?

Jeder Trainer hat seine eigene Philosophie, eigene Vorstellungen, alle haben ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Streich und Klopp ähneln sich, weil sie viel über die Emotionen kommen, und auch von der Ansprache. Tuchel ist der große Taktiker und Tüftler, der für jeden einzelnen Spieler nach dem Optimum strebt. Alle sind im Umgang mit den Spielern gut, aber Löw und Hrubesch kommen vielleicht am stärksten über die menschliche Seite. Alle sind herausragende Trainer, ich bin froh darüber, dass ich von ihnen lernen durfte.

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Jetzt haben in San Marino und Mailand Jungs wie Max Meyer, Serge Gnabry, Leon Goretzka, mit denen Sie bei der U21 gekickt haben, gespielt. Warum waren Sie nicht bei der A-Nationalmannschaft?

Es freut mich für alle, die dabei sind. Die Jungs haben sich das verdient. Und selbstverständlich ist es auch mein Ziel, wieder zur A-Nationalmannschaft eingeladen zu werden. Ich behaupte mal, dass sich meine Situation seit Olympia und mit den Spielen hier beim BVB bestimmt nicht verschlechtert hat. Ich weiß, dass ich da im Blickfeld bin. Der Rest wird sich zeigen.

Wieviel vom bestmöglichen Matthias Ginter haben wir schon gesehen?

Es geht auf jeden Fall noch viel, viel mehr! Wenn ich vorher gewusst hätte, dass mir beispielsweise dieses Mentaltraining so viel bringt, hätte ich damit schon eher angefangen. Es hat wirklich „Klick“ gemacht im Kopf, obwohl wir zunächst erst einmal an kleinen Stellschrauben und mit kleinen Kniffen gearbeitet haben. Das ist ein Bereich, da steckt noch viel Potenzial drin. Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich denke, dass ich mir aktuell nach oben keine Grenzen setzen muss.

Matthias Ginter (geb. 19. Januar 1994 in Freiburg) wechselte mit elf Jahren von seinem Heimatverein SC March zum SC Freiburg. Dort debütierte er mit 18 Jahren und 2 Tagen und stand in zweieinhalb Jahren 70 Mal auf dem Platz. Seit Sommer 2014 spielt Ginter für den BVB. Zu seinen größten Erfolgen zählen die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro und der WM-Titel 2014 mit der DFB-Auswahl, wo er allerdings ohne Einsatz blieb. Ginter kommt auf bislang neun Länderspiele unter Bundestrainer Joachim Löw. Die deutsche U21-Auswahl führte er als Kapitän ins finale des olympischen Turniers. 16 Länderspiele hat Matthias Ginter für die U21 gemacht. Als flexibler Fußballer kann Ginter innen und rechts verteidigen oder im zentralen Mittelfeld spielen. Zweimal erhielt er die Fritz-Walter-Medaille als bester Nachwuchsspieler seines Jahrgangs.

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