
© Christian Bödding
Vision für die Wallstraße: Tempo 7, weniger Parkplätze und mehr Grün
Wallstraße
Schrittgeschwindigkeit, gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und die Halbierung der Zahl der Stellplätze von 200 auf 100. Das sieht der Siegerentwurf zur Umgestaltung der Wallstraße vor.
Die Wallstraße ist ein Herzstück der Innenstadt. Wie eine Operation am offenen Herzen aussehen kann, das zeigt seit Freitag in der Stadthalle der Siegerentwurf des Wettbewerbs zur Umgestaltung der Straße. Ein elementarer Baustein des Entwurfs: Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer sind gleichberechtigt.
Diskussion seit Jahren
Über die Umgestaltung der Wallstraße wird seit Jahren diskutiert. Aus dem städtebaulichen Wettbewerb ging das Büro [F] Landschaftsarchitektur aus Solingen als 1. Preisträger hervor.
Bürgermeisterin Karola Voß berichtete bei der öffentlichen Präsentation der Wettbewerbsergebnisse, dass dem Preisgericht insgesamt elf Entwürfe vorgelegt worden seien. Der Siegerentwurf überzeuge mit Klarheit, Struktur und einer vielfältigen Nutzbarkeit der Fläche.
Das bestätigte Architektin Ellen Wiewelhove vom Dortmunder Büro Post Welters und Partner. Das Büro hatte die Vorprüfung der Arbeiten sowie die Organisation des Preisgerichts übernommen. „Aktuell ist die Wallstraße aus gesamtstädtischer Sicht wenig funktional“, erklärte Wiewelhove.

So könnte die Wallstraße aussehen, wenn der Siegerentwurf umgesetzt wird. © (F) Landschaftsarchitektur Solingen
Der Siegerentwurf sei ein Bekenntnis zum grünen Freiraum in der Stadt. „Dabei war klar, dass nicht alle Parkplätze weggenommen werden können und es war klar, dass kein Park als Konkurrenz zum Schlosspark angelegt wird.“
Gleichwohl werde der alte Baumbestand weitestgehend erhalten. „Es gibt Spielflächen und Aufenthaltsorte und ausreichend Stellplätze für die Zukunft“, sagte Ellen Wiewelhove.
Ausreichend bedeutet beim Siegerentwurf, dass die Zahl der Stellplätze halbiert wird: von aktuell 200 Parkplätzen bleiben 100 übrig.
„Des Deutschen liebstes Kind“
Warum das so ist, erklärte Landschaftsarchitektin Susanne Weihrauch, die am Entwurf mitgearbeitet hat. „Ich kann eine Stellplatzfläche nur dann aufwerten, wenn ich an des Deutschen liebstes Kind gehe, den Stellplatz.“ Die Wallstraße sei eine rein von der Infrastruktur geprägte Fläche. „Sie könnte so viel mehr bieten.“
Geschehen soll das unter anderem durch eine neue Verkehrsführung, Spiel-, Aufenthalts- und Veranstaltungsflächen, eine Wiesenlandschaft und zwei steinerne Plätze.

Geht es nach dem Siegerentwurf, wird nicht mehr in der Mitte der Wallstraße geparkt. Hier soll ein grünes Wallband entstehen als Pendant zum roten Marktband in der Marktstraße. © Markus Gehring
Der Entwurf sei auf den ersten Blick vielleicht unspektakulär, einfach und schlicht, sagte Ellen Weihrauch, „aber er bietet viel Grün von Nord nach Süd.“
Dafür soll der Verkehr ein Stück weit zurückgenommen werden. Der Individualverkehr soll nur noch in eine Richtung fließen: vom Kreisverkehr Wüllener Straße in Richtung Coesfelder Straße. Geplant ist ein sogenannter Shared-Space-Bereich.
Das bedeutet, dass Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind. „Es kommt zu einer Entschleunigung des Verkehrs“, erläuterte Susanne Weihrauch. „Wir haben dort praktisch eine Spielstraße, in der Schrittgeschwindigkeit gilt.“
„Verkehrserziehung“
Die neue Verkehrsführung könne dazu führen, „dass es in der Anfangszeit knirscht“, sagte Susanne Weihrauch. „Alle müssen erst lernen, wie man sich dort als Verkehrsteilnehmer verhalten muss.“ Es handele sich um eine gewisse Form der Verkehrserziehung. Bordsteine sieht der Entwurf nicht vor. Für Orientierung sorgen eingelegte farbige Pflasterbänder.

Große Runde bei der Vorstellung der Wettbewerbsergebnisse (v.l.): Andreas Dönnebrink, Thomas Hammwöhner, Karola Voß, Susanne Weihrauch, Julia Althaus, Ellen Wiewelhove, Ingrid Overkamp, Walter Fleige und Katharina Gruszecki. © Kippic
Während der Individualverkehr nur noch in eine Richtung fließen soll, gilt das für den öffentlichen Personennahverkehr in diesem Bereich nicht. Busse können weiterhin in beide Richtungen fahren. Die Straße an der Ostseite des Platzes (von der Coesfelder Straße in Richtung Kreisverkehr) soll zu einer autofreien Promenade werden. Entlastung soll die künftige Innenstadttangente bringen.
Zahl der Stellplätze
Über die Zahl und Lage der Stellplätze sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, erklärte neben Bürgermeisterin Karola Voß auch die Vertreterin des Preisträger-Büros. Auch das Thema Radverkehr werde noch genauer betrachtet. Vorgesehen sind bislang 200 Bügel, an denen insgesamt 400 Räder abgestellt werden können. Hinzu kommen 24 Stellplätze für E-Bikes.
Was das Ganze kosten soll, dazu gab es bei der Präsentation am Freitag keine Informationen. Zahlen hatten weder die Verwaltung noch die Planer zur Hand.
Bürgermeisterin Karola Voß sprach von einer „Maximalvorgabe“, die den Planern gegeben worden sei. Zudem könne noch an vielen Stellschrauben gedreht werden. „Zum Beispiel bei der Frage, ob es Naturstein sein muss oder auch Beton sein kann.“
Als nächstes wird die Verwaltung mit den Preisträgern verhandeln. Das Vergabeverfahren sieht vor, dass die ersten drei Preisträger zu Auftragsgesprächen eingeladen werden. Das solle in den nächsten zwei Wochen geschehen, erklärte der Technische Beigeordnete Thomas Hammwöhner.
Ganz sicher sei, dass die Bagger nicht innerhalb der nächsten vier Wochen anrücken würden. Wann die Operation am Herzstück der Stadt beginnt, das konnte auch Bürgermeisterin Karola Voß am Freitag nur vermuten: „Ich hoffe, dass ich es noch erlebe.“
Christian Bödding, Jahrgang 1966, ist bekennender Westfale, aber kein Sturkopf. Er schreibt gerne tiefgründig und am liebsten über lokale Themen, über die sich andere nach der Lektüre seiner Texte aufregen.
