Der ehemalige Papst Benedikt XVI. hat seine Aussagen zu seiner Teilnahme an einer Konferenz, in der es um Missbrauch ging, "korrigiert". Darüber reagieren Geistliche aus dem Münsterland entsetzt und wütend.

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Ehemaliger Papst hat gelogen: Pfarrer zwischen Wut und Fassungslosigkeit

rnPapst Benedikt XVI.

Papst Benedikt war nun doch dabei, als über einen Priester gesprochen wurde, der Kinder sexuell missbraucht habe. Seine „Korrektur“ sorgt bei Geistlichen im Münsterland für wütende Reaktionen.

Ahaus, Heek, Stadtlohn, Südlohn, Vreden

, 24.01.2022, 19:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der ehemalige Papst Benedikt XVI. hat gelogen. Er gibt nun doch zu, an einer Sitzung im Jahr 1980 teilgenommen zu haben. Bei dieser Sitzung wurde über einen Priester gesprochen, der mehrfach Kinder sexuell missbraucht habe.

Protokolle hatten bewiesen, dass der spätere Papst anwesend war. Das hat der nun notgedrungen eingeräumt – und sorgt damit in den Gemeinden vor Ort für Entsetzen, Wut und Fassungslosigkeit:

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„Jetzt hat sich Benedikt doch noch erinnert – leider eine Woche zu spät“, bedauert Dechant Jürgen Lürwer von der Stadtlohner Pfarrgemeinde St. Otger. „Das wirft kein gutes Licht auf ihn und die Kirche.“

Noch schlimmer aber sei ja das, „was Priester, Bischöfe und Personalchefs anderen Menschen angetan haben. Die alle haben einen so hohen Anspruch – und dann kommt da, Entschuldigung, so eine Scheiße dabei raus.“

Dechant Jürgen Lürwer von der Stadtlohner St.-Otger-Gemeinde

Dechant Jürgen Lürwer von der Stadtlohner St.-Otger-Gemeinde © Markus Gehring

Jürgen Lürwer hat den Missbrauch und den Umgang der Kirche damit auch in seiner Sonntagspredigt thematisiert. „Es ist furchtbar und grausam, was den Menschen angetan wurde. Oft ist ja lebenslanges Leid die Folge. Da muss in der Kirche etwas aufbrechen, damit die Wunden heilen können.“

Was bedeutet das konkret. Lürwer: „Rücktritte wären sinnvoll. Aber ob das reicht? Ich glaube fast nicht.“ Die Kirche müsse hier sehr genau auf die Opfer und Geschädigten hören. Lürwer: „Wir müssen uns neu auf den Glauben besinnen und Jesus folgen. Wir müssen gut zu den Menschen sein.“

Stefan Jürgens: „Ratzinger reagiert unreif und kindisch“

Stefan Jürgens, Leitender Pfarrer der Gemeinden St. Mariä Himmelfahrt Ahaus und Alstätte-Ottenstein, geht gewohnt kritisch mit der Kirchenführung um.

Die Taten selbst seien entsetzlich. Deren Vertuschung durch hohe Funktionsträger nennt er aber absolut verantwortungslos: Schließlich habe sie weitere Taten und damit weitere Opfer erst möglich gemacht.

Stefan Jürgens, Leitender Pfarrer der Gemeinden St. Mariä Himmelfahrt Ahaus und Alstätte-Ottenstein

Stefan Jürgens, Leitender Pfarrer der Gemeinden St. Mariä Himmelfahrt Ahaus und Alstätte-Ottenstein © Stephan Rape

„Dass Ratzinger früher oder später auffliegt, war nur logisch“, sagt er. Wie der ehemalige Papst jetzt reagiere, sei aber „unreif und kindisch“. Der Versuch, sich herauszureden, könne nicht gelingen.

Doch dafür liefert er eine Erklärung: Ob als Professor, als Kardinal oder als Papst: „Ratzinger war immer ein idealistischer Theologe. Er ist als Mensch nie in der Realität angekommen“, sagt Stefan Jürgens. Alles was nicht in sein Kirchenbild passe, habe er ganz einfach ausgeblendet. Zeitlebens habe er sich nach einer vermeintlich heilen Welt gesehnt.

Insofern gestehe er dem ehemaligen Papst sogar zu, dass er seine Beteiligung an jener Konferenz in München tatsächlich verdrängt habe. Insgesamt würden in der Führung der Kirche vor allem ängstliche, unreife und angepasste Menschen ohne jeden Schneid agieren. Das fördere die Verfehlungen.

Ahauser Pfarrer rechnet mit weiteren Kirchenaustritten

„Ich bin entsetzt, aber habe mit nichts anderem gerechnet“, sagt der Ahauser Pfarrer. Er geht davon aus, dass nun noch mehr Menschen aus der Kirche austreten werden. „Natürlich plädiere ich dafür, die Glaubensgemeinschaft und die Institution Kirche voneinander zu trennen“, sagt er. Allerdings habe er Verständnis für jeden, der diesen Weg nicht gehe.

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Dennoch sei die Zufriedenheit mit der Kirche vor Ort weiter hoch: Das liege eben auch an der seelsorgerischen Arbeit. „Wir machen hier vor Ort, was wir verantworten können“, sagt er. Und schließlich habe eine Gemeinde vor Ort auch in erster Linie nur formell mit dem Bistum oder gar dem Vatikan zu tun.

Pfarrer Stefan Scho von der Kirchengemeinde St. Vitus und St. Jakobus Südlohn-Oeding

Pfarrer Stefan Scho von der Kirchengemeinde St. Vitus und St. Jakobus Südlohn-Oeding © Katrin Sarholz

Pfarrer Stefan Scho (St. Vitus und St. Jakobus Südlohn-Oeding) rechnet damit, dass diese neue Entwicklung den Gemeindemitarbeitern vor Ort weiter vor die Füße fallen wird. „Das ist natürlich ein echtes Schreckensszenario, wenn es sich so herausstellen sollte. Dabei wird die Moral in der Kirche so hoch aufgehängt. Es ist einfach traurig, dass es so kommt, wir müssen es ertragen.“

Gemeinde in Vreden bezog schon am Sonntag klar Stellung

Bereits am Sonntag (23. Januar) hatte die katholische Kirchengemeinde St. Georg in Vreden aus dem aktuellen Anlass eine ausführliche Predigt ihres leitenden Pfarrers Christoph Theberath in die sozialen Netzwerke hochgeladen.

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„Uns war wichtig, dass wir Stellung beziehen“, sagt der Pfarrer im Gespräch mit unserer Redaktion. Und schon im Nachgang dessen habe Christoph Theberath viele positive Rückmeldungen erhalten. „Die Bürgerinnen und Bürger finden es gut, dass wir offen und ehrlich damit umgehen. Auch dass wir nicht einfach zur Alltagsordnung übergehen, kommt bei den Menschen an.“ Außerdem sei das respektvolle Miteinander, der Austausch auf Augenhöhe und das Mutmachen auf positive Resonanz gestoßen.

Christoph Theberath, Leiter der katholischen Kirchengemeinde St. Gerorge in Vreden.

Christoph Theberath, Leiter der katholischen Kirchengemeinde St. Georg in Vreden. © Elvira Meisel-Kemper

Er nahm darüber hinaus kein Blatt vor den Mund. „Eigentlich fehlen mir die Worte. Das ist nur noch beschämend. Es herrscht totale Wut und Traurigkeit. Das schmerzt schon sehr.“

Für Christoph Theberath müsse es aber auch vor allem um die Opfer gehen. „Das, was da bisher bekannt ist und dazu gesagt wurde, das reicht überhaupt noch nicht aus. Wenn das so weiter geht, dann verlieren wir den Glauben und die Ehrlichkeit komplett.“

Heeker Pfarrer gibt keinen Kommentar ab

Nur ein Pfarrer im Verbreitungsgebiet unserer Redaktion sah sich nicht in der Lage, die aktuellen Entwicklungen zu kommentieren: Pfarrer Josef Leyer aus der Gemeinde Heilig Kreuz Heek. Er bekomme auch so seine Arbeit schon nicht hin, erklärte er auf Anfrage unserer Redaktion. „Dazu sage ich nichts“, war seine knappe Antwort. Dann beendete er unvermittelt das Telefonat. Auch der Kirchenvorstand war zu keinem Kommentar bereit, sondern verwies auf den Pfarrer.

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