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Pfarrer Siegfried Thesing: „Auch der Papst ist kein Superheld“
Kirchenkrise
31 Legdener und Asbecker haben 2020 die katholische Kirche verlassen. Pfarrer Siegfried Thesing hat Verständnis für die Wut über den Umgang mit dem Missbrauch. Er ist für tiefe Einschnitte.
Der Vertrauensverlust gegenüber der katholischen Kirche findet seinen Niederschlag auch im Postfach von Siegfried Thesing. „Allein heute hatte ich sieben Kirchenaustritte in der Post“, sagt der leitende Pfarrer der Legdener Pfarrgemeinde St. Brigida – St. Margareta an diesem Montag. Dem Tag, an dem der emeritierte Papst Benedikt XVI. eine Falschaussage im Zusammenhang mit dem Münchener Missbrauchsgutachten eingeräumt hat.
Davon konnten die sieben Ausgetretenen allerdings noch nichts wissen. Sie haben sich bereits in den vergangenen Wochen dazu entschieden, der Kirche den Rücken zu kehren. Der Umgang der katholischen Kirche mit den Missbrauchsfällen bot Anlässe genug.
Pfarrer rechnet mit weiteren Kirchenaustritten
Für Siegfried Thesing ist es kaum ein Trost, dass die sieben jetzt Ausgetretenen schon lange nicht mehr in Legden leben. „Sie sind hier getauft worden und später von Legden weggezogen. Wenn die Bindung an die Kirchengemeinde dünner wird, dann entscheiden sich die Menschen schneller für einen Austritt“, so der Pfarrer.
Im vergangenen Jahr haben sich aber auch 31 Legdener und Asbecker von ihrer Kirchengemeinde abgewandt. Im Jahr zuvor waren es 20 und davor 29. Siegfried Thesing ahnt, dass der Exodus anhalten und sich noch beschleunigen wird. Angesichts des Münchner Missbrauchsgutachtens sagt Pfarrer Siegfried Thesing auch mit Blick auf seine Pfarrgemeinde: „Da herrscht große Sprachlosigkeit, Scham und Schmerz. Und auch ein Gefühl von Ohnmacht. Manche sind auch überrascht. Da wird man mit Recht wütend.“
„Wir brauchen eine neue Ehrlichkeit“
Siegfried Thesing sagt aber selbst: „Mich persönlich haben die Ergebnisse des Gutachtens nicht überrascht. Auch unser Bistum ist betroffen und muss lernen, damit umzugehen. Nur als lernende Organisation sind wir auf dem richtigen Weg.“
Das klingt diplomatisch. Das will Siegfried Thesing aber nicht sein. Er wählt auch klare Worte. „Ich wünsche mir mutige und einschneidende Konsequenzen. Wir haben es mit einer riesigen eiternden Wunde zu tun, die tiefe Einschnitte verlangt, damit der Eiter abfließen kann. Verdecken hilft nicht. Wir brauchen eine neue Ehrlichkeit.“
„Auch der Papst ist kein Superheld“
Das Eingeständnis des emeritierten Papstes Benedikt, falsche Angaben gemacht zu haben, sei ein erster Schritt, den Siegfried Thesing sehr begrüßt. „Das ist absolut notwendig. Es ist ja ein zentrales Element unseres Glaubens: Nur was auf den Tisch kommt, kann geheilt werden.“ Und er fügt hinzu: „Jesus hat schwache Menschen berufen. Auch ein Papst ist kein Superheld.“
Ist die Kirche denn noch durch eine neue Ehrlichkeit zu retten? „Die bestehende Sozialstruktur der Kirche hat keine Zukunft. Sie kann ihren Auftrag nicht mehr hinreichend erfüllen“, sagt Siegfried Thesing. Jeder einzelne Christ könne seine Verantwortung für die Kirche nicht mehr delegieren, sondern müsse die Kirche selbst mitgestalten.

Siegfried Thesing feiert einen Gottesdienst. Darin will er den Gläubigen nicht immer den „Misthaufen“ vorsetzen, den sie nicht zu verantworten haben. © Bistum Münster
Hat Siegfried Thesing das Thema in seiner jüngsten Sonntagspredigt angerührt? „Ich habe es kurz erwähnt. Aber ich bin es leid, gerade denen, die sonntags noch einen Gottesdienst feiern wollen, immer nur einen Misthaufen vorzusetzen und ihnen damit die Freude am Glauben zu nehmen. Sie sind ja nicht verantwortlich dafür.“
Nimmt denn der „Misthaufen“ ihm als Pfarrer die Freude an seinem Beruf? „Natürlich bin ich als Pfarrer ein Vertreter dieser Kirche. Es gibt da auch Projektionen, die mich sehr treffen. Aber ich weiß, dass ich es nicht persönlich nehmen darf. Und ich darf mich nicht allein darauf fokussieren.“
Es gebe ja auch die anderen Momente, in denen Kirche den Menschen noch helfen könne. „Gestern habe ich glückliche Menschen bei einer Taufe und einer gleichzeitigen Hochzeit gesehen. Letzte Woche habe ich den Brief einer Familie erhalten, die sich für eine schöne Beisetzung bedankte. Das gibt mir neue Kraft.“