
© Arndt Brede
Selm hat Erfahrung mit der Aufnahme von Flüchtlingen - Erinnerung an 2015
Flüchtlinge
Selm bekommt eine große Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Für Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet sind. Das erinnert an den Flüchtlingsstrom 2015. Und an die Zeltstadt.
Die Bilder berühren einen: Menschen auf der Flucht. Erwachsene, Kinder. Sie flüchten vor Krieg. In der Ukraine. Diesmal. Vor etwas mehr als sechseinhalb Jahren flüchteten Menschen vor Krieg, Terror und Gewalt aus Syrien. Viele von ihnen kamen zu uns nach Selm. Auch diesmal werden Flüchtlinge zu uns kommen. Wieder in eine Zeltstadt in unserer Stadt. Erinnerungen an den Sommer 2015, als in Bork schon einmal eine Zeltstadt aus dem Stand aufgebaut wurde und ein Jahr lang Menschen in Not aufnahm. Manchmal nur ein, zwei Tage, manchmal auch länger.
Es war Anfang August 2015, als das NRW-Innenministerium verkündete, in Selm werde es eine Notunterkunft für Flüchtlinge geben. 1000 Menschen solle sie aufnehmen können. Das Gelände, auf dem diese Notunterkunft entstehen sollte, gehört dem Land NRW und beherbergt eine wichtige Einrichtung: das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei (LAFP) in Bork. Auf dem Parkplatz hinter dem LAFP-Hallenbad solle sie aufgebaut werden.
Betreiber: DRK
Ein Betreiber wurde mit dem Deutschen Roten Kreuz gefunden. Und auch die Bauweise dieser Notunterkunft war schnell da: eine Zeltstadt.
Auf dem LAFP-Gelände würden Flüchtlinge nach der Erstaufnahme und nach der Erstregistrierung untergebracht. „Und zwar so lange, bis sie ihren Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt haben“, erklärte Christoph Söbbeler, Pressesprecher der Bezirksregierung Arnsberg, damals. Die Zeltstadt sei nicht für eine dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen geeignet.

So sah die Zeltstadt in Bork von oben aus. © Tobias Weckenbrock (Archiv)
Für die Stadt Selm hatte die Notunterkunft, für die das Land Kostenträger war, einen finanziellen Vorteil: Ihr wurden keine weiteren Flüchtlinge zugewiesen. Keine Flüchtlinge also, die der Stadt Kosten verursachten. Weil - so hieß es - die Stadt Selm allein durch die Tatsache, dass auf ihrer Fläche schon 1000 Flüchtlinge in der neu zu erbauenden Notunterkunft aufgenommen werden könnten, einen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise leiste. So blieb es abgesehen von den bis zu 1000 Flüchtlingen in Bork bei den knapp 200 zugewiesenen Flüchtlingen, die in drei Übergangsheimen untergebracht waren.
Bürgerversammlungen
Stadt und Bezirksregierung informierten die Selmer in gut besuchten Bürgerversammlungen, waren bemüht, Fragen zu beantworten. Sicherheit, Hygiene - Problemstellungen, die es zu lösen galt. Und, wo die Flüchtlinge herkommen. Syrien, Serbien und weitere Westbalkanstaaten und Afghanistan: Das sind die Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge nach Bork kommen sollten.
Was beschlossen wurde: Ein privater Sicherheitsdienst und Polizeistreifen sollten eingesetzt werden.

Das ist das Starterpaket, das jedem einzelnen Asylbewerber ausgehändigt wurde: Handtuch, Bettlaken, Kopfkissen, Zahnbürste, Zahnpasta, etwas Duschgel und eine große Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure. © TobiasWeckenbrock (Archiv)
Die Atmosphäre in Selm war überwiegend geprägt von Integrationsbemühungen, Spendenbereitschaft und ehrenamtlichem Engagement. Doch in den sogenannten sozialen Medien schlich sich auch Unsoziales ein. Von Asylmissbrauch, „Überfremdung“ und Ausländerkriminalität war die Rede.
Viele ehrenamtliche Helfer
Aber die Zahl und Stimme derer, die helfen wollten, war lauter und größer. Die Schicksalshelfer - ehrenamtlich tätige Selmer - machten ihrem selbst gewählten Namen alle Ehre. So wie die Arbeitskreise Asyl, die sich ebenfalls bereit erklärten, den Menschen in der Zeltstadt nach Kräften Unterstützung zu geben. Und nicht organisierte Bürger meldeten sich bei der städtischen Hotline, um zu helfen.
Und dann waren sie da: die ersten Flüchtlinge. Am 31. August 2015 kamen sie an.
Wenig später waren es rund 680 Bewohner der Zeltstadt. Diese Zahl sollte sich in der Spitze auf mehr als 1000 Menschen steigern.
Herzzereißend
Wie dringend diese Menschen Hilfe benötigten, bewies Mitte September der Ansturm auf die Kleiderkammer, die extra am Marktplatz Bork eingerichtet worden war. Erwachsene, Kinder, manchmal barfuß. Sie alle kamen, um sich die notwendigsten Dinge zu holen. Herzzerreißend, als Reporter zu erleben, wie ein kleines Kind strahlte, als es ein Kuscheltier bekam.

In diesem Kinderzelt gab es vor allem am Wochenende eine Kinderbetreuung. Unter der Woche waren nur wenige Kinder da, denn die meisten Menschen übernachteten nur noch in Bork und fuhren am frühen Morgen nach dem Frühstück weiter nach Greven zur Registrierung. © Tobias Weckenbrock (Archiv)
Was nicht verschwiegen werden darf: Unter denen, die Kleiderspenden abgaben, waren auch Menschen, die verschlissene oder gar dreckige Kleidung brachten.
In den folgenden Wochen und Monaten veränderte sich die Situation. Mal wurde die Einrichtung wegen Windpocken geschlossen, mal änderten sich die Aufnahmekriterien und die Flüchtlinge blieben nur ein, zwei Tage in der Borker Zelt. Zeitweise lief die Belegung gegen Null. Das Personal in der Zeltstadt - Verwaltungskräfte, Sozialbetreuer, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, Kranken- und Gesundheitspfleger und Hauswirtschaftsmitarbeiter, Wachdienst und Caterer - blieb. Immer für den Fall, dass die Belegungszahlen wieder steigen könnten.
Nach einem Jahr war Schluss
Geplant war, dass der Vertrag zwischen dem Land als Eigentümer der Fläche und der Deutsches Rotes Kreuz Betreuungsdienste GmbH, die die Zeltstadt betreute, Ende August 2016 auslaufen sollte. So kam es dann auch. Am 25. Juli verließ der letzte Bewohner die 20 Traglufthallen und das Gelände des LAFP in Bork.
Und jetzt - sechseinhalb Jahre später - werden wieder Menschen nach Selm kommen, die vor dem Krieg fliehen. Wie damals 2015. Und auch sie hoffen, gut aufgenommen zu werden. Der damalige Bürgermeister Mario Löhr richtete 2015 einen Appell an alle Selmer Bürger: „Da kommen Menschen zu uns, die Glück haben, dass sie überhaupt noch leben. Zeigen Sie eine Willkommenskultur, die die Flüchtlinge verdienen.“ Das wäre ein sehr schöner Anfang.