
Martin Simons hat das Buch „Beifang" geschrieben. Es handelt vom Leben in der Selmer Zechensiedlung. © Aufbau Verlag/Pirags
Neuer Selm-Roman: 234 Seiten über das Leben in einer Zechensiedlung
Martin Simons
Mit seinem neuen Roman öffnet der Schriftsteller und Journalist Martin Simons die Tür in die Zechensiedlung in Selm-Beifang. 19 Jahre hat er in Selm verbracht. Eine Zeit, die ihn geprägt hat.
Der neue Roman von Martin Simons trägt den schlichten Titel „Beifang“. Nach dem Ortsteil im Selmer Zentrum. Simons, in Selm aufgewachsen, erzählt die Geschichte von Frank. Der begibt sich auf die Suche nach seinen familiären Wurzeln. Wer war eigentlich sein Großvater Winfried, der nach dem Krieg als Zechenhilfsarbeiter zwölf Kinder in der Zechensiedlung in Selm-Beifang großzog? Was lebt von ihm in Frank und seinem Vater fort.
Die Spurensuche nimmt die Leser mit in eine Zeit, in der vieles anders war als heute. Manches aber auch wohl nicht: „Eigentlich hatte unser Grundschullehrer uns beide aufs Gymnasium schicken wollen“, erzählt Hauptperson Frank im Roman. „Olaf (Franks Schulfreund; Anm. d. Red.) hatte in allen Fächern, sogar in Sport, eine Eins.“ Doch Olafs Eltern finden, dass „der Besuch einer Realschule im Vergleich zu ihrem eigenen achtjährigen Volksschulbesuch einen völlig ausreichenden Fortschritt“ bedeutete. Vom Realschulleben in Beifang erzählt Simons alias Frank: „Wer etwas auf sich hielt, kam während eines Schuljahres mit einem einzigen Hausaufgabenheft für alle Fächer aus. Die Mädchen suchten sich ihre Freunde nicht selten nach deren Mopeds und Autos aus.“

In der Lange Straße hat Martin Simons gewohnt. Hier - in der Zechensiedlung - spielt sein neuer Roman „Beifang". © Arndt Brede
234 Seiten ist das Buch „Beifang“ stark. Im Gespräch mit der Redaktion erzählt Martin Simons, warum er den Roman geschrieben hat.
Das Buch spielt in Selm-Beifang. Wie stark ist die Erinnerung an ihre Kindheit in Selm noch?
Sehr stark. Ich habe ja in Selm die ersten 19 Jahre meines Lebens verbracht. Ich ging auf die – leider mittlerweile abgerissene – Lutherschule.
Das Buch erzählt aus der Ich-Perspektive der Hauptperson Frank. Sie haben mal im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten gesagt: „Die eigene Biografie spielt in so einem Buch immer eine Rolle, sie ist aber nur die Hülle“. Wie sehr hat Sie Ihre Kindheit in Selm geprägt?
Selm ist ein Teil von mir. Und diese Prägung wollte ich mit „Beifang“ untersuchen. Dazu habe ich mich hingesetzt und zugesehen, welche Geschichte sich da in meiner Fantasie formt. Ich habe mit dem Protagonisten Frank eine Art unglücklichen, jüngeren Bruder von mir erfunden, bei dem vieles schief gelaufen ist. In der Tiefe ist es deshalb meine Geschichte, obwohl es oberflächlich, faktisch doch sehr anders ist.
Das ist Martin Simons
- Geboren 1973 in Lünen, wuchs Martin Simons in Selm auf.
- Er ging zur Lutherschule in Beifang und zum Gymnasium Canisianum in Lüdinghausen.
- Mit 19 dann der Umzug nach Berlin: „Ich habe Jura studiert, wollte aber immer Schriftsteller werden.“ Aber zunächst schrieb er für andere. Etwa als Redenschreiber für den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, oder als Autor für Filme und Magazine.
- 2013 dann sein Romandebut mit „Die Freiheit am Morgen“.
- Er lebt heute mit seiner Familie in Berlin.
- Für die Lesung am 20. November um 16.30 Uhr in der Gaststätte Selmer Hof, Kreisstraße, sind Anmeldungen schon möglich. Und zwar unter Tel. 02592 69680 und per E-Mail an vhs@stadtselm.de. Eintritt: 5 Euro (ermäßigt 3 Euro).
Das Leben in einer Zechensiedlung ist nicht einfach. Wie würden Sie Ihre Kindheit in Selm bezeichnen?
Ein Grundthema der Literatur ist ja: Wie schafft man es, seine Vergangenheit zu überleben und sich die Liebe zum Leben zu bewahren? Ich hatte das Gefühl, diese Fragen lassen sich am konkreten Fall einer Herkunft aus Beifang gut verhandeln. Weil ja ein Aufwachsen in der Zechensiedlung gerade in den 1950ern und 1960ern, als es noch kein dichtgewobenes Netz des Sozialstaats gab, ziemlich hart war. Meine eigene Kindheit in Selm war aber recht idyllisch. Sehr frei und unbeschwert. Ich verbinde mit der Siedlung vor allem einen gewissen Menschenschlag. Es herrschte der Stolz auf die eigene Arbeits- und Widerstandskraft. Eine große Vitalität, eine fast notorische Unangepasstheit, eine Lust am und ein Sinn fürs Über-die-Stränge-schlagen. Darüber hinaus ist das Beifang meiner Kindheit eine Welt der Gärten. Als Kind streifte ich mit den Nachbarskindern durch die riesigen, zaunlosen Grundstücke der Kolonie in Banden umher und dabei bekamen wir sozusagen aus den Augenwinkeln die tollsten menschlichen Typen, Temperamente und Tragödien mit. Vieles davon ist in den Roman eingeflossen.

Martin Simons kennt Selm gut. Er ist zur Lutherschule gegangen. Die steht nicht mehr. An ihrer Stelle entsteht gerade ein Gebäudekomplex. © Arndt Brede
Sie haben das Buch Ihrem Vater gewidmet. Warum?
Weil „Beifang“ über drei Generationen eine Geschichte von Vätern und Söhnen ist. Der Roman erzählt von der Beziehung zwischen Großvater und Vater, Vater und Erzähler und Erzähler und seinem eigenen Sohn. Und deshalb lag diese Widmung nahe – auch als Ausdruck meiner Dankbarkeit, dafür dass mein Vater für mich ein guter Vater war und ist.
Was würden Sie anders machen als Ihr Vater?
Ich habe vieles anders gemacht. Ich habe studiert, war im Ausland, lebe in der Großstadt. Aber im Wesentlichen folge ich doch seinem Beispiel und lebe mit und für meine eigene Familie.
Wie ist Ihre Beziehung zu Selm; kommen Sie noch ab und zu hierher?Recht oft. Vor allem mit meinen Kindern, für die Selm ihr Kindheitsparadies ist, in dem sie all das machen können, was in Berlin nicht so leicht möglich ist, im Garten und in der Natur spielen, ins nahe Freibad oder an den See gehen.
Ist das Thema „Selm“ für Sie auserzählt oder wird es weitere Romane von Ihnen geben, die in Selm spielen?
Es schwelt in mir noch ein Stoff, der in einem Dreiparteien-Zechenhaus in der Lange Straße spielt. Mehr will ich noch nicht sagen, außer, dass eine fiktionale Rückkehr wahrscheinlich ist.
Die Volkshochschule Selm hat angefragt, ob Sie zu einer Lesung nach Selm kommen würden. Wie realistisch ist das? Gibt es womöglich sogar schon einen Termin?
Ja, am Sonntag, 20. November 2022, um 16.30 Uhr. Es findet im „Selmer Hof“ statt. Darüber freue ich mich sehr. Denn bei „Bock“ habe ich früher oft Billard gespielt. Es ist schön, dahin noch mal zurückkehren zu können.