Abt Albert Dölken (hier beim Eröffnungsgottesdienst der zweitgrößten deutschen Wallfahrt im niederrheinischen Kevelaer) lädt zum Besuch des Prämonstratensertags in Cappenberg ein.

Abt Albert Dölken (hier beim Eröffnungsgottesdienst der zweitgrößten deutschen Wallfahrt im niederrheinischen Kevelaer) lädt zum Besuch des Prämonstratensertags in Cappenberg ein. © picture alliance/dpa

Kirche im Sinkflug: Warum Cappenberg an diesem Sonntag trotzdem feiert

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Missbrauch und Vertuschung: Krisenstimmung trübt den Katholikentag 2022 in Stuttgart. In Cappenberg indes feiern Katholiken aus dem ganzen Land - weil Krisen auch ihr Gutes haben.

Cappenberg

, 27.05.2022, 18:35 Uhr / Lesedauer: 3 min

Die Sitten sind verkommen in der katholischen Kirche. Das fängt beim verbotenen Sex an und endet beim Ämterkauf. Nächstenliebe und Feindesliebe, die zentralen Begriffe der christlichen Botschaft: nur noch leere Worthülsen. Die wenigen Reichen kämpfen um die Vorherrschaft, und die vielen Armen ums nackte Überleben. Das sind alles andere als gute Zeiten vor 900 Jahren. Und doch ist es ausgerechnet dieses Jahr 1122, an das sich die Menschen in Cappenberg und ihre Gäste an diesem Sonntag (29. 5.) fröhlich feiernd erinnern wollen. Mit gutem Grund, wie Albert Dölken sagt.

Der 62-Jährige ist seit mehr als 25 Jahren der Abt der Prämonstratenser in Duisburg-Hamborn. Das ist 70 Kilometer von Cappenberg entfernt. Dennoch ist es seine Abtei, die seit 1974 die Pfarrer für die Cappenberger Stiftskirche stellt. Der Grund für die enge Verbundenheit mit dem kleinen Ort auf der Nahtstelle zwischen Ruhrgebiet und Münsterland liegt in der Geschichte begründet.

Programm für Sonntag (29. 5.)
  • 10 Uhr Festmesse (wird auf das Schlossgelände übertragen und ist als Live-Stream zu empfangen).
  • 11.30 Uhr Gesprächsrunde mit Generalabt, Abt und Vertretern der Gemeinde.
  • 12.30 Uhr Festumzug mit Vereinen und Verbänden und Artisten über das Schlossgelände.
  • 14 Uhr Fest der Begegnung mit Kirchenführungen, Märchenerzählerin und Mitmachangeboten.
  • 14.30-16 Uhr Musikalisches Begleitprogramm durch „Well connected“.
  • 18 Uhr Abschlussgesang.

Die 1121 gegründete Gemeinschaft der Prämonstratenser, heute einer der größten Orden der katholischen Kirche, hatte ihr erstes Kloster im deutschsprachigen Raum genau hier.

Gottfried von Cappenberg am Tiefpunkt

Gottfried von Cappenberg verschenkt am 31. Mai 1122 seinen gesamten Besitz Norbert von Xanten. Der Spross einer reichen Familie hatte Luxus-Leben als Chorherr mit reichen Pfründen gegen das eines Asketen und Wanderpredigers eingetauscht und im französischen Prémontré ein Jahr zuvor den Reformorden gegründet, der alles besser machen wollte: die Prämonstratenser. Genau das Richtige für Gottfried, den Ritter aus Cappenberg, der zu diesem Zeitpunkt vor den Scherben seiner Existenz steht.

Gottfried von Cappenberg hat vor 900 Jahren den Grundstein gelegt für den Bau der gerade frisch renvierten Stiftskirche Cappenberg. Kloster und Kirche schmücken den Höhenrücken am Rande des Ruhrgebiets, wo einst die Burg Cappenberg stand.

Gottfried von Cappenberg hat vor 900 Jahren den Grundstein gelegt für den Bau der gerade frisch renovierten Stiftskirche Cappenberg. Kloster und Kirche schmücken den Höhenrücken am Rande des Ruhrgebiets, wo einst die Burg Cappenberg stand. © Günther Goldstein

Der Titelinhaber einer der mächtigsten Adelsfamilien Westfalens hatte im damaligen Streit zwischen Papst und Kaiser klar Position bezogen - gegen den Kaiser. In Münster hatte er mit seinem Bruder Otto und anderen gegen kaiserliche Truppen gekämpft und einen entscheidenden Fehler gemacht. Der Dom, wohl das beeindruckendste Bauwerk weit und breit, geriet in Flammen und brannte komplett ab - seinetwegen. Jetzt droht die Reichsacht - wegen des Kaisers. Und die ewige Verdammnis - wegen des ruinierten Gotteshauses. Von einem existenziellen Problem zu sprechen, wäre noch eine Untertreibung. Norbert von Xanten scheint ihm das zu geben, was ihm nicht mehr möglich schien: einen echten Neuanfang.

Von 1122 bis 1803 war Cappenberg Kloster

Gottfried verzichtet auf Macht und Privilegien und schenkt Norbert von Xanten den gesamten Familienbesitz inklusive der Burg Cappenberg, der einzigen Höhenburg des Münsterlandes. Sie wird ein mächtiges Kloster - und bleibt es bis zur Säkularisation 1803. „Norbert und Gottfried haben in der damaligen Krisenzeit Menschen zusammengeführt und einen Weg gefunden, wieder auf einen Nenner zu kommen und sich nicht weiter zu zersplittern“, sagt Abt Dölken. Ihm macht das Mut angesichts der aktuellen Krise in der Kirche.

Gottfried von Cappenberg  hat seinen Besitz Ende Mai 1122 dem damals jungen  Prämonstratenserorden geschenkt: die wirtschaftiche Basis für die weitere Entwicklung der Gemeinschaft. In der Cappenberger Kirche erinnern gleich mehrere künstlerische Darstellungen daran - wie hier am Hochaltar.

Gottfried von Cappenberg hat seinen Besitz Ende Mai 1122 dem damals jungen Prämonstratenserorden geschenkt: die wirtschaftliche Basis für die weitere Entwicklung der Gemeinschaft. In der Cappenberger Kirche erinnern gleich mehrere künstlerische Darstellungen daran - wie hier am Hochaltar. © Sylvia vom Hofe

„Das ist die entscheidende Frage: Was ist authentisches Christentum?“ Für eine Antwort blickt Dölken nicht nur 900 Jahre zurück, sondern mehr als 2000 Jahre. Die allerersten Christen, die Jesus noch persönlich kannten, seien das Vorbild: ihr Leben in Gütergemeinschaft und in Sorge um die Armen. Welche Antworten die Urkirche im Aufbruch für die heutige Kirche im Niedergang hat? Auf jeden Fall keine schnellen Antworten, sagt Dölken. „Die gab es nie. Auch damals haben die Menschen sich lange das Hirn zermartert und nach Lösungen gesucht.“

Chef aus Rom feiert am Sonntag mit

Wie heute auf dem Synodalen Weg: dem seit 2019 laufenden Reformprozess, bei dem es um die katholische Sexualmoral, den Umgang mit Macht, die Stellung der Frau und die priesterliche Pflicht zur Ehelosigkeit geht. Von den Ergebnissen werde abhängen, welche Rolle die Kirche künftig in der Gesellschaft spielen wird, sagte Bundespräsident Steinmeier zu Beginn des Katholikentags 2022 in Stuttgart.

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Das hört sich nicht nach Party an. Genau die wollen aber Abt Dölken und seine Mitbrüder - darunter auch der weltweite Chef der Prämonstratenser, Generalabt Jos Wouters (62) - , die katholische Kirchengemeinde St. Johannes Cappenberg und die ganze Region am Sonntag feiern. Aus Sicht der Nachfolger von Gottfried und Norbert besteht dazu Grund.

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Hussiten- und Türkenkriege und die Säkularisationen des 18. und 19. Jahrhunderts hatten den Orden der Prämonstratenser fast völlig vernichtet. Heute ist er wieder weltweit mit etwa 1300 männlichen und weiblichen Mitgliedern und rund 80 selbstständigen Klöstern vertreten, davon die Hälfte in Übersee. In Magdeburg - und auch dort sind Prämonstratenser aus Hamborn aktiv - entsteht gerade ein Klosterneubau.

Einladung zum Mitfeiern trotz Krise

„Klar, zurzeit sind wir hier im Westen im Sinkflug“, stellt Abt Dölken fest. Da lasse sich sagen: „Schade, dass wir in diese Zeit geboren wurden. Ich sage aber, spannend, dass es so ist.“ Kraft, die selbst gemachten Probleme zu lösen, könne auch der Blick auf die Vorbilder geben. Und auf die Mistreiterinnen und Mitstreiter. „Hier in Cappenberg gibt es eine lebendige, herzliche Gemeinschaft“ - auch kein Hort der Seligkeit, aber ein Platz, an dem die Krisen der Gegenwart an diesem Sonntag (29. 5.) zwischen 10 und 18 Uhr auch einmal in den Hintergrund treten dürfen, um der Freude für alles, was auch gelingt, Platz zu machen. Jeder ist beim Fest auf dem Schlossgelände mit Gottesdienst, Ständen, Umzug, Essen und Trinken und Musik willkommen.

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