Die Vereinbarung, die die Stadt Selm und die Gemeinde Nordkirchen im Mai 2021 getroffen hatten, gehört zu den eher ungewöhnlichen Kooperationen. Nicht aus sozialer Sicht. Dass Selm sich bereit erklärt hatte, bei Bedarf Flüchtlinge, die der Gemeinde Nordkirchen zugewiesen sind, aber dort wegen mangelnder Kapazitäten nicht untergebracht werden können, in der Übergangsunterkunft in der Industriestraße in Selm vorübergehend aufzunehmen, ist als Verwaltungsakt ungewöhnlich. Weil die Vereinbarung kommunale Grenzen, die Grenzen zweier Kreise (Unna und Coesfeld) und die Grenzen zweier Regierungsbezirke (Arnsberg und Münster) überschreitet.
Bis zu 20 Flüchtlinge – so hieß es damals – könne Selm im Fall der Fälle aus Nordkirchen aufnehmen. Zum Tragen gekommen ist diese Vereinbarung schon mehrfach. Derzeit seien 16 Geflüchtete, die Nordkirchen zugewiesen sind, in der Industriestraße untergebracht. Das hat Selms Beigeordnete Sylvia Engemann am Donnerstag in der Sitzung des Selmer Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschusses berichtet.

In der Zuweisungspflicht
Unterdessen hat die Gemeinde Nordkirchen jüngst erklärt, dass Wohnraum für Flüchtlinge aktuell in der Schlossgemeinde knapp ist. Und doch wird die Vereinbarung zwischen beiden Kommunen ausgesetzt? „Wir als Stadt Selm sind auch weiter in der Zuweisungsverpflichtung“, sagt die Selmer Beigeordnete. Das bedeutet, dass sie Flüchtlinge mit Wohnsitzauflage, die ihr zugewiesen sind, auch tatsächlich aufnehmen muss. Dabei handele es sich um anerkannte Flüchtlinge.
Was diese Flüchtlinge betrifft, liege Selm bei einer Aufnahmeerfüllungsquote von 87,88 Prozent. „Wir sind als Kommune dafür verantwortlich, dass diese Menschen auch im Stadtgebiet untergebracht werden.“ Sollte die Stadt Selm keinen Wohnraum zur Verfügung stellen können, kommen die Übergangsheime in Frage.
Rein rechnerische Größe
87,88 Prozent Erfüllungsquote? Da ist noch Luft nach oben, um doch weiter Flüchtlinge aus Nordkirchen aufnehmen zu können, sollte man meinen. „Rein rechnerisch könnten wir in der Einrichtung an der Industriestraße bis zu 200 Personen unterbringen“, sagt Sylvia Engemann. In der Praxis seien aber unter anderem Familien unterzubringen, so dass die theoretische Größe von 200 wegen des Platzbedarfs von Familien nicht realistisch ist. „Zurzeit leben 114 Personen in der Einrichtung an der Industriestraße“, berichtet die Beigeordnete. Bis zum Jahresende sei es möglich, Flüchtlinge aus Nordkirchen dort unterzubringen. „Aber wir wissen alle nicht, wie es dann weiter geht.“ Selm müsse auf jeden Fall Kapazitäten vorhalten, „damit wir nicht andere öffentliche Gebäude, wie beispielsweise Turnhallen, belegen müssen“.
Gleichwohl habe die Stadt Selm mit der Gemeinde Nordkirchen vereinbart, dass Selm kurzfristig, wenn es denn möglich sei, immer aushelfen könne und wolle.
In der Notunterkunft des Landes auf dem Gelände des LAFP in Bork - umgangssprachlich Zeltstadt genannt - leben zurzeit rund 400 Menschen, „die ständig wechseln und anschließend auf andere Orte in der Republik verteilt werden“, wie Sylvia Engemann ausführt. Die Hälfte dieser Menschen werde Selm auf das Kontingent der Asylbewerberleistungsquote angerechnet. „Deswegen erfüllen wir diese Quote zu 144 Prozent im Moment über.“ Doch dies bedeute nicht, dass Selm keine Flüchtlinge mehr zugewiesen bekomme, macht die Beigeordnete deutlich. „Das ist der aktuelle Stand, der sich aber auch immer ändern kann.“
Derzeit seien dank eines kleinen Puffers in der Einrichtung in der Industriestraße aber weitere Flüchtlinge, die Selm zugewiesen werden, gut unterzubringen. 15 Flüchtlinge seien Selm im Oktober zugewiesen worden.
Keine kommunalen Flüchtlinge
In der Ausschusssitzung ging Dr. Hubert Seier (UWG) nochmal auf die Vereinbarung zwischen Selm und Nordkirchen ein. „Wir sind ja eine Verpflichtung eingegangen. Manchmal ist ja auch kurzfristige Hilfe nötig. Wäre es möglich, dass Flüchtlinge aus Nordkirchen in der Zeltstadt untergebracht werden können?“ Antwort der Beigeordneten: „Bei der Notunterkunft handelt es sich um eine Landesunterkunft. Es ist quasi eine Überlaufeinrichtung für die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum.“ Menschen, die mangels Kapazitäten dort in Bochum nicht untergebracht werden können, werden nach Bork gebracht, übernachten für eine Nacht dort, werden dann nach Bochum zurückgebracht, wo sie registriert werden. Es bestehe in der Zeltstadt als Landeseinrichtung keine Möglichkeit, kommunale Flüchtlinge unterzubringen.
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