Das steht im Gegen-Gutachten zu Kreuzkamp-West

Geograf untersuchte Gebiet

Die Bürgerinitiative hat am Donnerstag neben Unterschriftenlisten ein zentrales Dokument an die Stadtverwaltung überreicht: ein Gutachten zum Naturraum Am Kreuzkamp-West. Hier soll ein Baugebiet entstehen - doch die BI "Freiraum erhalten" will das verhindern. Wir haben uns durch das Gutachten gewühlt, das einigen Behauptungen aus den bisher vorliegenden Gutachten widerspricht.

SELM

, 20.03.2015, 06:26 Uhr / Lesedauer: 3 min
Am Kreuzkamp West. Hier soll ein neues Baugebiet entstehen. Die Bürgerinitiative "Freiraum erhalten" wehrt sich dagegen.

Am Kreuzkamp West. Hier soll ein neues Baugebiet entstehen. Die Bürgerinitiative "Freiraum erhalten" wehrt sich dagegen.

Das Gutachten erstellte Biogeograf Dr. Götz Heinrich Loos von der Ruhr-Universität Bochum, der nach eigener Aussage das Gebiet selbst gut kennt und es inzwischen dreimal vor Ort inspiziert hat. Das sind die wichtigsten Punkte aus dem Gegen-Gutachten:

  • Das Fazit: „Es konnten beträchtliche fachlich relevante Mängel in den von der Stadt Selm bestellten Gutachten festgestellt werden, denen gegenüber die eigenen, nur an wenigen Terminen durchgeführten Erfassungen konkretere Ergebnisse auch seltener und gefährdeter Arten sowie Biotoptypen und Pflanzengesellschaften erbracht haben. Die Artenschutzprüfung wie auch die Biotopbewertungen in den Landschaftspflegerischen Begleitplänen können deshalb nicht als gültig betrachtet werden. Es erscheint dringend angeraten, auch das LANUV einzubeziehen und durch seine Mitarbeiter eine Biotopkartierung im Planungsraum durchführen zu lassen. Bei der bestehenden Sachlage ist in jedem Fall eine Bebauung des Planungsgebietes abzulehnen.“
  • Thema Lückenschließung im "Innenbereich": „(...) handelt es sich bei dem vorhandenen Landschaftsbild nicht um einen charakteristischen ,Innenbereich‘, sondern um einen vorherrschend landwirtschaftlich genutzten, landschaftlich charaktervollen Freiraum, wie er typisch für die alte Münsterländische Parklandschaft ist, dabei Strukturelemente enthält, die im Zuge der landwirtschaftlichen Intensivierung, aber auch der Siedlungsausdehnungen immer weiter zurückgegangen sind. Es sei daran erinnert, dass Kreise und Kommunen in den letzten Jahren Bekenntnisse zum Freiraumschutz abgelegt haben (...) Dies wiegt im vorliegenden Fall umso schwerer, als Alternativen für die Beanspruchung des genannten Gebietes vorliegen, weil die innerstädtischen Baulücken bei Weitem nicht ausgereizt sind.
  • Thema Naherholungsgebiet: "Dass es sich um einen bedeutenden Naherholungsraum für die Bewohner der bestehenden angrenzenden Siedlungen handelt, ist nicht zu bezweifeln, denn bei gutem Wetter können hier in der Tat zahlreiche Menschen bei Spaziergängen, Ausführungen der Hunde, Rad fahren etc. beobachtet werden. Der Freiraum ist demnach mit großer Sicherheit ein bedeutendes Naherholungsgebiet. Einzelne unsystematische Nachfragen bei Spaziergängern belegen, dass das Gebiet hinreichend landschaftlich reizvoll ist, hier seine Naherholung zu suchen als weit weg zu fahren. Es ist daher unbegreiflich, warum dieser Aspekt bei den Begutachtungen offenbar nicht systematisch untersucht wurde. (...)"
  • Thema Artenvielfalt: "Erhebungsmethoden, -zeiträume und Bewertungen sind jedoch teilweise mangelhaft (möglicherweise bedingt durch geringe Finanzmittel im Rahmen der Aufträge, die eine systematische Eigenerhebung unmöglich gemacht haben können), wodurch sich in der vorliegenden Stellungnahme teilweise andere Bewertungen ergeben und zumindest bezüglich der Artenschutzrechtlichen Prüfungen ein durchweg negatives Fazit gezogen werden muss."
  • Thema Pflanzenvielfalt: "Die Bestandsaufnahme und Wertermittlung der Biotoptypen/Flächennutzungen erfolgte nach der Methode des Kreises Unna. Dabei bleiben pflanzensoziologische Erfassungen und Bewertungen außen vor, die aber hier von Bedeutung sein könnten. (...) Die Vorschläge zeigen keinen Ersatz für den Großteil der Biotope und auch die Struktur beispielsweise der Brombeerhecken kann auf diese Weise nicht erhalten werden. Die Pflanzvorschläge belegen außerdem ein großes Kenntnisdefizit der landschaftstypischen Gegebenheiten und Strukturen. (...) Die Gutachter liegen sicherlich richtig, wenn sie im Gebiet bei den Biotoptypen/Strukturen vorherrschend geringe bis mittlere Wertigkeiten sehen. Allerdings bestehen auf Sandböden, die das Planungsgebiet weitestgehend ausmachen, Möglichkeiten zur Verbesserung der Biotope z. B. bei Düngungsreduktion."
  • Thema Ersatzmaßnahmen, die im Baugebiet geplant sind: "Die Biotopbewertungen sind aufgrund einer zu stark generalisierenden, nicht adäquaten Kartierungs- und Bewertungsgrundlage unzureichend und realitätsfern. Mögliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bzw. Gehölzpflanzungen sind nicht charakteristisch für den betreffenden Planungsraum und deshalb in dieser Form nahezu gänzlich abzulehnen. (...)"
  • Thema Tier-Vorkommen: "Hier werden Zufallsfunde einer Begehung vom 11. Dezember (!) 2013 genannt. Eine einzelne Begehung, diese im Spätherbst (also weit außerhalb der Brut- und Aufenthaltszeit der meisten Tierarten) und die Nennung von Zufallsfunden, also nicht systematischen Erhebungen, kann allenfalls eine extrem beschränkte Relevanz für die Zielsetzung beanspruchen; sie muss vielmehr als realitätsfern angesehen werden.
  • Thema Ergebnisse eigener Erkundungen: "Der Gutachter kennt das Untersuchungsgebiet seit etwa 1986 und hat es seitdem immer wieder aufgesucht, dabei die vorkommenden Tier- und Pflanzenarten, die Vegetation sowie strukturelle Elemente studiert und erfasst. Grundsätzlich konnte eine Verschlechterung des Zustandes über die Jahre in Folge der Intensivierung der Landwirtschaft festgestellt werden. Dennoch haben sich einige durchaus wertvolle Strukturen und Elemente sowie einige bemerkenswertere Arten und Gesellschaften erhalten. 2014 wurde das Gesamtgebiet an drei Terminen innerhalb der Vegetationsperiode in Augenschein genommen und kartiert. (...) Bei den Heckenstreifen entlang des Grenzweges im Süden und entlang des Grünlandes nahe der westlichen Gebietsabgrenzung handelt es sich um Brombeerhecken. Derartige Heckenstrukturen sind in der durch Intensivlandwirtschaft und ,Vermaisung' geprägten Landschaft um Selm selten geworden, da sie den Bearbeitungsmaschinen im Weg sind. (...) Ackertypische Vogelarten, die überwiegend extrem stark zurückgegangen sind, konnten bis dato nicht nachgewiesen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie dort fehlen. Vielmehr ist eine intensive Nachuntersuchung notwendig, die nicht mit einem Erfassungstermin erledigt ist."