
© Heiko Mühlbauer
Ex-Hotel Drei Linden enteignet: Staat zahlt Maurice Giesberg 15.500 Euro für 1440 m²
Enteignung
Wer in Schwerte ein Grundstück kaufen will, muss für gewöhnlich tief in die Tasche greifen. Nicht so die Bundesrepublik: Für 15.500 Euro erhielt sie 1440 qm an der B236 durch Enteignung.
Wenn Maurice Giesberg über sein Grundstück an der Hörder Straße geht, ballt er die Fäuste in der Tasche. An der Lärmschutzwand zur Autobahn ist noch die Hausnummer mit gelber Farbe aufgepinselt. Eine große 92 und ein Pfeil, denn hier war einmal die Einfahrt zum Hotel Drei Linden.
Das gibt es seit etlichen Jahren nicht mehr: Denn das Hotel lag im Bereich der geplanten Trasse für einen Ausbau der B236. Jetzt ist auch das Gebäude abgerissen, Berge von neuem Mutterboden und abgetragenem Asphalt sind auf dem Grundstück zurückgeblieben.
2008 bei Versteigerung gekauft
Im Juli 2008 hatte Giesbergs Vater Helmut das damals schon marode Hotel bei einer Versteigerung für 52.000 Euro erworben. Im Winter bot er es dann dem Landesbetrieb Straßen NRW an. Denn der hatte bereits zwei Jahre zuvor mit einem Planfeststellungsverfahren für den Ausbau der B236 begonnen.
Doch die Regionalniederlassung Ruhr lehnte dankend ab. Man brauche nur einen kleinen Streifen zur Erweiterung des Gehwegs und einen 22 Quadratmeter großen Arbeitsstreifen während der Bauphase, lautete die schriftliche Antwort.

Das ehemalige Hotel Drei Linden an der Hörder Straße wurde für den Ausbau der B236 abgerissen. © Reinhard Schmitz (A)
59.690 Euro steckte er in den folgenden sieben Monaten in die Sanierung, überwiegend in ein Nebengebäude. „Nachweislich durchgeführte belegbare Investitionen“, steht handschriftlich in einem Deckblatt eines Aktenordners, in dem er die Rechnungen dafür abgeheftet hat.
Insgesamt will Giesberg senior rund 112.000 Euro für den Kauf inklusive Investitionen ausgegeben haben. Wie kommt es also, dass der Staat heute für dieses Grundstück gerade einmal die Notarkosten und Grundsteuern erstattet?
2013 ein Kaufangebot über 123.000 Euro
Alles begann im Jahr 2013: Damals kam der Landesbetrieb Straßen NRW auf Giesberg senior zu, um einen Ankauf der Immobilie zu verhandeln. Denn damals glaubte man, der geplante Ausbau der B236 würde zeitnah stattfinden und hatte nun doch Interesse an dem Grundstück. Und zwar an der gesamten Fläche.

Mit dem Opel vorfahren: So sah das Hotel Drei Linden an der Hörder Straße 92 zu seiner Blütezeit aus. © Franz Schwieder/Stadtarchiv
Für den Straßenbau bräuchte man weiterhin einen kleinen Streifen Land. Weil aber innerhalb der ampelgeregelten Autobahnzufahrt keine Einfahrten zu Grundstücken mehr entstehen sollten, bräuchte man das gesamte Gelände, argumentiert die Deges (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH).
Doch der Eigentümer wollte nun nicht mehr verkaufen, er suchte ein Tauschobjekt. Das konnte der Landesbetrieb damals nicht bieten. Man selber verfüge über keine Immobilien und die Stadt Schwerte habe nichts im Portfolio, hieß es.
Deshalb bot man 123.500 Euro für das Grundstück „mit aufstehenden Gebäuden“ an. Zu wenig, befand Helmut Giesberg, denn das decke ja nur knapp die eigenen Investitionen.
Im Nachhinein ein Fehler: Es sollte das letzte Mal sein, dass der Staat für dieses Grundstück einen nennenswerten Betrag geboten hatte.
Gutachter boten 2017 noch 38.000 Euro
Denn nun kamen Gutachter ins Spiel, die von den jeweils zuständigen Behörden beauftragt wurden. Und mit jedem Gutachten sank der ermittelte Wert des Grundstücks, von zunächst rund 50.000 Euro auf dann im Jahr 2017 noch 38.000 Euro – bis man bei jenen 15.500 Euro landete, die von der Enteignungsstelle festgesetzt wurden.
Dazwischen lag ein Verhandlungsmarathon vor allem mit einer Agentur, die für die Bundesrepublik Grundstücke ankauft. „Die gehen vor wie eine Drückerkolonne“, sagt Maurice Giesberg, der 2017 die Immobiliengeschäfte und damit auch das Grundstück an der Hörder Straße von seinem Vater übernommen hatte.
Streitpunkt waren die Altlasten
Einer der großen Streitpunkte waren die Altlasten auf dem Grundstück. Die waren schon beim Kauf bekannt, die Fläche ist im Altlastenkataster des Kreises eingetragen. Lange hatten sich die Giesbergs gegen eine Altlastenuntersuchung gewehrt. Denn sie wussten, dass dies zur Wertminderung des Grundstücks dienen würde.
„Solange ich den Boden nicht aufreiße, hätte ich auch nicht sanieren müssen“, argumentiert der Eigentümer. Die Gutachter ließen das nicht gelten und zogen die Kosten für die Entsorgung vom Grundstückswert ab. Maurice Giesberg ist überzeugt: Da wurde nicht alles entsorgt, nur der Asphalt abgetragen. „Ich kenne das Grundstück doch.“

Der Anbau des ehemaligen Hotels Drei Linden wurde kurzzeitig als „Hausfrauenpuff“ genutzt. © Reinhard Schmitz (A)
Die Deges, die bundeseigene Baugesellschaft, die mit dem Bau der Straße und damit letztlich auch mit den Grundstücksgeschäften beauftragt ist, bestätigte allerdings auf Redaktionsanfrage: „Die vorgefundenen Altlasten im genannten Objekt wurden fachgerecht entsorgt. Dies wurde von der Bauüberwachung und der Umweltbaubegleitung des Gesamtprojektes B236 begleitet. Es handelte sich um eine Komplettsanierung der Altlasten.“
Laut Bodenrichtwert ist das Grundstück 270.000 Euro wert
Besonders ärgert Giesberg, dass das letzte Wertgutachten vom 20. Februar 2020 vom Gutachterausschuss des Kreises Unna verfasst wurde. Der befand, dass abzüglich aller Entsorgungskosten das Grundstück jene rund 15.500 Euro wert sei.
In seiner eigenen Bodenrichtwertkarte, Boris.NRW.de, wird der Bodenrichtwert für das Grundstück Hörder Straße 92 allerdings aktuell mit 190 Euro pro Quadratmeter angegeben. Das würde umgerechnet rund 270.000 Euro ergeben.
Grundsätzlich ersetzt der Bund den Besitzern enteigneter Grundstück auch einen Ertragswert. Doch da war beim Hotel Drei Linden nichts zu holen. Denn das Grundstück lag ja schon lange in jenem Bereich, in dem die B236 ausgebaut werden sollte. Der einzige Pächter war zuletzt ein Kleingewerbetreibender, der hier unentgeltlich Material lagern durfte und als Gegenleistung das Areal halbwegs in Ordnung hielt.
Kosten der Gutachten behält Deges für sich
Ob das Grundstück für den Straßenbau für die Bundesrepublik durch die Enteignung nun günstiger war, als wenn man den Eigentümer großzügiger entschädigt hätte? Sicher ist das nicht. Denn über die Kosten für drei Wertgutachten, eines über die Altlasten und das provisionsfreie Honorar für den vergeblichen Ankauf durch die Immobilienagentur, will die Deges keine Auskunft geben.
„Es wurden zwei Verkehrswertgutachten erstellt, ein Gutachten im Auftrag von Straßen NRW sowie das zweite von der Deges. Ein weiteres Gutachten wurde von der Bezirksregierung Arnsberg in Auftrag gegeben. Die Kosten trägt der Baulastträger, zur Höhe geben wir keine Auskunft“, so die Antwort der Deges auf die Anfrage der Redaktion.
Maurice Giesberg klagt übrigens gegen den Enteignungsbeschluss. Doch bis es da ein Urteil gibt, kann es dauern.
Ist mit Überzeugung Lokaljournalist. Denn wirklich wichtige Geschichten beginnen mit den Menschen vor Ort und enden auch dort. Seit 2007 leitet er die Redaktion in Schwerte.
