Dr. Wolf geht nach Tirol: „Als Workaholic muss ich mich an das neue Leben gewöhnen“

© Heiko Mühlbauer

Dr. Wolf geht nach Tirol: „Als Workaholic muss ich mich an das neue Leben gewöhnen“

rnTierarzt verlässt Schwerte

Vom Mann mit der Boa Constrictor bis zum Hundehalter – die Patienten, die Dr. Wolf in den vergangenen 30 Jahren betreute, waren sehr unterschiedlich. Dabei wollte der Tierarzt nie ins Ruhrgebiet.

Schwerte

, 24.12.2021, 16:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Bislang waren die wenigen Parkplätze an der Schützenstraße nahezu rund um die Uhr besetzt. Und vor der Praxis standen Menschen mit ihren Hunden oder Katzen in der Katzenbox und warteten geduldig. Am Mittwochmittag sieht das anders aus. Der Parkplatz ist frei und die Praxis nahezu leer. So langsam nähert sich der Abschied. Am 31. Dezember um 12 Uhr will Dr. Stefan Wolf seine Praxis schließen.

Den Tierarzt zieht es nach Tirol, dort soll er im Februar in eine Tierarztpraxi einsteigen. Für die Praxis in Schwerte, eine der größten Tierarztpraxen der Region, findet sich kein Nachfolger.

Interview im spartanischen Behandlungszimmer

Das vermutliche letzte Interview, das ich mit Wolf führe, findet konsequenterweise in einem der Behandlungszimmer statt. Zwei Stühle und ein Behandlungstisch – ein Verdampfer mit ätherischem Öl verbreitet einen Duft, der eher an Weihnachten als an eine Tierarztpraxis erinnert.

Hund Steini war von größeren Hunden schwer verletzt worden. Dr. Stefan Wolf rettete ihm in einer dreistündigen Operation das Leben.

Hund Steini war von größeren Hunden schwer verletzt worden. Dr. Stefan Wolf rettete ihm in einer dreistündigen Operation das Leben. © Bernd Paulitschke

„Es hat uns schon sehr überwältigt“, sagt Wolf über die Abschiedsbekundungen seiner Patienten. Viele waren wehmütig, manche auch bestürzt. „So hatten wir uns das nicht gedacht, das hat uns überrollt“, sagt er. Das Team habe Schokolade, Getränke und Wein für Monate geschenkt bekommen.

Silvestermittags soll die Praxis dann nach 30 Jahren in Schwerte abgeschlossen werden. Dann wollen wir noch mal bei einem Wein zusammenkommen. „Zumindest alle, die keinen Dienst haben.“ Denn die Praxisangestellten sind alle in anderen Praxen untergekommen.

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Vom Saarland nach Berlin zum Studium

Aufgewachsen ist der Veterinär im Saarland: Dort hatten seine Eltern einen Rinderbetrieb. Eigentlich wollte er auch Tierarzt für große Tiere werden. Das war zumindest während des Studiums in Berlin der Plan. Doch es kam anders.

Denn 1988 gab es noch viele Tierärzte und weniger Tiere. Wolf suchte nach dem Studium eine Assistentenstelle. Schon damals wollte er eigentlich nach Süddeutschland, irgendwohin, wo es Berge gibt. Doch wo immer er sich bewarb, gab es keine Stelle.

Schon am Eingang werden die Patienten darauf hingewiesen, dass die Praxis bald schließt.

Schon am Eingang werden die Patienten darauf hingewiesen, dass die Praxis bald schließt. © Heiko Mühlbauer

Tierarzt mit Katzenerfahrung gesucht

Seine Praktika hatte er bei einem Tierarzt in Witten gemacht, dem klagte er dann auch sein Leid. Und der wusste Rat: In Dortmund praktiziere sein bester Freund und der brauche dringend einen Assistenten. „Im Juli bin ich dann ins Ruhrgebiet gefahren und habe mich vorgestellt.“ In Dortmund, in der Stadtmitte, lag die Praxis. Doch trotz der Empfehlung aus Witten wurde er abgelehnt. Man brauche niemanden, der quasi keine Erfahrung mit Katzen habe. Und Rinder sind in der Dortmunder Innenstadt wohl selten in Tierarztpraxen zu finden.

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Schwertes Vorteil: Es war ein bisschen hügelig

„Also bin ich zurück nach Berlin und war niedergeschlagen“, erzählt Wolf. Telefonisch klagte er seinem Mentor sein Leid. Der erwiderte nur: „Den ruf ich sofort an.“ Über das Gespräch erfuhr Wolf später nur, dass es kurz und sehr direkt gewesen sei. Und ob der Dortmunder Arzt ihn damals annahm, weil er seine Freundschaft mit dem Kollegen aus Witten nicht gefährden wollte, oder weil der ihn überzeugt hatte, weiß Wolf nicht.

Fest steht: Seine erste Stelle als Tierarzt nahm er in Dortmund an. In einer Kleintierpraxis mit Spezialisierung auf Katzen. Als es dann 1993 an der Zeit war, ein eigene Praxis zu eröffnen, entschied er sich für Schwerte. „Ich wollte in eine kleinere Stadt und es sollte, wenn schon nicht bergig, dann wenigstens ein bisschen hügelig sein.“ Die ersten Jahre waren schwierig, weil damals noch kein Mangel an Veterinären bestand. Eine neue Praxis musste sich behaupten.

Reptilien sind beim Tierarzt eher selten Patienten. Hier ein Bild vom Tierarztbesuch beim Ferienspaß der Stadt.

Reptilien sind beim Tierarzt eher selten Patienten. Hier ein Bild vom Tierarztbesuch beim Ferienspaß der Stadt. © Archiv

Doch Wolf überzeugte auch durch seinen unermüdlichen Einsatz. Nahezu rund um die Uhr war seine Praxis geöffnet, und wenn sie tatsächlich mal zu war, konnte man den Tierarzt immer noch über das Handy anrufen.

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Einmal kam jemand mit einer Schlange um den Hals

Meistens waren es Hundehalter oder Katzenbesitzer, die seine Praxis nutzten. Aber manchmal kamen auch exotische Patienten. Wie der Mann mit der Boa Constrictor, die er klassisch um den Hals gewunden in die Praxis trug. Es handelte sich um einen Schlangenfan, der, wie Wolf später erfuhr, sehr professionell seine Tiere unter fast zooähnlichen Bedingungen hielt.

Praxiseinrichtung geht zum Teil an den Tierschutz

Was passiert eigentlich mit der Einrichtung der Praxis? „Einen Teil der Sachen nehme ich wahrscheinlich mit“, sagt Wolf. Doch die Praxis in Gnadenwald, in die er einsteigt, hat bereits einiges an Einrichtung. Für den Rest gibt es quasi keinen Markt, da Gründungen von Tierarztpraxen mittlerweile äußerst selten sind. „Einige Sachen werde ich zu einem fairen Kurs an befreundete Praxen abgeben, der Rest geht an den Tierschutz.“

Auch verletzte Katzen landeten in der Tierarztpraxis Dr. Stefan Wolf. Dieser kleine Bursche wurde von Tierarzthelferin Gabi Bollier aufgepäppelt.

Auch verletzte Katzen landeten in der Tierarztpraxis Dr. Stefan Wolf. Dieser kleine Bursche wurde von Tierarzthelferin Gabi Bollier aufgepäppelt. © Manuela Schwerte

Ab Mitte Januar will Wolf dann Zug um Zug seine Sachen nach Tirol bringen. Einen Umzugswagen habe er nicht bestellt, er werde immer wieder zwischen Schwerte und Gnadenwald hin- und herpendeln. Die Kollegen hoffen, dass er bereits Mitte Februar wieder in die Arbeit einsteigen kann.

Hobbys: Motorradfahren und die Berge

Was zieht den Schwerter Veterinär nach Tirol? „Vor allem die Berge“, sagt er. Die und das Motorradfahren sind Wolfs Hobbys. Ob im Sommer bei Bergtouren oder im Winter beim Skifahren. Und Schnee läge in diesem Jahr in Tirol besonders viel.

Als ihn in den vergangenen Wochen der Abschiedsschmerz seiner Patienten mit voller Wucht traf, habe er sich gar nicht auf den neuen Lebensabschnitt freuen können. Doch in der vergangenen Woche habe er seine Skisachen in den Flur geschafft. „Da komme ich dreimal am Tag vorbei und das sorgt für Vorfreude.“ Und seine Motorradtruppe, mit der habe er bereits in diesem September einen Ausflug nach Tirol unternommen.

„Geben Sie anderen Tierärzten eine Chance“

Nun gelte es nur noch, sich als Workaholic an das neue Leben mit mehr Freizeit zu gewöhnen, sagt er. Und dann wendet er sich noch einmal an seine Patienten: „Es tut mir leid, dass die Schließung gerade zu so einem ungünstigen Zeitpunkt erfolgt. Aber geben Sie dem Kollegen, zu dem Sie dann gehen, eine Chance.“ Gerade in der Tiermedizin seien die Therapieansätze, anders als in der Humanmedizin, sehr unterschiedlich.

In Österreich ist übrigens der Tierarztmangel noch größer als in Deutschland. Deshalb freuen sich die Kollegen dort ganz besonders auf den Zuwachs aus Schwerte.

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