Bedarf an Psychotherapie in Schwerte nicht gedeckt
Lange Wartezeiten
Wenn Stress, soziale Probleme oder sonstige Faktoren zu depressiven Verstimmungen oder sogar zu einer Depression führen zählt vor allem schnelle Hilfe. Doch obwohl die Therapieplatz-Angebote rein statistisch ausreichen sollten, sieht die Realität anderes aus. Das bestätigen auch Schwerter Psychologen.
Die Bedarfsplanung von Psychotherapeuten richtet sich in den verschiedene Städten und Kreisen nach der Einwohnerzahl. „Auf 8864 Einwohner muss jeweils ein Psychotherapeut kommen. Mit 112 Psychotherapeuten haben wir im Kreis Unna eine statistische Erfüllungsquote von 179,5 Prozent“, erklärt Jens Flintrup, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL).
Auch in Schwerte ist die Versorgung statistisch gesehen mehr als erfüllt. Bei 17 Praxen mit rund 30 Therapeuten für rund 47.000 Einwohner liegt die Quote auch hier über 100 Prozent. Allerdings müsse man dabei auch beachten, dass nicht jeder einen vollen Kassensitz innehat, sondern sich diesen mit einem Kollgen oder einer Kollegin teilt. Statistisch zählen die beiden damit nur als ein Therapeut. Dass die allgemeine statistische Erfüllung aber keinesfalls einfach auf die Realität zu übertragen ist, bestätigen ortsansässige Therapeuten.
Bis zu sechs Monate Wartezeit
„Ich wüsste niemanden, der in Schwerte einen freien Therapieplatz hat“, sagt Diplom-Psychologe Thomas Fischer. „Auf der Warteliste unserer Praxis standen teilweise 60 Leute. Zeitnah konnten wir für diese Menschen dann auch kein Angebot machen“, schildert der Psychologe das Problem. Wartezeiten könnten so bis zu sechs Monaten betragen. Ein Unding für den Psychologen.
Die Schwierigkeit bei diesen statistischen Einordnungen liege laut KVWL zudem auch in der komplexeren Behandlung eines Therapeuten. „Bei einem Hausarzt kann man die Behandlungszeit für einzelne Patienten leichter runter rechnen. Das ist in der Psychotherapie schwieriger“, sagt Flintrup. Denn die individuelle Bedürftigkeit psychisch kranker Menschen kann sehr verschieden sein und sich so auf die Behandlungszeit auswirken. Zudem könne auch ein Therapeut nicht durchgehend acht Stunden am Tag praktizieren, da die Behandlung auch für ihn eine Belastung darstellen kann.
Immer mehr psychologische Erkrankungen
Auch andere Psychotherapeuten kennen das Problem. In der Praxis von Martin Achenbach und Christine Lauterbach gebe es teilweise sogar 400 Anfragen bei 70 Behandlungsplätzen. Dass die Nachfrage in Schwerte so hoch ist, liegt für Diplom-Psychologin Katharina Sebastian unter anderem auch an der Tagesklinik der Ruhrstadt. „Durch diese haben wir ein sehr großes Einzugsgebiet. Allerdings ist die Situation in Schwerte ziemlich gut. In Bergkamen gibt es zum Beispiel nur zwei Kassensitze“, sagt Sebastian.
Ein weiteres Problem scheint der Anstieg psychischer Erkrankungen zu sein. Wie dem Gesundheitsreport der Barmer zu entnehmen ist, sind die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2010 von 3,0 auf 3,5 Tage gestiegen. Zudem seien psychische Erkrankungen nach Krankheiten am Muskel-Skelett-System der zweithäufigste Grund für Fehlzeiten.
Das verstärkt das Auftreten von psychischen Erkrankungen:
„Definitiv ist der Bedarf gestiegen. Gerade im Bereich der Psychotherapie gibt es viele Störungsmuster, die man vor zehn Jahren noch gar nicht erkannt hat“, erklärt Thomas Fischer. Veränderte Arbeitsbedingungen und schlechtere Absicherung im sozialen Bereich würden das Auftreten psychischer Erkrankungen zudem verstärken.
So will man die Situation verbessern:
Ein neues Gesetz, dass gerade auf Bundesebene verhandelt wird, soll zur Verbesserung der Situation beitragen. Jede Praxis soll dabei pro Woche verbindlich zwei Stunden für Akutsprechstunden anbieten. Allerdings sei laut Aussagen der Therapeuten die Vergütung dabei noch unklar. Außerdem sei einem Patienten, der sich in einer konkreten Krise befindet, nicht geholfen, wenn er im Anschluss daran keinen Therapieplatz findet.
„Wenn ein Patient nachweist, dass ihm bei mehreren Anfragen kein Platz angeboten werden konnte, kann er auch zu einem approbierten Kollegen oder einer Kollegin gehen, die keinen Kassensitz hat. Die Krankenkasse übernimmt dann meistens auch dort die Kosten“, sagt Fischer.
Allerdings sei das mit einem hohen Verwaltungsaufwand und einem hohem Maß an Disziplin verbunden. Das sei für einen Menschen in einer depressiven Phase, in der die Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt ist, kaum zu bewerkstelligen.