Auch im Kreis Coesfeld haben sich gerade in der Pandemie viele Menschen ein Haustier angeschafft. Gleichzeitig ist die Bedeutung der Tiere als Familienmitglied deutlich gestiegen.

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Schnelle Hilfe am Wochenende - neues Notdienst-Angebot der Tierärzte

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Im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern gibt es in NRW keine Notdienstverpflichtung bei Tierärzten. Doch seit dem 1. Januar gibt es im Kreis Coesfeld ein neues Angebot im Kleintierbereich.

Nordkirchen

, 06.01.2022, 08:26 Uhr / Lesedauer: 3 min

Langjährige Tierbesitzer kennen das Problem: Plötzlich geht es dem geliebten Hund oder der geliebten Katze richtig schlecht. Was tun? Eine Tierärztin oder einen Tierarzt zu finden, die/der kurzfristig weiterhelfen kann, kann zur besonderen Herausforderung werden. Eine Situation, die der Tierärztekammer Westfalen mit Sitz in Münster bewusst ist.

„Es ist nicht einfach, heute als Tierarzt/-ärztin Notdienst zu leisten“, räumt die Hauptgeschäftsführerin Dr. Mechthild Lütke Kleimann ein. Sie nennt auch Gründe für das Problem, das sich nach Einschätzung der Kammer in den letzten Jahren verschärft hat. „Kleinere Praxen haben häufig nicht die Personalstärke und/oder verfügen nicht über das notwendige Equipment.“ Dazu kämen weitere Probleme. Teilweise reagieren die Tierbesitzer mit Unverständnis, wenn sie sich in der Praxis gedulden müssen, weil gerade andere Tiere versorgt werden müssen.“

Eine Einschätzung, die Tierarzt Christoph Eismann von der gleichnamigen Nordkirchener Arztpraxis nur bestätigen kann. „Es gibt Menschen, die glauben, dass wir uns nur um ihr Tier kümmern.“ Bei einer Großtierpraxis wie der von Christoph Eismann kann es vorkommen, dass der Tierarzt während des Notdienstes zu einem Bauernhof herausfahren muss. Dass sich damit Wartezeiten verlängern, sei nicht zu vermeiden. Nicht das einzige Problem.

Behandlung im Notdienst ist deutlich teurer als an Werktagen

Der Tierarzt mit langjähriger Berufserfahrung stellt zudem immer wieder fest, dass viele gemeldete Notfälle „keine echten Notfälle sind“. Bei seinem ersten Einsatz im neu organisierten Notdienst im Kreis Coesfeld am vergangenen Wochenende hatte Tierarzt Eismann zwölf Anrufe. „Einbestellt habe ich in vier Fällen. Der Rest war telefonisch zu klären.“ Ausdrücklich weist der Nordkirchener Tierarzt darauf hin, dass eine Behandlung im „Notdienst deutlich teurer ist als in der Woche“ - so sei die Vorgabe der Gebührenordnung.

Ein Aspekt, den auch Dr. Norbert Schulze Thier (Ascheberg) herausstellt. Er ist Vorsitzender der Kreisstelle Coesfeld der Tierärztekammer Westfalen und hat sich intensiv um den Aufbau eines kreisweiten Notdienstes gekümmert. Norbert Schulze Thier räumt ein, dass „Überzeugungsarbeit“ notwendig war, um die Kolleginnen und Kollegen zur Mitarbeit im Notdienst zu gewinnen. Jetzt sind es rund 20 Ärzte und damit nach Aussage von Schulze Thier „die meisten im Kreis“, die sich hier engagieren. Der Notdienst läuft dabei von samstags 8 Uhr bis sonntags 8 Uhr und dann von sonntags 8 Uhr bis montags 8 Uhr.

Eine zentrale Nummer gibt es für den Dienst noch nicht, ist jedoch in Planung. Zunächst wenden sich Besitzer akut kranker Tiere an ihren Tierarzt. Auf dem Anrufbeantworter wird dann gesagt, welcher Tierarzt an diesem Samstag oder Sonntag Notdienst hat.

Komplett neu ist der Notdienst im Kreis nach Aussage des Vorsitzenden der Kreisstelle Coesfeld nicht. Es habe schon vorher „Notdienst-Ringe“ gegeben - allerdings noch keinen, der den gesamten Kreis abgedeckt hat.

Die Tierärztekammer Westfalen überlegt nach Aussage ihrer Geschäftsführerin Lütke Kleimann, wie sie die Menschen mehr für die Belange der Tierärzte sensibilisieren kann. „Wir wollen deutlich machen, dass die Tierärzte schon sehr viel machen.“ Die 3218 Tierärzte im Kammerbezirk - zu 62 Prozent übrigens Frauen - müssen sich um immer mehr Tiere kümmern. Gerade in der Pandemie hätten sich viele Menschen neu ein Haustier zugelegt. Dazu komme, dass die Bedeutung der Tiere in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. „Sie werden immer mehr zum wichtigen Familienmitglied.“

Kreis Coesfeld steht vor einem Problem - viele Ärzte gehen bald in Rente

Entsprechend groß seien die Erwartungen an den Tierarzt, wenn das Haustier gesundheitliche Probleme hat. Gleichzeitig habe sich die Tiermedizin deutlich spezialisiert und differenziert. Weil die Tierärzte jedoch oftmals schlechter bezahlt werden als Humanmediziner, könne man im Verbund mit den anderen Aspekten durchaus von einem Tierärztemangel sprechen.

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In Dortmund beispielsweise wurde der tierärztliche Notdienst vor fünf Jahren eingestellt. Damals hatten sich nur noch 6 der 20 örtlichen Tierarztpraxen an dem sogenannten Notdienstring beteiligt und eine wechselnde Dienstbereitschaft organisiert. Sie hatten zuletzt immer mehr Dienste geschoben, während andere ausgestiegen waren. England zeigt einen Weg, der dort im Kleintierbereich funktioniert: Notdienstkliniken/-praxen, die nur abends und über Nacht öffnen.

Bei diesem Geschäftsmodell können sich Tierärzte einer Region vom Notdienst „freikaufen“. Sie zahlen eine Notdienstumlage, die an einen Notdienstanbieter geht. Der kann mit der Umlage und den Einnahmen aus dem Notdienst diesen refinanzieren. Die Tierärztekammer Westfalen setzt hingegen auf den „klassischen Notdienst“ - und will einen Vorstoß wagen, damit NRW nicht länger das einzige Bundesland ohne Notdienstverpflichtung bleibt.

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Nach Einschätzung des Nordkirchener Tierarztes Christoph Eismann steht die tierärztliche Versorgung im Kreis Coesfeld allerdings vor einer großen Herausforderung. „Das Alter der Tierärzte wird zu einem großen Problem.“ Nach Einschätzung von Eismann erreichen in den nächsten fünf bis sechs Jahren viele Tierärzte das Rentenalter. Wenn die Praxen nicht übernommen werden, gebe es bestimmt zehn bis zwölf Tierarztpraxen im Kreis Coesfeld weniger.