Warum Fußgänger im Ruhrgebiet so sicher leben
Städtecheck 2014
Nirgendwo leben Fußgänger so sicher wie im Ruhrgebiet. Zu diesem Schluss kommt der Verkehrsclub Deutschland (VCD) in seinem "Städtecheck 2014". Und im sicheren Ruhrgebiet sticht die Stadt Herne mit einem Rückgang um 9,4 Prozent an Verunglückten deutlich heraus. Aber warum ist das so? Was macht die Stadt anders als andere?

In Herne leben Fußgänger besonders sicher. Das hat jetzt der "Städtevergleich 2014" des Verkehrsclubs Deutschland ergeben.
Mit Ranglisten und Städtevergleichen hat Herne bislang nicht die besten Erfahrungen gemacht. Bei einem Städtevergleich von Wohlstand und Arbeitsmarkt landete Herne im vergangenen Jahr auf den hinteren Plätzen. Und auch im "Zukunftsatlas 2013" rangierte die Stadt Herne ganz unten bei jenen Regionen mit den höchsten Zukunftsrisiken. Woran liegt es, dass Herne in der Unfallstatistik so gut abschneidet? Polizeisprecher Volker Schütte vom zuständigen Bochumer Polizeipräsidium sagt: "Wir sind natürlich froh, dass es so ist, aber wir können nicht konkret sagen, warum das so ist."
Vielleicht liege es daran, dass Präventionsarbeit und Kontrollen der Polizei fruchten, sagt Schütte und durchforstet die Statistik im Polizeicomputer. In Herne habe es in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen tödlichen Verkehrsunfall gegeben. Und auch bei den Unfallhäufigkeitszahlen liege Herne weit unter dem Landesdurchschnitt. Jürgen Klein Altstedde leitet bei der Stadt Herne die Abteilung Verkehrsplanung und -technik. "Klar freuen wir uns über das gute Abschneiden", sagt Klein Altstedde. Und die Gründe? In Herne senkten unter anderem Umbauten, die eigentlich dem Radverkehr dienten, auch die Unfallzahlen bei den Fußgängern. Neue Radwege auf den Fahrbahnen zwangen die Autofahrer zum langsamer Fahren und brachten mehr Radler von den Bürgersteigen auf die Straße. In Herne wurde, so erzählt es Klein Altstedde, in den Jahren 2008/2009 sogar eine vierspurige Straße auf 1,4 Kilometern Länge auf zwei Spuren zurückgebaut - zwei Spuren sind jetzt Radfahrern vorbehalten.
"Ob man das auf andere Kommunen übertragen kann, weiß ich aber wirklich nicht." Die Stadt Herne hat laut Städtecheck keine spezielle Strategie für Fußgänger. "Es ist eher ein ganzer Strauß an Maßnahmen", so Klein Altstedde. Er nennt unter anderem:
- flächendeckende Schulwegsicherungen wie Querungen, Brücken-Beleuchtungen oder Fahrbahneinengungen
- die Präventionsarbeit über die Zusammenarbeit mit der Verkehrswacht der Polizei
- die Verkehrserziehung, zum Beispiel über mobile Steuerungsanzeigen
- ein sehr guter Kontakt zum Arbeitskreis Barrierefreies Bauen der Stadt
Eine entscheidende Rolle spiele wohl auch, dass rund 40 Prozent der Straßen im Stadtgebiet Herne Tempo-30-Zonen seien. Auch in Krefeld ist die Zahl der bei Verkehrsunfällen verunglückten Fußgänger seit 2009 jährlich im Schnitt um 5,8 Prozent gesunken. Krefeld gelang das mit zahlreichen konkreten Schritten, darunter 400 Umbauten. Dort darf sogar die Hälfte der Straßenkilometer nur mit Tempo 30 befahren werden. Für niedrige Geschwindigkeiten sorgen zusätzlich enge Stellen, runde und eckige Erhöhungen auf Kreuzungen, Bremsschwellen, Mittelinseln und Kreisverkehr. Vor und neben Zebrastreifen wurden zusätzlich gestreifte Poller, sogenannte Lollis, aufgestellt. VCD-Referentin Anja Hänel nennt auf Nachfrage eine weitere Vermutung. "Die Städte in Nordrhein-Westfalen sind sehr gut vernetzt." So gebe es in NRW etwa das
. "Da wird sehr viel getan, die Städte tauschen sich aus und lernen von den Erfahrungen der anderen", sagt Hänel.
Auch in Dortmund (-2,46 Prozent), Essen (-2,12), Hamm (-4,87) und Münster (-3,73) verzeichnet der VCD eine positive Entwicklung. Ein anderes Bild dagegen in Köln und Bonn: Dort gebe es überdurchschnittlich viele Unfälle und die Unfallzahlen seien zudem gestiegen. Auch in Gelsenkirchen (+4,82 Prozent), Bochum (+1,23 Prozent) sowie Duisburg (+0,88 Prozent) stieg die Zahl der Unfälle leicht an.
Der VCD fordert trotz der größtenteils erfreuliche Ergebnisse mehr Einsatz für die Sicherheit von Fußgängern im Straßenverkehr. Im Vergleich zu den Radfahrern seien die Fußgänger bei Sicherheitsfragen etwas zu kurz gekommen. Mehr als die Hälfte der deutschen Städte sollte mehr für die Sicherheit von Fußgängern im Straßenverkehr tun, meint der VCD. Nachholbedarf haben demnach etwa Würzburg, Kassel und Kiel, weil es dort überdurchschnittlich viele Unfälle mit Fußgängern gebe und die Zahlen weiter stiegen. Der VCD empfiehlt etwa:
- Überquerungsmöglichkeiten an Straßen mit Bus- und Bahnhaltestellen
- Farbmarkierungen auf den Straßen zur sicheren Überquerung
- Absperrungen an riskanten Stellen, um das Queren der Fußgänger zu verhindern
- Kreuzungen sollten übersichtlicher gestaltet werden
- Kleine Hindernisse in Straßen und Kreisverkehre ließen Autofahrer langsamer fahren
- Breitere Fußwege und besser gekennzeichnete Zebrastreifen
„Je mehr Fußgänger unterwegs sind, desto sicherer wird es“, meint die VCD-Expertin Anja Hänel. Autofahrer seien dann aufmerksamer.
Häufige Unfallursachen sind laut den vom VCD ausgewerteten Statistiken falsches Abbiegen von Autofahrern und zu schnelles Fahren. Natürlich seien aber auch Fußgänger Schuld, wenn sie Straßen, ohne zu gucken überquerten oder sich nicht an rote Ampeln hielten. Am gefährlichsten unter den Fußgängern leben Kinder und Rentner.
Unsere interaktive Karte zeigt die Zahl der verunglückten Fußgängerinnen und Fußgänger in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2013 sowie die Tendenz (Zunahme oder Abnahme. Ein klassisches Risiko-Ranking ist wegen der unterschiedlichen Fußgänger-Anteile in den Städten und Faktoren wie dem Einfluss des Wetters methodisch nicht möglich, sagt VCD-Referentin Anja Hänel.
Fußgänger legen im Schnitt 24 Prozent der Wege im Verkehr zurück und haben einen Anteil von 12 Prozent an den Verunglückten. Sie sind laut VCD also „relativ sicher“ unterwegs. Der Anteil der verletzten und getöteten Unfallopfer liegt jedoch deutlich höher, weil Fußgänger ungeschützt sind und bei Unfällen mit Autos schnell und stark verletzt werden. Am 15. und 16. September treffen sich Experten aus ganz Deutschland zum
. Dabei geht es vor allem um die Sicherheit im Fußverkehr sowie Strategien für Fußgänger-Wege in Großstädten und im ländlichen Raum.