Souffleuse: Die Retterin der Schauspieler
Schauspielhaus Bochum
Wenn Fee Sachse nichts sagen muss, war es ein guter Arbeitstag. Sie ist eine von vier Souffleusen am Schauspielhaus in Bochum. Das heißt, sie hilft mit Worten aus, wenn die Schauspieler nicht mehr weiterwissen. Aber das Soufflieren am Abend während der Aufführung macht nur einen Teil ihrer Arbeit aus.

Fee Sachse betreut bis zu neun Produktionen am Schauspielhaus in Bochum. An diesem Abend ist sie die Souffleuse für das Stück Arc de Triomphe. © Alexandra von Braunschweig
Fee Sachse sitzt immer in der ersten Reihe. Mittig. Zumindest wenn sie arbeitet. Dann steht ein graues Pult vor ihr, das gut und gerne auch als Notenständer durchgehen könnte. Das dicke Buch, farblich passend zum grauschwarzen Pult, komplettiert ihre Arbeitsmittel. Die Aufschrift auf dem Buch wie auf dem Pult: Arc de Triomphe.
Das Licht dimmt aus – der Arbeitsbeginn von Fee Sachse. Als Souffleuse ist sie das Sicherheitsnetz und der doppelte Boden für die Schauspieler. Ist der Retter in der Stille. Die Auf-die-Sprünge-Helferin. Das Buch mit dem Stück von Erich Maria Remarque ist aufgeschlagen – und kündigt Ravic und Joan als Personen der ersten Szene an. Dennis Herrmann tritt als Ravic im langen Mantel auf die Bühne. Kristina Peters als seine spätere Geliebte Joan wartet bereits.
Nicht die Orientierung verlieren
Langsam kommt das Gespräch in Gang. Im gleichen Tempo wandert der Finger von Fee Sachse Zeile um Zeile mit. Die Kunst ist, gleichzeitig die Schauspieler im Blick zu haben und trotzdem die Orientierung im Text nicht zu verlieren. Das ist einer der Gründe, warum die Souffleuse das Pult schätzt, das das Buch in Schräglage bringt – und um den schweren Wälzer nicht die ganzen drei Stunden auf dem Schoß zu haben.
Zwischen den Dialogen entsteht eine kleine Pause. Etwa eine Lücke im Gedächtnis? Oder doch nur Dramaturgie? Fee Sachse zuckt nicht mal. „Es ist wie eine Symbiose. Ein genaues Kennen. Man muss die Schauspieler und die Situation richtig einschätzen können. Das hat viel mit Gefühl und Erfahrung zu tun“, beantwortet die gebürtige Dresdnerin die Frage, wie sie denn weiß, wann ihre Stimme gefragt ist – und wann nicht. „Manchmal machen die Schauspieler auch eine Handbewegung und signalisieren: Ich fordere Dich jetzt an.“

In der ersten Szene trifft Dennis Herrmann als Ravic auf Kristina Peters als Joan. © Diana Küster
Seit 2006 ist sie der Rückhalt
Dass sie selbst zur Schauspielerin ausgebildet ist, helfe ihr natürlich, das nötige Fingerspitzengefühl für die Situation zu haben. Und ihre Erfahrung. Seit 2006 ist sie für die Schauspieler in Bochum der Rückhalt. Aber auch schon vor ihrer Festanstellung hat sie lange Jahre nebenbei im Theater an der Königsallee den Kollegen, wenn nötig, die Brücken gebaut.
In der Regel muss die Souffleuse allerdings selten ihre Stimme während einer Aufführung erheben. Wenn dann doch, ist es besonders unangenehm, bei Stücken mit Worten auszuhelfen, bei denen die Schauspieler weit weg vom Bühnenrand stehen oder in Szenen, in denen die Beigeräusche ziemlich laut sind. Denn dann muss sie richtig laut rufen, um Gehör zu finden – das macht ein unauffälliges Kaschieren der Situation fast unmöglich.
Eigentliche Arbeit findet während der Probe statt
Heute ist die Souffleuse zwar nicht mehr der verborgene Bühnenflüsterer in der Muschel, dennoch laufen immer noch viele Prozesse für das Publikum unsichtbar ab. „Die eigentliche Arbeit findet während der Proben statt“, erklärt Fee Sachse. „Am Anfang muss ich noch viel reingeben.“ Besonders anspruchsvoll seien die Projekte und Produktionen, in denen die Texte noch im Fluss sind und sich häufig ändern. Dann ist sie wie eine Chronistin. „Ich laufe dann mit so einem Stapel Texten rum und helfe, den neuen Text zu erstellen.“
Gerade in der Zeit, in der neue Stücke in der Schaffensphase sind, kann ein Arbeitstag lang werden. „Dann sitzen wir vormittags in den Proben und abends in der Vorstellung“, sagt die Bochumerin. Vier bis fünf neue Stücke kommen pro Spielzeit dazu. „Momentan betreue ich neun Produktionen.“
Arc de Triomphe von Erich Maria Remarque, das seine Premiere im vergangenen Jahr im März gefeiert hat, ist eine davon. Mit drei Stunden und zehn Minuten ist es durchaus als Langstrecken-Aufführung zu bezeichnen. „Es ist ein anstrengendes Stück. Aber ich sehe es sehr gerne. Ich stehe voll dahinter.“ Vor allem die schnellen Dialoge mag die Souffleuse.
Spot auf den Text
Aber nicht nur die Dialoge, sondern auch die Wechsel bei den Bühnenbildern und der Szenen sind zügig. Ravic und Joan gehen zusammen ins Hotelzimmer. Das Licht wird noch ein Hauch gedämmter. Zu dunkel, um noch etwas lesen zu können. Deshalb schaltet Fee Sachse ihre kleine Leselampe an, die an dem Pult klemmt und die ihren Spot auf den Text richtet.
Wieder folgt der Finger den Zeilen. An einer Stelle ist mit Bleistift ein großer Bogen gemalt. „Das ist das Zeichen für eine große Pause“, erklärt die Souffleuse. An dieser Stelle muss sie den Schauspielern also Zeit bis zum nächsten Satz geben. Ein V symbolisiert dagegen eine kleine Pause. Das hilft, zu wissen, wann es Zeit ist, einzugreifen. „Die Zeichen müssen so klar sein, dass sie meine Kolleginnen auch verstehen können.“ Denn natürlich können sich die Souffleusen gegenseitig vertreten. Zurzeit arbeiten drei Kolleginnen zusammen mit Fee Sachse am Schauspielhaus in Bochum.
Schauspieler suchen nach Rat
Sowie das Licht wieder heller wird, schaltet die ausgebildete Schauspielerin auch ihr Licht wieder aus. In der Mitte der Seite kommt der Finger ins Stocken – und macht in einer fließenden Bewegung nebenbei ein Eselsohr in den oberen Rand der Seite. „An dieser Stelle hat der Schauspieler ein Stück Text ausgelassen“, erklärt Fee Sachse. „Wenn wir unseren Beruf ernst nehmen, werden wir nachher zu dem Schauspieler hingehen und ihn ansprechen.“ Gerade junge Schauspieler kämen oft und würden auch um Rat fragen.
Der Finger ist auf Seite 99 angekommen. Und damit am Ende des Stücks. Bis auf ein Eselsohr war es ein ruhiger Arbeitstag für Fee Sachse. Sie musste nicht eingreifen – und niemandem mit Worten beiseitestehen.