Ein Tag an der Schauspielschule: Sag Ja zum Leben
TraumTermin in Bochum
Vor Menschen ganz frei zu reden, gehört zur Königsdisziplin. Seine Gestik im Griff zu haben auch. In der Schauspielschule Take Off in Bochum lernen die Teilnehmer beides. Für den fünften Teil unserer Serie „TraumTermin“ haben wir einen Kurs besucht.

Ein Tag an der Schauspielschule in Bochum. © Stephan Schuetze
Kann eine Biografie auskommen, ohne dass einmal drin vorkommt, wenigstens das Schaf beim Krippenspiel gewesen zu sein? Oder im Chor „Danke für diesen schönen Tag“ gesungen zu haben? Oder zumindest in der Theater-Schul-AG irgendwie zum Bühnenbild zu gehören? Wenn bei allem „Nein“ die Antwort ist und das Maximum eine Aufführung im Turnverein war, dann besteht Handlungsbedarf. Deshalb ist ein Besuch der Schauspielschule Take Off in Bochum wie gemacht für den „TraumTermin“.
Der Empfang im Treppenhaus könnte würdiger kaum sein: Ein Bild von Shakespeare weist den Weg zu Take Off, die ihre Räume in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schauspielhaus Bochum haben. Bis auf eine Wanduhr, eine Stoffbahn mit einem Kerzenleuchter als Motiv lässt der Raum viel weiße Ausdrucksfläche für die, die hier ihre Schauspiel-Kunst verfeinern möchten. An diesem Abend sind es sieben. Jeden Dienstag kommen sie zusammen, um ihre Stimme, ihre Mimik, ihre Bewegungen, ihren Mut bewusster einsetzen zu können.
Eine kleine Prügelei zum Aufwärmen
Als Aufwärmübung gibt Kursleiter Michael Hoch eine kleine Prügelei vor. Um die Herausforderung zu steigern, sollen die Bewegungen in Slow-Motion sein. „Worauf müssen wir dabei achten?“, fragt er die Gruppe. „Dass die Mimik zur Bewegung passt“, sagt Simon. „Dass ich darauf schaue, was mein Partner macht, damit ich darauf reagieren kann“, ergänzt Verena. Stimmt alles. Also dann los.
Ich darf mich mit Sabrina schlagen. Gaaaaanz laaaaangsaaam kommt ihre Faust in meine Richtung. Darauf in angemessenen, schleichenden Bewegungen zu reagieren, ist gar nicht so einfach und erfordert vom Körper, sich im Griff zu haben. Mein Gegenschlag ist eine Backpfeife. Es ist spannend zu sehen, wie sich Sabrinas Gesicht in Zeitlupe verzerrt und sie ausweicht. Ach ja, der Ausdruck sollte zur Aktion passen. Eine Backpfeife und Grinsen ist eine schlechte Kombi. Die Übung klingt so einfach. Aber Arme und Beine, vor allem beim Schlagausweichen die Bauchmuskulatur im Griff zu haben und die Gesichtszüge nicht entgleiten zu lassen, das erfordert mehr Koordination als vermutet.
Nächste Übungen: Angst-Grimasse und Lach-Nummer
Das nächste Spiel klingt einfacher. Angst haben. „Ihr müsst einatmen und dabei auf die Mimik achten. Den Ausdruck halten und auf mein Zeichen: ausatmen und entspannen“, erklärt der Kursleiter. Wenn sich das Gesicht zur Angst-Grimasse verzerrt, mag es nicht vorteilhaft aussehen, aber es funktioniert. Die Kontrolle kann sich voll auf die Mimik konzentrieren. Am meisten Spaß macht naturgemäß die Lach-Nummer. „Ihr müsst einatmen und könnt beim Lachen ausatmen.“ Laute, kollektive Heiterkeit greift im Raum um sich. Und nach einem ausgiebigen Lachanfall wird klar, warum die Freudenschreie auch als therapeutische Maßnahme genutzt werden. Anders als bei der Angst lässt sich die gute Laune durch die Muskeln hervorrufen.
Neben den zwei Kursen für Erwachsene machen vor allem Kinder und Jugendliche in der Schauspielschule ihre ersten Erfahrungen. Wie auch bei Erwachsenen geht es nicht nur um die richtige Miene zur passenden Figur, sondern um seinem Selbstbewusstsein etwas Gutes zu tun. „Hier gibt es keinen Druck, keine Noten, kein gut oder schlecht“, sagt Ute Brakelmann, die Inhaberin der Schauspielschule. „Hier lacht auch keiner den Anderen aus. Keiner muss der Größte, Schnellste und Schönste sein.“
Wohlwollende Stimmung, die das loslassen erleichtert
Auch für Kursleiter Michael Hoch, selbst Schauspieler, Autor und Regisseur, ist die Dynamik in der Gruppe elementar. „Es ist ganz wichtig, dass die Gemeinschaft funktioniert. Wenn ein gutes Gruppengefühl herrscht, dann kann man sich auch mehr trauen oder sagen, bis hierhin und nicht weiter.“ So wie in der „Dienstagsgruppe“. Von 19 bis 35 Jahren reicht die Alters-Spanne. Vier Frauen, drei Männer. Die Stimmung ist sehr angenehm. Wohlwollend. Das erleichtert, für die nächste Übung Mut zu sammeln.
„Wir haben in unseren Kursen unterschiedliche Schwerpunkte. Freitags liegt der Fokus mehr auf Film“, erklärt Ute Brakelmann. Dienstags auf Theater. Aber bei allen Kursen gibt es Kamera-Training inklusive Analyse. Nur wer seine Macken kennt und sich ihnen stellt, kommt weiter. Deshalb helfen die Kurse auch, „um nicht mehr schüchtern zu sein, sondern mit erhobenem Kopf durch die Welt zu laufen“, sagt die Gründerin der Schauspielschule. „Und um seine Grenzen zu testen“, ergänzt Michael Hoch. „Sich Dinge zu trauen, die man sich noch nie getraut hat. Das kann beispielsweise ein Monolog sein, den man vor anderen spricht.“
Kleine Tricks, um die Rolle ganz anders zu spielen
Genau das steht für die Teilnehmer im zweiten Teil der Stunde an. Den Anfang macht Simon. „Manchmal hilft schon ein Detail, um die Rolle ganz anders zu spielen“, erklärt der Schauspiellehrer. Deshalb bekommt Simon eine Lederjacke, eine Kappe und zur Rolle des Travis in „Taxis Driver“ passt eine Kippe. Simon, das sieht man, fühlt sich wohl in seiner Haut, wenn er von dem Gesindel erzählt, das auftaucht, wenn es dunkel wird. Bewegung, Gestik, Habitus – alles passt zusammen.
Noch noch ganz in Gedanken beim „Taxi Driver“ reicht Michael Hoch mir einen Zettel: „Dein Monolog. Du kannst jetzt zehn Minuten vor die Tür gehen und die Rolle üben.“ Schluck. Zehn Minuten? So lange brauche ich, um den Text überhaupt zu lesen... „Sag Ja zum Leben, sag Ja zum Job, sag Ja zur Karriere, sag Ja zur Familie.“ In den Anfang kann ich mich schon mal einfühlen. „Sag Ja zu einem pervers großen Fernseher.“ Hmmm. Der Text ist aus „Trainspotting“ und mir ganz sympathisch. Aber die zehn Minuten sind viel zu schnell um. Die Stelle mit „den missratenen Ego-Ratten von Kindern“ konnte ich nur zweimal durchgehen.
„Ich habe zum Ja-Sagen Nein gesagt“
Aber das sollte nicht das Schlimmste sein. Damit die Rolle des Ja-Sagers, der eigentlich ein Komplett-Verweiger ist, wenigstens optisch etwas unterstrichen wird, muss der Hut auf den Kopf und die Whisky-Flasche in die Hand. Den Gedanken, dass diese Utensilien nicht förderlich sind, um fotogen zu sein, sollte ich ausblenden. Es bleibt auch keine Zeit, nachzudenken. „Sag Ja zur Bausparkasse...“ Es klappt tatsächlich, an der Stelle mit den „hirnlähmenden Gameshows“ an die Stirn zu tippen. Und dann kommt die Angst-Passage. Der Satz hat das Potenzial zum Zungenbrecher: „Ich habe zum Ja-Sagen Nein gesagt.“ Puh, kein Verhaspler. Noch drei kleine Sätze und der Monolog ist geschafft.
Erleichterung. Es tut gut, es hinter sich zu haben. Sich getraut zu haben. Das hatte Ute Brakelmann schon vorher gewusst: „Wenn man sich nicht überwindet, dann entwickelt man sich auch nicht.“
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