Selbstversuch an der Liane: Er Tarzan, ich Jane
Metronom Oberhausen
Einmal im Leben mit Tarzan durch den Dschungel fliegen, das wünscht sich wohl jeder, der das atemberaubende Musical des Disney-Helden kennt. Für die Autorin Sandra Heick ist der Wunsch Wirklichkeit geworden. Sie durfte mit Anton Zetterholm, der die Rolle des Tarzans geprägt hat, an Lianen schwingen. Ein „Traum-Termin“ sagt sie - und schreibt hier über Angst, Schmerz und ihren Blick hinter die Kulissen.

Die Redakteurin und der Dschungelheld hinter den Kulissen im Stage Theater. © Stephan Schuetze
Eine giftgrüne Liane, die eigentlich ein giftgrünes Seil ist, schwingt im Oberhausener Dschungel wie ein Pendel hin und her. Vor der Bühne des Stage Theaters. Wo sich gleich Tarzan durch die Lüfte schwingen wird. Ich saß schon zweimal dort im Dschungel, aber dieses Mal ist es anders. Weil ich weiß, dass ich bald mit Tarzan durch die Luft fliegen werde. Mit Anton Zetterholm (31). Er ist zurück in der Rolle, die ihn 2008 berühmt gemacht hat, auch dank einer Castingshow. Mit 21 Jahren kam der Schwede damals nach Deutschland – und sprach kein Wort Deutsch. „Diese Sprachbarriere hatte ich mit Tarzan gemeinsam, ich war authentisch“, sagt Anton und grinst. „Tarzan versteht Jane ja anfangs auch nicht.“
Der andere Sound der Show
Die Show beginnt. Es wird dunkel im Stage Theater. Lichtblitze zucken. Die Zuschauer verlieren sich in der fantasievollen Dschungelwelt, in der die neugierige Jane Porter zusammen mit ihrem Vater eine Expedition wagt, die sie zu Tarzan führt. Zu einem aparten jungen Mann im Lendenschurz, der mit Gorillas aufgewachsen ist und ihr Herz stielt. Geräusche, die der Zuschauer für gewöhnlich nur am Rande wahrnimmt, klingen in meinen Ohren plötzlich laut wie Presslufthämmer. Hier klickt ein Haken, da rauscht eine Seilwinde. Ich hänge gedanklich schon selbst am Seil. Mir ist mulmig zumute. Dann wieder Gänsehaut.
Auch Anton hat an diesem Abend Gänsehaut, erzählt er mir später, nach der Show. Die habe er fast immer, wenn er hinter der Bühne stehe, verborgen vor den Augen der Zuschauer, und die ersten Töne singe. „Hör die Wörter, die dein Schicksal prägen: zwei Welten, eine Familie.“
Das Engagement als Tarzan ist für Anton eine „24-Stunden-Arbeit“. Sein Tagesablauf ist durchgetaktet, „noch eine Folge Game of Thrones“ am Abend ist nicht drin, wenn die Uhr Schlafenszeit anzeigt. Die körperliche Herausforderung: enorm. „Es ist wie ein Marathon, es tut weh“, sagt Anton. „Es ist ja nicht nur die Show auf der Bühne, ich muss auch hinter den Kulissen viel rennen. Du spürst Muskeln, von denen du nie dachtest, dass du sie hast. Du hast oft Verletzungen. Es kommt vor, dass du fünfmal nachts aufwachst, weil du einen Krampf im Bein hast. Und letztens konnte ich meine Zähne nicht putzen, weil meine Arme so schmerzten.“
Ein Tag im Dschungel, ein Tag mit Schmerz
Auch ich werde nach meinem Tag im Dschungel Schmerzen haben – das weiß ich. Bevor es in die Luft geht, sitzen Anton und ich aber erst mal in der Sonne und blicken ein Jahrzehnt zurück. Anton erzählt von diesem einen Tag, an dem er mit Phil Collins, der die Tarzan-Songs komponiert hat, und einem amerikanischen Pianisten im Hotelzimmer hockte und „two worlds, one family“ zu „zwei Welten, eine Familie“ werden ließ. Wobei keiner der Drei Deutsch sprach.
„Die deutsche Sprache hat einfach zu viele Silben“, sagt Anton. Da den richtigen Rhythmus zu finden, sei alles andere als einfach gewesen. „Und dann sitzt du da und singst etwas vor dich hin, und plötzlich singt Phil Collins mit dieser Stimme, die du aus dem Radio kennst, die zweite Stimme.“ Wie man das verarbeitet? „Vielleicht war es gut, dass ich jung war und nicht so viel nachgedacht habe“, sagt Anton. Es sei für ihn eine Ehre gewesen, Deutschlands Tarzan mitzuprägen. „Ich war nicht Phantom Nr. 50, es war nichts in Stein gemeißelt“, sagt Anton. „Ich improvisierte – und vieles davon übernahmen die anderen Tarzan-Darsteller.“ So habe sich der Broadway-Tarzan nicht eingekleidet, als er Menschenkleidung fand, sondern nur mit Hemd und Hut herumhantiert. „Ich habe die Sachen angezogen, und jetzt steht es so im Textbuch“, sagt Anton. Wir reden auch über die Disney-Magie, über Ohrwürmer, die Anton „Ohrhänger“ nennt und über das, was backstage passiert. So werden während der Show über 700 Einsatzbefehle – sogenannte „Cues“ – an Darsteller und Techniker gegeben. Höhenspezialisten kontrollieren die Sprünge. Sicherheit wird bei „Tarzan“ groß geschrieben, genau wie Präzision.
Zum Affen machen...
Dann ist es Zeit, von der Menschen- in die Affenwelt zu wechseln. Auf der Probebühne, deren dschungelgrüner Boden leicht federt, treffen wir uns zwischen Spiegelwänden mit Dance Captain Gianluca Passeri, der das tänzerische Niveau der Show hoch hält und mir „Ape Moves“ – Affenbewegungen – beibringen möchte. Anfangs denke ich, dass ich mich zum Affen mache, wie ich da zwischen Gianluca und Anton mit ihren geschmeidigen Bewegungen leicht unbeholfen vorankomme; aber dann denke ich: Das ist doch der Sinn der Sache! „Sei stolz“, sagt Gianluca. „Jeder Affe im Dschungel denkt, dass der Dschungel ihm gehört.“ Nicht nur für Tarzan, auch für die Gorilla-Darsteller, denen in der Luft 360-Grad-Rotationen möglich sind, ist die Show Anstrengung pur. „Es kommt vor, dass sie sich backstage übergeben“, sagt Anton. Und: „Wenn du dich auf der Bühne Tag für Tag wie ein Affe bewegst, dann färbt das auch auf den Alltag ab. Manchmal merkst du plötzlich, wenn du dich abstützt, dass du es wie ein Affe tust. Und dann denkst du dir: Okay, das sieht jetzt vielleicht ein bisschen komisch aus.“

© Stephan Schuetze
Was folgt, ist das absolute Highlight des Tages: Anton und ich fliegen. Okay: schwingen. Wir gehen in einen Raum hinter der Bühne, mit zwei Gerüsten, zwölf Meter hoch, zwischen denen Lianenschwünge geprobt werden können. Ich bin froh, dass jetzt alles ganz schnell geht und ich keine Zeit zum Nachdenken habe. Flugexperte Willem Catianis hilft mir, mein Fluggeschirr anzulegen, dann hakt er mich an einer „Liane“ fest. Ehe ich mich versehe, hänge ich in der Luft. Ich klammere mich am giftgrünen Seil fest, das mich in der Luft hält, aber Anton ermutigt mich, loszulassen. Kurz darauf hänge ich kopfüber, Anton zeigt mir Positionen, grinst schelmisch und dreht mich in der Luft. Als ich wieder am Boden bin, fragt Willem mich, ob ich den Flug wage – und ich nicke.
„Einfach trauen“, sagt Anton
„Du kannst dich auch am Seil festhalten, keine Sorge“, beruhigt Anton mich. Er demonstriert, wie elegant das Fliegen aussehen kann. Dann klettere ich mit pochendem Herzen einige Sprossen hoch, bis Willem „Stopp“ sagt. Ein letzter prüfender Blick. Es kann losgehen. „Einfach trauen“, sagt Anton – und ich traue mich. Ich lasse los, fliege, bin voller Adrenalin und klammere mich kurz darauf auf der anderen Seite am Gerüst fest. Nur leider mangelt es mir an Kraft und Technik, um meinen Körper ans Gerüst zu ziehen. Ich baumele ein wenig hilflos in der Luft und Anton rettet mich. Dann folgt noch ein Flug. Ich würde am liebsten ewig an der Liane abhängen, doch wir müssen Platz machen. Die Abendshow startet bald. Am nächsten Morgen ahne ich, von welchen Schmerzen Anton gesprochen hat: Meine Oberarme tun tierisch weh. „Verfliegt“ bestimmt schnell, schreibt mir jemand vom Stage-Team. Aber die Erinnerungen an den Traumtermin, die bleiben.