Sehnsuchtsort: Die Romantiker und der Wald

„Mein Freund, der Baum“ sang Alexandra 1968 und landete damit einen Riesenhit. Die deutschen Romantiker haben den Wald schon vor mehr als 200 Jahren für sich entdeckt - der Mythos ist noch älter und lässt uns bis heute nicht los.

von Von Thomas Maier, dpa

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Frankfurt/Main

, 24.07.2018, 13:43 Uhr / Lesedauer: 3 min
Romantik-Forscher Wolfgang Bunzel vor einem Bild von Johann Wolfgang von Goethe im Goethe-Haus. Foto: Andreas Arnold

Romantik-Forscher Wolfgang Bunzel vor einem Bild von Johann Wolfgang von Goethe im Goethe-Haus. Foto: Andreas Arnold

Im Wald will man sich geruhsam erholen - oder geht wandern. Dass die Deutschen im Forst so gerne zu Fuß unterwegs sind, darüber wundern sich oft mediterrane Völker wie etwa die Italiener oder Spanier.

„Wir sind immer noch Teil des Waldmythos“, sagt dazu Wolfgang Bunzel vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt. Die Romantik hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Verhältnis der Deutschen zum Wald grundlegend gewandelt - und wirkt bis heute nach, wie der Literaturwissenschaftler feststellt.

Doch eigentlich war es Tacitus, der den Mythos vom deutschen Wald begründete. Obwohl er selbst nie vor Ort war, berichtete der römische Geschichtsschreiber im ersten Jahrhundert nach Christus über die Wildheit der Wälder Germaniens (und dessen Bewohner).

Die Vorstellung von ihren angeblich so ursprünglichen Wäldern hat die Deutschen seit dem 18. Jahrhundert geprägt. Dabei war schon bei den Germanen der Wald keineswegs „natürlich“, sondern wurde maßgeblich von der Bewirtschaftung des Menschen beeinflusst, wie der Botaniker Hansjörg Küster in seinem Standardwerk „Geschichte des Waldes“ schreibt.

Doch erst mit Beginn der Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts wird der Wald, der lange Zeit als unheimlich und Heimat der Räuber gilt, zum Sehnsuchtsort. Der Schriftsteller Ludwig Tieck prägt erstmals in seinem Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ (1797) den von ihm positiv gemeinten Begriff der „Waldeinsamkeit“. Dieser sollte später etwa auch bei Eichendorff bis hin zu Heinrich Heine zum Schlüsselwort der Romantik werden.

Die Natur wird beseelt, der Wald wird auch in der Malerei und anderen Künsten identitätsstiftend. „Der Wald wird zum Gegenpol der sozialen Zivilisation“, sagt Bunzel vom Hochstift, das in der Romantikforschung bundesweit führend ist und auch das Goethe-Haus betreibt.

Der in Frankfurt geborene Dichterfürst (1749-1832) war übrigens mehr Klassiker als Romantiker. Dem Wald konnte Johann Wolfgang von Goethe - etwa in seinem Gedicht „Erlkönig“ - nicht allzuviel Positives abgewinnen. Dieser blieb bei ihm eher ein Schreckensszenario.

Die schwärmerische Waldbegeisterung der Romantiker fällt in eine Zeit, in der die Waldfläche rapide abnahm. Für die einsetzende industrielle Revolution wurde Holz zu einem immer wichtigeren Rohstoff. Zugleich wird das Reisen auch in unwegsame Waldregionen bequemer.

Als Gegenbild zur Rationalisierung und Modernisierung dienen oft auch Märchen - etwa die der Grimms. Bei den in Hanau aufgewachsenen und später in Kassel wohnenden Brüder, die Märchenstoffe sammelten, wird der Wald aber nicht nur idealisiert. Er hat auch wie schon zu vor-romantischen Zeiten noch etwas Unheimliches, wie zum Beispiel im „Rotkäppchen“.

Die Begeisterung für den Wald und die symbolische Überhöhung etwa der „Deutschen Eiche“ wird im Lauf des 19. Jahrhunderts auf dem Weg zur „verspäteten Nation“ ideologisiert. Die Nazis instrumentalisieren dann den Mythos vom angeblich reinen deutschen Wald gezielt für ihre rassistisch-völkischen Ziele.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt nur noch der „Kitsch-Faktor“ mit der Sehnsucht nach der heilen (Wald-)Welt, etwa in Heimatfilmen („Das Wirtshaus im Spessart“) oder bei den Bildern vom „röhrenden Hirsch“ in den Wohnzimmern. 1968 landet die Sängerin Alexandra einen Riesenhit mit „Mein Freund, der Baum“ - und nimmt damit ein bisschen die Öko-Bewegung vorweg. Fast hysterisch wird dann die angebliche Gefährdung des Walds in den 1980er Jahren beim Kampf gegen das „Waldsterben“ - worüber etwa im Nachbarland Frankreich nur milde gelächelt wurde.

Die Revitalisierung des Wald-Mythos ist aber auch zum Beispiel einem Künstler wie Joseph Beuys zu verdanken. Bei der documenta 7 in Kassel im Jahr 1982 setzt er das Landschaftsprojekt „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ mit 7000 Eichen um. Mit Kunst wollte Beuys wie einst die Romantiker zur Lebensveränderung beitragen, wie Bunzel sagt. Mit Erfolg: Viele der Eichen stehen noch heute.

Auch die vielen Waldlehr- und Waldkunstpfade sind Hinweis auf die gefühlsbeladene Beziehung der Deutschen zum Forst. Doch jetzt droht die neue digitale Kultur, dieses Band infrage zu stellen. Wo bleibt der alte Zauber, wenn man sich dank GPS und Smartphone auch noch im dichtesten Forst orten kann?

Das bleibt abzuwarten. Sollte der Wald tatsächlich entzaubert werden, bleibt immer noch der Besuch im neuen Romantik-Museum in Frankfurt. Das soll im Jahr 2020 fertigsein - inklusive zweier Stationen zum Thema Wald. Ludwig Tiecks Harz-Wanderung kann nachverfolgt werden. Er wusste, worum es einem Romantiker dabei gehen muss: Ums Reisen um des Reisens willen und um die Erfahrung der Landschaft.

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