Schulz fordert Gesetz gegen Gehaltsexzesse
Kampf den Managergehältern
Zum politischen Aschermittwoch kommt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz nach Schwerte. Im Interview hat er vorab mit uns über steigende Umfragewerte, Agenda-Reformen, Koalitionsvorhaben und die Pressefreiheit in der Türkei gesprochen.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Interview.
Die Nachfrage für Schulz' Auftritt am Mittwoch in Schwerte ist riesig. Die Veranstaltung ist lange ausverkauft, nicht einmal alle Mitglieder des SPD-Ortsvereins werden die Chance bekommen, den Kanzlerkandidaten in ihrer Heimatstadt sprechen zu hören. Wir haben vorab mit Martin Schulz ein Interview geführt:
Herr Schulz, vor gut vier Wochen sind Sie als Kanzlerkandidat gekürt worden. Seitdem präsentiert sich die SPD wie der Phönix aus der Asche. In manchen Umfragen liegen Sie bereits vor der Union. Hätten Sie das alles für möglich gehalten?
Kein Mensch hat das so erwartet. Mir war zwar klar, dass unser Potenzial viel größer ist, als das die Sonntagsfragen noch vor Kurzem gezeigt haben. Denn es gibt einen großen Wunsch nach sozialdemokratischen Botschaften und Politik. Dass wir diese Mobilisierung aber in so kurzer Zeit hinbekommen haben, ist dennoch phänomenal. Darauf kann die gesamte SPD sehr stolz sein.
„Dass es Deutschland heute besser geht, als vielen anderen europäischen Staaten, hängt vor allem mit der Agenda 2010 zusammen.” Kommt Ihnen dieser Satz bekannt vor?
Schulz: Na klar!
Das haben Sie 2014 selbst gesagt…
Die Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren klar an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Das liegt auch an den Agenda-Reformen. Aber es hat genauso mit der enormen Kraft der deutschen Wirtschaft zu tun, mit dem Erfolg von „Made in Germany“, mit der Leistungsbereitschaft von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Warum erwecken Sie den Eindruck, dass die ganze Agenda-Politik ein Fehler war?
Diesen Eindruck habe ich nicht erweckt – auch wenn mir das immer wieder unterstellt wird. Ich habe über Gerechtigkeit in der Arbeitswelt gesprochen. Wir drehen die Reformen nicht zurück, aber wir ergänzen sie ja bereits. Es gab bei der Agenda 2010 einige Ungerechtigkeiten, die wir zum Teil schon korrigiert haben – etwa durch die Einführung des Mindestlohns. 2003, als wir die Agenda beschlossen haben, hatten wir fast fünf Millionen Arbeitslose. Heute haben wir Fachkräftemangel. Wir können uns nicht leisten, gut qualifizierte Arbeiter zu verlieren. Wir müssen in die Zukunft denken und die wichtigen Reformschritte, die wir gemacht haben, weiter ergänzen…
Sie planen keine Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I?
Menschen müssen mit Respekt und Anstand behandelt werden, wenn sie ihren Job verlieren. Wer viele Jahre hart gearbeitet hat, hat ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn er ins Straucheln gerät. Und wir können es uns auch gar nicht leisten, irgendein Talent zu verschenken. Dazu brauchen wir eine Stärkung der Qualifizierung. Andrea Nahles wird in nächster Zeit ein Konzept vorstellen.
Die Zahl der befristet Beschäftigten ist so gering wie seit 2005 nicht mehr, selbst Ältere schöpfen die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I in der Regel nicht voll aus. So negativ, wie Sie die Lage zeichnen, ist sie doch gar nicht, oder!
Wir sind ein starkes, dynamisches und reiches Land mit hohen Haushaltsüberschüssen. Ich möchte, dass das so bleibt. Und deshalb rede ich über die Zukunft, nicht über die Vergangenheit. Wir sollten Haushaltsüberschüsse nicht für Steuergeschenke an Reiche ausgeben. Wir brauchen das Geld für Qualifizierung, für Bildung und Investitionen. Wir haben hohe Löhne und hohe Sozialstandards. Und wir verfügen auch über die am besten ausgebildeten Facharbeiter. Damit das so bleibt, müssen wir investieren. Mir geht es um lebenslanges Lernen, um Geld für Forschung und Innovationen – gerade im Mittelstand. Ich will, dass dieses blühende Land stark bleibt.
Sie wollen das Rentenniveau auf dem Stand von heute einfrieren – bei rund 48 Prozent. Arbeitgeber warnen, das könnte zu Extra-Kosten von 90 Milliarden Euro pro Jahr führen. Wer soll das bezahlen?
Da wird wild alles Mögliche zusammengerechnet. Entscheidend ist: Wir wollen Gerechtigkeit. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter würdig leben können. Gleichzeitig dürfen die Beiträge nicht ins Unermessliche steigen – weder für die Arbeitgeber noch für die Beschäftigten.
Was heißt das konkret?
Der beste Schutz vor Altersarmut sind anständige Löhne vor der Rente. Manche halten jede Art des sozialen Fortschritts für einen Anschlag auf die Wettbewerbsfähigkeit. Zu denen gehöre ich nicht. Wir wollen stabile Renten und stabile Beiträge. Die SPD arbeitet an einem seriösen Steuer- und einem Rentenkonzept. Eins ist sicher: Wir werden beim Renteneintrittsalter nicht über 67 Jahre hinausgehen.
Und was wird aus den Überlegungen für eine Solidarrente für Geringverdiener, die lange eingezahlt haben?
Dafür kämpfen wir weiter. Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsvertrag weiter gilt. Da steht nicht nur die Pkw-Maut drin, sondern auch die Solidarrente.
Thema Managergehälter - rechnen Sie noch mit einem Schulterschluss in der großen Koalition?
Das hoffe ich sehr! Wenn ein Manager 200-mal so viel verdient wie ein Angestellter, verletzt das das Gerechtigkeitsgefühl der Leute. Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die Gehaltsexzessen in den Vorstandsetagen der DAX-Konzerne einen Riegel vorschiebt. Das sagen mir übrigens auch viele Mittelständler, die keine Lust haben, für die Übertreibungen in einzelnen Konzernen in Mithaftung genommen zu werden. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, CDU und CSU müssen jetzt Farbe bekennen. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass sich die Union intern auf eine Linie einigt – da gibt es gegenwärtig ja ein breites Meinungsspektrum.
Ist es legitim, Managergehälter zu begrenzen, nicht aber die Bezüge etwa von Profi-Fußballern, die oft das x-fache erhalten?
Da geht es rechtlich um völlig andere Strukturen. Ich konzentriere mich auf das, was wir gesetzgeberisch kurzfristig leisten können.
Muss ein SPD-Kanzlerkandidat auch um die Stimmen derer kämpfen, die zuletzt ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben?
Die SPD muss um jede Wählerin und jeden Wähler kämpfen. Viele Menschen sagen mir: „Ich leiste meinen Beitrag für dieses Land, aber für mich, meine Kinder, meine Probleme interessiert sich niemand.“ Sie haben sich von der Politik abgewendet, entweder durch Wahlenthaltung oder dadurch, dass sie Protest gewählt haben. Wir werden keine Rechtsradikalen überzeugen, aber die anderen zurückzugewinnen, ist mein Ziel. Ich sage: Das individuelle Schicksal jedes Einzelnen interessiert mich. Wir dürfen niemals Wähler aufgeben.
Ist die AfD eine rechtsradikale Partei, die vom Verfassungsschutz flächendeckend überwacht gehört?
Die AfD muss sich glasklar von Leuten wie Björn Höcke distanzieren. Der ist ganz eindeutig ein Rechtsextremist. Ein Mann, der das Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin als Mahnmal der Schande bezeichnet, ist eine Schande für die Bundesrepublik.
Anderthalb Jahre hat die Union über die Flüchtlingspolitik gestritten. Tragen Merkel und Seehofer Mitverantwortung für den Aufstieg der AfD?
Die Menschen in Deutschland haben seit 2015 eine große Solidarleistung erbracht. Dabei sind wir von anderen in Europa im Stich gelassen worden. Länder wie Ungarn oder Polen, die von der Europäischen Union viel Geld erhalten, sagen bei der Flüchtlingspolitik: Ohne uns! Dass die Kanzlerin für einen liberalen Ansatz kämpfen muss, während die CSU den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban hofiert, sagt alles über das Verhältnis zwischen den Unionsparteien.
Sie treten an, um Kanzler zu werden. Stehen Sie im Fall der Fälle auch als Juniorpartner der Union zur Verfügung?
(lacht) Wir kämpfen um Platz 1. Dafür gibt es eine realistische Chance. Fragen Sie doch mal die Union, ob die als Juniorpartner in meiner Regierung mitmachen möchte!
Haben Sie sich schon mit Sahra Wagenknecht getroffen, können Sie sich mit ihr ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis vorstellen?
Wer nach der Bundestagswahl mit uns koalieren will, muss auf uns zukommen.
Täuscht der Eindruck, oder hat die SPD ihre Entlastungspläne zugunsten kleinerer und mittlerer Einkommen aufgegeben?
Wir arbeiten an einem Steuerkonzept. Aber bevor wir ein konkretes Programm vorlegen, bin ich im Land unterwegs und höre den Leuten zu. Wir sind ein starkes Land, in dem aber viele Menschen das Gefühl haben, dass ihre Lebensleistung nicht anerkannt wird. Das versuchen wir aufzunehmen, in unsere Programmatik einzubeziehen. Dazu gehört auch die Steuerpolitik. Wir lassen uns die notwendige Zeit, haben aber einen festen Grundsatz: Menschen, die hart für ihr Geld arbeiten, dürfen nicht schlechter gestellt sein als die, die ihr Geld für sich arbeiten lassen.
Was ist aus Ihren Plänen für ein Fairness-Abkommen im Wahlkampf geworden?
Ich bin für ein Fairness-Abkommen. Sie werden von mir in diesem Wahlkampf keine Attacken persönlicher Art hören. Das ist nie mein Stil gewesen. Ich werbe nicht für mich, indem ich andere Leute verunglimpfe.
Themenwechsel: Verteidigungsministern Ursula von der Leyen (CDU) will mehr Geld für Rüstung, um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen. Ein sinnvolles Vorgehen?
Wir haben den Verteidigungshaushalt ja bereits massiv aufgestockt. Das ist machbar und realistisch. Mindestens so wichtig sind Investitionen in die wirtschaftliche Kooperation und Entwicklungshilfe, denn dadurch werden Krisen verhindert. Dass wir 20 bis 30 Milliarden Euro mehr ins Militär stecken, und dafür bei Sozialleistungen kürzen, wie das jetzt in der CDU vorgeschlagen wurde, halte ich nicht für sinnvoll.
Zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegungen wird über Auffanglager in Nordafrika diskutiert. Stiehlt sich die EU aus ihrer Verantwortung?
Sie stiehlt sich nicht in Nordafrika aus der Verantwortung, sondern in Europa. Bei der Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten gibt es eine vollständige Entsolidarisierung. Die Flüchtlingsaufnahme auf die nordafrikanischen Staaten abzuschieben, halte ich nicht für umsetzbar. In Betracht kämen Ägypten, Libyen, Algerien, Tunesien und Marokko. Das sind Länder, die unter extremem Druck stehen, und bei denen wir nicht sicher sein können, dass dort rechtstaatliche Standards eingehalten werden. Die Lager müssten deswegen von der EU betrieben werden. Der Ansatz, Menschen nicht in die Hände von Schleppern gelangen zu lassen, ist vernünftig. Die praktische Umsetzung scheint mir jedoch sehr schwierig. Da teile ich die Auffassung von Außenminister Sigmar Gabriel.
Parteifreunde von Ihnen wollen, dass die Bundesregierung den geplanten Wahlkampf-Auftritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland verhindert. Sie auch?
Natürlich sind Staatsoberhäupter befreundeter Staaten in Deutschland immer willkommen. Wir haben jeden Grund, gerade in schwierigen Zeiten miteinander zu reden und dabei die schwierigen Themen nicht auszusparen. Aber ich erwarte schon, dass solche Besuche nicht benutzt werden, innenpolitischen Streit aus der Türkei nach Deutschland zu tragen.
Empörung über die Untersuchungshaft des deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel: Wie sollte die Bundesregierung jetzt reagieren? Was ist das Gebot der Stunde?
Ohne freie Presse kann eine Demokratie nicht funktionieren. Die Inhaftierung von Journalisten, die schlicht ihre Arbeit gemacht haben, ist nicht akzeptabel. Das habe ich Herrn Erdogan schon als Präsident des Europäischen Parlaments so gesagt – auch im persönlichen Gespräch. Deniz Yücel muss freigelassen werden – genauso wie all die anderen mit fadenscheinigen Begründungen festgenommenen Journalisten.
Donald Trump will mehr Atomwaffen, will die Pressefreiheit einschränken, baut eine Mauer zu Mexiko: Wie würde ein Kanzler Schulz mit dem US-Präsidenten umgehen?
Indem er ihm ganz klar sagt: Ich bin gegen atomare Aufrüstung, ich bin gegen die Abschottungspolitik. Wer kritische Medien in Frage stellt und als Lügenpresse diffamiert, legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie - egal, ob er im Weißen Haus sitzt oder bei einer Pegida-Demonstration mitläuft. Das würde ich dem Präsidenten in den Vereinigten Staaten deutlich machen. Ein deutscher Kanzler kann einem amerikanischen Präsidenten sehr wohl offen sagen, wenn es einen tiefschürfenden Meinungsunterschied gibt. So hat es auch Gerhard Schröder gegenüber George W. Bush getan, als dieser einen Angriffskrieg gegen den Irak gestartet hat.
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