Olivia Jones: "Ich nutze den Shitstorm als Rückenwind"

Internationaler Tag gegen Homophobie

Sie ist Deutschlands bekannteste Travestiekünstlerin: Olivia Jones. Die Kiez-Königin aus Hamburg hat ein Buch geschrieben – über Homosexualität. Und zwar kinderleicht erklärt. Zum „Internationalen Tag gegen Homophobie“ spricht sie über ihr Werk, Toleranz und Diskriminierung.

Dortmund

, 17.05.2015, 07:43 Uhr / Lesedauer: 3 min
Olivia Jones ist Dragqueen, Kiez-Königin und nun auch Kinderbuch-Autorin.

Olivia Jones ist Dragqueen, Kiez-Königin und nun auch Kinderbuch-Autorin.

Wo erreiche ich Sie gerade?

In Hamburg. Ich trinke einen Kaffee und habe gleich eine Kostümprobe. Ich entscheide mich wohl für ein kurzes Sommerkleidchen.

Ich muss Ihnen vorab gratulieren.

Warum?

Weil Sie in Ihrem neuen Buch ein schwieriges Thema aufgreifen, das sicherlich einige Eltern versuchen, weitmöglichst hinauszuzögern – Homosexualität. Warum wagen Sie diesen Schritt?

Weil ich es schade finde, dass Homosexualität heute noch ein Tabuthema ist, dass Schwule und Lesben immer noch diskriminiert werden, zum Teil sogar durch Gewalt. Umso wichtiger war es, ein Buch für Kinder zu schreiben, in dem es um Respekt und Toleranz geht.

Fängt die Abneigung gegenüber dem „Andersrum“, wie Sie es nennen, schon in der Kindheit an?

„Schwul“ gilt auf Schulhöfen weiterhin als ein Schimpfwort, als abnormal. Deshalb ist es wichtig, junge Menschen zu sensibilisieren, sonst holen sich die Kinder und Jugendlichen ihre Meinung aus dem Internet. Und was dort geschrieben, gepostet wird, da hat ja niemand einen Finger drauf. Den Kindern muss bewusst werden, dass es gleichgeschlechtliche Liebe gibt und dass diese nicht schlimm ist. Dadurch geht das Abendland ja nicht unter.

Ihr neues Buch, das extra an Kinder gerichtet ist, trägt den Titel „Keine Angst in Andersrum“. Denken Sie, dass die Liebe von Mann zu Mann und Frau zu Frau Angst schnürt?

Ich glaube, dass viele Angst davor haben. Anhand der bisherigen Rückmeldungen der Eltern merke ich das. Ich merke aber auch die Dankbarkeit der Eltern, dass es nun dieses Buch gibt, das die Eltern an die Hand nimmt, um mit ihren Kindern über das Thema zu sprechen. Einige Eltern scheinen aber weiterhin die Angst zu haben, dass ich ihre Kinder sexualisieren möchte. Das ist ja gar nicht der Punkt. In diesem Buch fällt nicht einmal das Wort „Sex“. Es geht um Liebe.

Warum wird Homosexualität häufig gleich mit Sex verbunden?

In Teilen der Gesellschaft herrscht die Furcht, dass, wenn man über Homosexualität spricht, die Kinder schwul oder lesbisch werden. Das ist ja vollkommener Schwachsinn. Ich weiß ja selber, wie das ist. Wenn ich mir das in meiner Jugend hätte selbst aussuchen können, homosexuell oder hetero zu sein, dann hätte ich lieber hetero gewählt, weil das der einfachere Weg ist. Aber das kann man sich leider nicht aussuchen. Und genau deshalb muss man den Kindern, die ein bisschen anders sind, Halt geben, indem man ihnen verdeutlicht, dass sie nicht abnormal sind.

Durch Ihre Auftritte im Fernsehen, Ihre Shows, Bars und Führungen auf dem Kiez sind Sie deutschlandweit berühmt. Die Menschen kennen Sie eigentlich nur als Frau. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie lieber eine „sie“ als ein „er“ sind?

Ich spiele gerne Frauen. Ich lebe meine weibliche Ader aus. Aber ich bin nicht transsexuell. Ich bin sogar ganz glücklich als Mann. Ich polarisiere gerne, ich stehe gerne in der Öffentlichkeit. Das hat nicht jeder, nicht jeder ist so mutig wie ich. Und nicht jeder kommt mit diesem Gegenwind so klar. Ich nutze den Shitstorm als Rückenwind. Mittlerweile bin ich stolz darauf, anders zu sein – auch wenn das ein weiter und steiniger Weg war. Schließlich muss man sich selbst akzeptieren. Und das tue ich. Ich folge einfach meinem Herzen.

Im Vorwort Ihres neuen Buches stellen Sie die Frage: „Scheint also, als wäre unsere Gesellschaft endlich tolerant geworden. Aber ist das wirklich so?“ Wie würden Sie Ihre eigene Frage selbst beantworten?

Natürlich ist die Gesellschaft liberaler geworden. Aber wenn ich Briefe von Jugendlichen bekomme, die in der Schule angepöbelt werden, nur weil sie sich geoutet haben, dann läuft etwas schief. Ich kenne Bauarbeiter, die schwul sind. Die meinten, das letzte, was die machen würden, wäre sich zu outen. Sonst seien sie die „Schwuchteln vom Dienst“, meinten die. Ich kenne Fernsehmoderatoren, die schwul oder lesbisch sind. Die würden sich auch nicht dazu bekennen. Und dass man sich noch so verstecken muss, finde ich traurig. Ich kann das aber verstehen. Niemals würde ich jemanden outen, dafür kenne ich die Personen zu gut.

Würden Ihrer Meinung nach berühmte Outings, wie das von Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger im vergangenen Jahr, die Sichtweise der Gesellschaft ändern?

Ich glaube schon. Dann würde einmal ein Raunen durch die Gesellschaft gehen – und gut ist. Schade war allerdings, dass sich Thomas Hitzlsperger erst geoutet hat, als er kein aktiver Fußballer mehr war. Das hätte viel früher kommen müssen.

Jetzt lesen

Warum scheuen gerade Prominente das Outing?

Das liegt an der Angst vor Diskriminierung, vor Ausgrenzung, vor möglichen Problemen im Job. Sie haben Angst davor, dass ihnen die Fans weglaufen, dass sie mit „homosexuell“ abgestempelt werden, dass sie sich ständig rechtfertigen müssen.

Morgen ist „Internationaler Tag gegen Homophobie“. Welche Botschaft würden Sie sich wünschen?

Dass es diesen Tag in naher Zukunft gar nicht mehr geben wird, weil es die Homophobie nicht mehr geben wird. Leider wird das niemals so sein, da Toleranz und Respekt immer wieder neu erkämpft werden müssen. Und Toleranz und Respekt fangen in der Kindheit an. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Ich wünsche mir einfach nur, dass die Menschen verinnerlichen, dass Homophobie eine Angst ist, die völlig unbegründet ist.

Der „Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie“ wurde 2004 von der französischen Sektion der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) ausgerufen. Ziel dieses inzwischen in über 120 Ländern als „International Day against Homophobia and Transphobia“ (IDAHO) begangenen Aktionstages ist es, Respekt und Toleranz für sexuelle Minderheiten einzufordern. Das Datum wurde zur Erinnerung an den 17. Mai 1990 gewählt – den Tag, an dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschloss, Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten zu streichen. Hier ergeben sich in der Schreibweise zufällige Parallelen zwischen dem Datum 17.5. und dem ehemaligen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches – dieser stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe.