Lokale Kicker: Kein aktiver Profi wird sich outen

Homosexualität im Fußball

Thomas Hitzlsperger hat es vorgemacht - nach seiner aktiven Karriere. Es scheint unmöglich, dass ein aktiver Profifußballer sich in Deutschland als homosexuell outet. Im September 2014 hat sich Markus Wiebusch, Sänger der Band Kettcar, dem Thema in einem musikalischen Kurzfilm angenommen. Wir haben das Video einer lesbischen Ex-Fußballerin und einem heterosexuellen Trainer gezeigt und mit ihnen über das Thema gesprochen.

WERNE

, 28.01.2015, 16:13 Uhr / Lesedauer: 4 min
Stefanie Schreiber und Kurtulus Öztürk schauen sich das Video von Marcus Wiebusch an. Anschließend diskutieren sie ausgiebig über Homosexualität im Fußball.

Stefanie Schreiber und Kurtulus Öztürk schauen sich das Video von Marcus Wiebusch an. Anschließend diskutieren sie ausgiebig über Homosexualität im Fußball.

Und der Tag wird kommen, an dem wir alle unsere Gläser heben, singt der Hamburger Musiker Marcus Wiebusch in der ersten Zeile seines Liedes "Der Tag wird kommen". Das Musikvideo wurde auf der Videoplattform Youtube mehr als 870.000-mal aufgerufen.

Kurtulus Öztürk, Fußballtrainer des Bezirksligisten Werner SC und Ex-Profi, und Stefanie Schreiber, ehemalige Fußballerin des Werner SC, haben sich das Video von Marcus Wiebusch zusammen angeschaut. Schreiber betrifft das Thema, weil sie offen mit ihrer Sexualität umgeht. Die Polizistin lebt in einer gleichgeschlechtlichen Ehe und ist als ehemalige Amateurfußballerin immer noch nah am Fußball dran. Öztürk verfolgt als Fußballtrainer und ehemaliger Profi die Thematik gespannt. 

Die Gläser heben, weil endlich ein mutiger Fußballprofi den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt hat. Den Schritt, sich öffentlich als schwul zu bekennen. Es wäre ein Novum im Männerbereich. Im Frauenbereich ist das ganz normal. Die Nationalspielerinnen Nadine Angerer und Steffi Jones hatten sich frühzeitig geoutet. 

Schreiber und Öztürk verfolgen das im Video skizzierte Leben des fiktiven Fußballers ganz genau. Der geoutete Amateurfußballer, der den Sprung zu den Profis schafft und dort wieder sein Leben als Lüge leben muss – als angeblicher Heterosexueller.

Ein Leben als schwuler Profifußballer, ob der Tag in absehbarer Zeit in Deutschland eintreten könnte? „Ich hoffe es! Aber es muss sich jemand ein Herz fassen und der Erste sein“, sagt die 28-jährige Schreiber, „man braucht dafür eine starke Persönlichkeit, einen guten Charakter, um das machen zu können.“

Angst vor medialem Druck

Denn was nach einer solchen Offenlegung auf denjenigen einprasseln würde, kann sich die Polizistin in etwa ausmalen. „Eigentlich müssten die Profis mit dem medialen Druck umgehen können, das sind sie ja fast gewohnt. Aber es gibt eben immer noch die Fans, die mit Homosexualität ein Problem haben“, sagt Schreiber.

Sie glaubt darin die Hemmschwelle für aktive Sportler zu sehen. „Die bringen dir dann massiv Hass entgegen“, mutmaßt die Ex-Fußballerin, die aus beruflichen Gründen nach zwölf Jahren bei Fortuna Walstedde ihre Fußballschuhe an den Nagel gehängt hat. Auch der 34-jährige WSC-Trainer Kurtulus Öztürk argumentiert mit den Hassbekundungen von Fans: „Was demjenigen in fremden Stadien entgegengebracht werden würde, ist meiner Meinung nach eine zu große psychische Belastung. Ich glaube deswegen nicht, dass ein Profifußballer in absehbarer Zeit diesen Schritt gehen wird.“ Beleidigungen und Drohungen würden dann wohl an der Tagesordnung stehen, schätzt Schreiber die Lage ein.

Wie weit geht die Akzeptanz?

Aber ist unsere Gesellschaft nicht weit genug, schwule Profifußballer zu akzeptieren – genau wie einen homosexuellen Ex-Außenminister oder Popstar, die Wiebusch besingt? Der Großteil schon, da sind sich Schreiber und Öztürk sicher. Das zeigen auch die zahlreichen Fanprojekte wie „Fußballfans gegen Homophobie“ – ins Leben gerufen durch Fans von Tennis Borussia Berlin – oder das jahrelange Engagement des FC St. Pauli gegen Schwulenhass. In Wiebuschs Video sieht man Fanblöcke, die die Regenbohnefahne, ein Symbol der homosexuellen Szene, hissen. „Wir sind gesellschaftlich schon weit genug, aber es ist eben dieser kleine Teil der Gesellschaft, der dem ersten Coming-out eines Fußballers im Wege steht“, erklärt Schreiber. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass ein klares Bekenntnis zum Lesbischsein bereits in der Kleinstadt psychischen Druck auf einen ausübt. Als Person des öffentlichen Lebens würde sich das ins Unermessliche multiplizieren, schätzt die 28-Jährige.

Seite 2: Schwulsein und das Klischee vom männlichen Ideal

Aber wieso wird Homosexuellen im Fußball so ein Hass entgegnet? Um erfolgreich Fußball zu spielen, wird eine gewisse Männlichkeit erwartet, gar verlangt. Sich für den Verein zu 100 Prozent zu zerreißen, sich in jeden Zweikampf zu schmeißen – Fußball, der Sport des wahren Mannes. „Zehn Gelbe, zweite Rote… ‚jetzt gelt‘ ich als Treter der Liga‘“, heißt es in Wiebuschs Lied. Bloß keinen Zweifel aufkommen lassen. Homosexualität und Männlichkeit, das passt für einige nicht zusammen. „Du bringst deine Leistung nicht aufgrund deiner Sexualität. Das ist Stammtischgewäsch“, räumt Öztürk mit dem Klischee auf. Der Familienvater einer Tochter müsste es wissen. Er hat mehr als zehn Jahre auf hohem Niveau Fußball gespielt. In der ersten türkischen Liga, bei der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund, bei Preußen Münster – in Regional- und Oberliga. Doch in all den Jahren war das Thema Homosexualität in seinen Vereinen nicht existent. „Wir haben darüber nicht wirklich nachgedacht oder gesprochen.“ Problematisch wäre das für ihn und seine Mannschaftskollegen auch gar nicht gewesen, ist er sich sicher. „Meine Mannschaftskollegen waren menschlich auch alle astrein.“

Finanzielle Einbußen

Er beleuchtet die Thematik aber nicht nur auf der rein menschlichen, sondern auch auf der professionell ökonomischen Ebene. „Man darf niemals vergessen, was die Jungs da machen. Das ist ihr Job, ihr täglich Brot. Durch ein Outing gefährden sie natürlich auch eine Menge.“ Möglich, dass eine Vertragsverlängerung durch ein Outing in Gefahr geraten könnte und der Verein keine Unruhe in den sportlichen Apparat bringen möchte, wie es auch in dem Lied heißt: „Kein Verein will den Rummel, kein Team den Alarm. Und der Vertrag, den ich hab‘, geht so schnell wie er kam.“ Auch auf die Werbeeinnahmen könnte sich ein Outing auswirken. All das sind für Öztürk Faktoren, die gegen ein Outing sprechen könnten. Die Zeit, die den Spielern bleibt, um Geld zu verdienen, ist deutlich kürzer als bei normalen Arbeitnehmern. Ein Outing nach der Karriere wie bei dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger scheint ein guter Mittelweg zu sein.

„Es ist immer gut, wenn jemand Bekanntes sich outet. Das hilft allen Menschen, die vor diesem Schritt stehen. Es ist natürlich ein bisschen schade, dass er es auch erst danach gemacht hat. Weil er dadurch nicht die Vorreiterrolle für andere Profis einnehmen konnte“, so Schreiber. Ein Leben mit einer Lüge, schwule Profifußballer zahlen diesen hohen Preis. Hinter einer Maske zu leben, hinter der immer darauf geachtet werden muss, „wer man ist, wie man lebt“, so Wiebusch in seinem Hit. „Wenn man das nicht ausleben kann, darf, will – dann geht es einem einfach schlecht“, so Schreiber. Sie will nicht ausschließen, dass so ein Versteckspiel sich auch auf die Leistung von Profis niederschlagen könnte. „Fühlt man sich selbst nicht wohl, geht das von der Psyche auch aufs Körperliche über.“

Schlägt man die große Brücke herüber zu den Amateuren, scheint auf den ersten Blick alles anders – einfacher. Doch „im Amateurbereich ist alles viel näher beieinander. Die Zuschauer sind da nicht auf der Tribüne, sondern stehen am Spielfeldrand“, erklärt Öztürk, „du hörst ja jetzt schon teilweise derbe Sprüche von außen und auch von deinem Gegenspieler.“ Homophobe Beleidigungen und Provokationen sind auch im Amateurbereich nicht auszuschließen. Doch „die Auswirkungen sind deutlich geringer, es ist nicht dein Hauptberuf“, sagt Öztürk. Man könne ja auch jederzeit schnell den Verein bei Problemen wechseln. Stefanie Schreiber stimmt dem Ex-Profi zu: „Und wenn es nur zwei bis drei Leute im Team sind, die damit ein Problem haben und dir damit die Lust am Fußball nehmen – immerhin kannst du deinen Weg dann selbst bestimmen.“ Der besagte Weg, der für den Amateur in dieser Situation dann so einfach ist. Einen Profi aber alles kosten kann.