Welche Schutzmaßnahmen ergreifen Kliniken, um zu verhindern, dass es – wie im Fall des Krankenpflegers Niels Högel – zu Tötungen von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus kommt?

Welche Schutzmaßnahmen ergreifen Kliniken, um zu verhindern, dass es – wie im Fall des Krankenpflegers Niels Högel – zu Tötungen von Patientinnen und Patienten im Krankenhaus kommt? Diese Frage haben wir zahlreichen Kliniken gestellt. Jetzt liegen die Antworten vor. © picture alliance/dpa (Symbolbild)

So schützen sich Kliniken vor einem neuen Serienmörder wie Niels Högel

rnGesundheit

87 Menschen ermordete Krankenpfleger Niels Högel. Wie schützen sich Kliniken vor solchen Taten? Unsere Nachfrage in Dortmund, Münster und der Charité zeigt: Nicht alle Wege werden genutzt.

NRW

, 30.07.2022, 04:00 Uhr / Lesedauer: 5 min

Wie viel haben die Krankenhäuser aus den Taten des mordenden Krankenpflegers Niels Högel gelernt? Welche Vorkehrungen haben sie getroffen, damit sich eine solche unfassbare Mordserie nicht wiederholen kann? Was können Kolleginnen und Kollegen, Patientinnen und Patienten, aber auch Angehörige tun, wenn sie Missstände in einer Klinik bemerken oder gar den Verdacht hegen, dass dort etwas nicht nach den Vorschriften und nicht zum Wohl der Patienten läuft? Wir haben Kliniken aus unserer Region und darüber hinaus gefragt.

Vorausgeschickt werden muss, warum wir ausgerechnet jetzt dieser Frage nachgehen. Die Antwort darauf ist einfach. Der Krankenpfleger Niels Högel ist wegen Mordes an 87 Menschen, die er in den Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg begangen hat, rechtskräftig verurteilt worden.

Prozess gegen Mintrop als aktueller Anlass der Recherche

Die Taten ereigneten sich bereits vor rund 20 Jahren, werden aber seit Februar noch einmal vor dem Landgericht Oldenburg aufgerollt. In dem dort laufenden Prozess geht es um die Frage: Hätten Verantwortliche – Ärzte, Pflegekräfte, Direktoren – in den Klinikleitungen in Oldenburg und Delmenhorst Taten von Niels Högel verhindern können? Hegten sie einen Verdacht gegen ihn und haben sie nur deshalb nicht die Ermittlungsbehörden eingeschaltet, um dem Image der Klinik nicht zu schaden?

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Zu denen, die da jetzt vor Gericht stehen, zählt auch Rudolf Mintrop, dem Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen zur Last gelegt wird. Dabei geht es um Todesfälle im Jahr 2001, als Mintrop am Klinikum Oldenburg dort Geschäftsführer war. Später war er auch Geschäftsführer des Klinikums Delmenhorst und dann bis Ende 2021 acht Jahre lang Geschäftsführer am Klinikum Dortmund.

Was also haben die Kliniken aus den Taten des Niels Högel gelernt?

Eine Übersicht.

Das Klinikum Dortmund

Das Klinikum Dortmund berichtet von diversen Maßnahmen, die man bereits seit längerem ergriffen habe. So sei das Klinikum laut Pressesprecher Marc Raschke „bundesweit Vorreiter“, wenn es um sogenannte Patientenfürsprecher gehe. Die dienten als „unabhängige Anwälte“ für die Interessen von Patienten gegenüber der Klinik. Sie arbeiten ehrenamtlich, sind also entsprechend unabhängig.

Das Klinikum Dortmund.

Das Klinikum Dortmund. © Tim Brederecke

Darüber hinaus gibt es im Klinikum ein „Lob- und Beschwerde-Management“ als Stabsstelle der Geschäftsführung. Dort kann man persönlich, per Beschwerdekarten, per Mail oder auch telefonisch seine Anmerkungen, Beobachtungen, Kritik und verdächtige Vorkommnisse melden. Das Ganze kann offen oder anonym erfolgen. Die Anonymität soll sicherstellen, dass beispielsweise Mitarbeiter nach einem Hinweis auf das Fehlverhalten eines Kollegen oder Vorgesetzten dafür nicht gemobbt oder gemaßregelt werden.

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Dazu nutzt das Klinikum Dortmund auch eine im Intranet verfügbare Plattform: CIRS. Das ist eine Abkürzung für Critical Incident Reporting-System. Hier können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter namentlich, aber auch anonym ihre Anmerkungen eintragen. Raschke beschreibt CIRS als „Monitoring-Systeme, die anonym kritische (Beinahe-)Unfälle krankenhausübergreifend aufnehmen und auswerten“.

„Whistleblowing“-System ist in Vorbereitung

In Vorbereitung befindet sich laut Raschke zudem ein „Whistleblowing-System“. Über dieses System könnten sich Mitarbeiter an eine externe Beschwerdestelle wenden. Weitere Sicherheitsmechanismen seien zahlreiche Qualitätszirkel im Klinikum. Dazu zählten auch die rechtlich vorgeschriebenen regelmäßigen Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, in denen ungewöhnliche Behandlungsverläufe und unerwartete Todesfälle aufgearbeitet würden, erläutert Raschke. Im Übrigen würden genaue Statistiken über Todesfälle von der „Abteilung Medizin-Controlling“ geführt.

Dem Vorbild des Klinikums Delmenhorst, das bei jedem Todesfall einen externen Rechtsmediziner den Toten begutachten lässt, um eine nicht-natürliche Todesursache auszuschließen, folgt das Klinikum Dortmund allerdings nicht. Das sei rechtlich nicht vorgeschrieben und schlichtweg nicht umzusetzen, sagt Raschke. Erst bei einem ungeklärten oder nicht-natürlichen Tod werde ein Rechtsmediziner eingeschaltet.

In Sachen Leichenschau handelt das Klinikum Dortmund genauso wie alle anderen von uns befragten Kliniken.

Das Klinikum Westfalen (Knappschaftskrankenhaus)

Neben den Möglichkeiten für die Beschäftigten, Patienten und Angehörigen, schriftlich, persönlich oder telefonisch ihre Beobachtungen, Hinweise und Kritik loszuwerden, nutzt das Klinikum Westfalen ebenfalls die Plattform CIRS.

Das Klinikum Westfalen, das Knappschaftskrankenhaus.

Das Klinikum Westfalen, das Knappschaftskrankenhaus. © picture alliance/dpa

Sollten – auf welchem Weg auch immer – schwerwiegende Hinweise oder CIRS-Meldungen eingehen, gehe die Compliance-Beauftragte des Klinikums dem nach, berichtet Pressesprecher Jörg Kühn für die Klinik. Dabei handle es sich um eine direkt der Hauptgeschäftsführung unterstellte Juristin, die als Compliance-Beauftragte weisungsungebunden sei.

Externer Rechtsmediziner wird nicht eingeschaltet

Bei der Leichenschau verfährt auch das Knappschaftskrankenhaus nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren. Ein externer Rechtsmediziner wird nicht eingeschaltet. Bei einer unnatürlichen Todesursache werde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, sagt Kühn.

Das Johannes-Hospital Dortmund

Sowohl Mitarbeitende als auch Patienten, Angehörige und andere Außenstehende können im Johannes-Hospital über verschiedene Wege ihre Hinweise geben – auch anonym. Auch das Johannes-Hospital nutze das Meldesystem CIRS, um „Informationen und Hinweise aus allen Bereichen unserer Einrichtungen zu erhalten“, berichtet Pressesprecherin Gudula Stroetzel.

Sie verweist auf ein „modernes, umfangreiches Intranetsystem“, zu dem jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter Zugang habe und über ein „Meldewesen-Modul“ Informationen, Auffälligkeiten oder Beschwerden direkt melden könne.

Auch für Außenstehende gibt es auf der Homepage des Krankenhauses die Möglichkeit, Hinweise zu geben – auch anonym.

Regelmäßige Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen

Die „Stabsstelle Qualitätsmanagement“ sichte täglich die auf verschiedenen Wegen eingegangenen Meldungen und bearbeite sie. Sollten dabei Hinweise auf Auffälligkeiten auftauchen, gehe eine interne, interdisziplinäre Expertengruppe dem nach. Ihr gehörten nicht nur Mitglieder Geschäftsführung, der Revision und des Qualitätsmanagements an, sondern auch der Ärzte, Pflegenden und der Mitarbeitervertretung.

Das Johannes-Hospital.

Das Johannes-Hospital. © Archiv

Regelmäßige Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, in denen ungewöhnliche Behandlungsverläufe und unerwartete Todesfälle aufgearbeitet werden, sind rechtlich bindend. Man führe sie daher im Johannes-Hospital „sowohl abteilungsbezogen als auch interdisziplinär“ durch.

Als Haus in katholischer Trägerschaft folge man zudem, so berichtet Stroetzel, der „bischöflichen Präventionsordnung“. Daher gebe es in allen Einrichtungen „Strategien und Maßnahmen zum Schutz vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte“.

Geplant sei zudem der Aufbau eines Whistleblower-Meldesystems. Dabei werde eine weitere Meldestelle eingerichtet. Damit bereite man sich auf das im Bund geplante neue Hinweisgeberschutzgesetz vor.

St.-Franziskus-Hospital Münster

Auch das St.-Franziskus-Hospital Münster nutzt das Meldesystem CIRS, in dem Mitarbeitende anonyme Hinweise geben können. Zudem habe das Franziskus, so berichtet Pressesprecherin Marlene Lepper, einen weisungsfreien, nicht im Hospital angestellten Patientenfürsprecher, der Hinweise von Patienten und Angehörigen nachgehe und im Falle eines Falles die Direktion einschalte.

Anonymer Fragebogen für Patienten

Anonyme Hinweise und Beschwerden werden zunächst vom Qualitätsmanagement bearbeitet. Je nach Meldung beziehe man dann einen Justiziar oder/ und das Direktorium mit ein.

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Zudem erhalte jede Patienten und jeder Patient einen Fragebogen, auf dem sie selbst oder ihre Angehörigen Anmerkungen eintragen könnten. Diesen Fragebogen könne man anonym in einem der an diversen Stellen im Krankenhaus aufgehängten Briefkästen wieder zurückgeben.

Marlene Lepper verweist ferner auf ein „stiftungsweites Konzept zur Prävention sexualisierter Gewalt“. Dabei gebe es ein klar definiertes Meldewesen, in das sowohl interne als auch externe Ansprechpartner eingebunden seien.

Uniklinik Münster

Auch an der Uniklinik Münster (UKM) gibt es einen Patientenfürsprecher und ein anonymes Hinweisebersystem. Seit 2007 arbeite die Klinik mit CIRS. Zudem verweist Anja Wengenroth als Pressesprecherin der Uniklinik auf die Möglichkeit, sich per Mail oder Telefon an die Compliance-Beauftragte der Klinik zu wenden.

Die Uniklinik in Münster.

Die Uniklinik in Münster. © picture alliance/dpa

Patienten und Angehörige könnten sich zudem persönlich, telefonisch, schriftlich oder über ein Formular im Internet an das Lob- und Beschwerde-Management der Klinik wenden. In allen Fällen könne man auf Wunsch seine Angaben auch anonym einreichen.

Alle Hinweise auf mögliche Schwachstellen oder auf Fehlverhalten landen im UKM im Geschäftsbereich „Compliance und Versicherungen“, wo die Angaben überprüft werden. Die Compliance-Beauftragte könne dabei bei Bedarf auch Kontakt zu einem Hinweisgeber aufnehmen. Selbst bei anonymen Hinweisen, die über das Hinweisebersystem eingehen, sei das mittels eines verschlüsselten Mail-Postfachs möglich.

„Unsere Beschäftigten werden ausdrücklich ermutigt, ungesetzliche, unlautere oder sonstige Verfehlungen aktiv bei der Compliance-Beauftragten zu melden“, sagt Anja Wengenroth.

Die Charité in Berlin.

Die Charité in Berlin. © picture alliance/dpa


Charité Berlin

Für die Charité in Berlin berichtet Susanne Stöckemann auf Anfrage unserer Redaktion: „Das multiprofessionelle Team des Klinischen Qualitäts- und Risikomanagements steht nicht nur als Ansprechpartner für Patientinnen und Patienten, deren Angehörigen sowie allen Beschäftigten zur Verfügung, sondern führt auch regelmäßig Prüfungen in verschiedenen Bereichen durch. Bestandteil des installierten Compliance Management Systems an der Charité zur Vermeidung von Rechtsverstößen und unzulässige Grenzverletzungen sind externe Vertrauensanwälte und -anwältinnen sowie eine anonyme Meldeplattform.“