Unter anderem in Pflegeheimen herrscht auch deshalb ein eklatanter Personalmangel, weil es noch immer eine Isolationspflicht für mit dem Coronavirus infizierte Menschen gibt. Nicht nur diese Pflicht muss ein Ende haben, sagt Ulrich Breulmann in seinem Kommentar.

Unter anderem in Pflegeheimen herrscht auch deshalb ein eklatanter Personalmangel, weil es noch immer eine Isolationspflicht für mit dem Coronavirus infizierte Menschen gibt. Nicht nur diese Pflicht muss ein Ende haben, sagt Ulrich Breulmann in seinem Kommentar. © Fotos: dpa, Kiwit / Montage: Leonie Sauerland

Isolationspflicht für Corona-Infizierte schadet mehr als zu nutzen

rnMeinung

Corona-Infizierte müssen sich weiter für 10 Tage isolieren, können sich frühestens nach 5 Tagen freitesten. Nicht nur diese Regel gehört auf den Müll, sagt unser Autor. Ein Kommentar.

NRW

, 28.07.2022, 11:05 Uhr / Lesedauer: 3 min

Können wir in Deutschland nicht die Übertreibungen lassen? Müssen wir wirklich immer über-über-korrekt sein? Können wir nicht ein einziges Mal die in aller Welt schon sprichwörtlich gewordene „German Angst“ abschütteln?

Im dritten Jahr der Corona-Zeitrechnung müsste uns allen klar sein: Das Coronavirus ist gekommen und wird bleiben. Wir müssen lernen, mit ihm unser normales Leben zu leben. Deshalb gehört die Isolationspflicht auf den Müll und nicht nur sie.

Chef der Kassenärzte streitet mit dem Gesundheitsminister

Der Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andres Gassen, hat mit seiner vor einigen Tagen erhobenen Forderung, die Isolationspflicht zu streichen, für Aufregung und Widerspruch gesorgt. Gesundheitsminister Karl Lauterbach winkte entsetzt ab. Das ginge ja gar nicht, sagte derselbe Lauterbach, der Anfang April exakt dasselbe gefordert hatte, um wenig später einen Rückzieher zu machen. Er habe einen Fehler gemacht.

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Ich denke, sein Rückzieher im April war ein Fehler und sein jetziges Beharren auf einer generellen Isolationspflicht ist es auch.

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass überall Personal fehlt, weil sich Menschen aufgrund der geltenden Regeln isolieren müssen? Das gilt für Kliniken ebenso wie für Pflegeheime. Es fehlen Ärzte und Pflegekräfte.

An vielen Flughäfen herrschen wegen fehlenden Personals auch ohne Streik seit Wochen chaotische Zustände. Der Bahn fehlen Fahrerinnen und Fahrer. Erst vor wenigen Tagen legte sie im Rheinland vier S-Bahn-Linien für Tage komplett still.

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In der Industrie, im Handwerk, im Handel, in der Gastronomie, in der Freizeitbranche, überall fehlt Personal. In nahezu allen Fällen zählt die Isolationspflicht zu den Hauptgründen für diese Misere. Sie richtet damit einen volkswirtschaftlichen Schaden an, der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Der ist nämlich höchst zweifelhaft.

„Kranke Menschen sollen zu Hause bleiben“

Ein Ende der Isolationspflicht bedeutet ja nicht, dass Menschen krank zur Arbeit kommen sollen. Natürlich nicht. Kranke Menschen sollen bitteschön zu Hause bleiben und sich kurieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie an einer Grippe, einem Magen-Darm-Infekt oder eben an Corona leiden.

Ein Ende der Isolationspflicht bedeutet lediglich, dass Menschen sich nicht isolieren müssen und zur Arbeit kommen sollen, wenn sie zwar positiv auf das Virus getestet wurden, sich aber gesund fühlen und keine Krankheitssymptome haben.

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Dass positiv Getestete auch ohne Isolation immer dann, wenn sie mit anderen Menschen zusammenarbeiten oder anderen nahe kommen, eine FFP2-Maske tragen sollten, wäre ja kein Problem. So macht Österreich das übrigens ab 1. August, wenn dort die Isolationspflicht fällt.

Und Österreich steht ja nicht alleine da. Viele andere europäische Länder verzichten schon seit Monaten auf eine Isolationspflicht für Infizierte. Im Februar und März fielen die entsprechenden Vorschriften unter anderem in Dänemark und Großbritannien, in Spanien, der Schweiz und in Norwegen. Frankreich schließt sich zum 1. August an. In keinem dieser Länder hat der Wegfall der Isolationspflicht zum Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung geführt.

Das „Schein-Argument der Bedenkenträger“

Und Deutschland? Hier beschädigt die Isolationspflicht unsere Gesundheitsversorgung massiv. In zahlreichen Kliniken sind bereits ganze Stationen wegen fehlenden Personals geschlossen, verschiebbare Operationen abgesagt worden.

Ich höre schon das Argument der Bedenkenträger: Ja, aber die Zahl der Corona-Infizierten in den Kliniken steigt wieder. Ja, das ist richtig und schön ist das auch nicht, aber zur ganzen Wahrheit gehört auch diese Tatsache: Bei weit mehr als 100.000 festgestellten Corona-Infektionen am Tag steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der ein oder die andere unter ihnen nicht wegen Corona, sondern wegen einer anderen Erkrankung oder Verletzung ins Krankhaus muss, obwohl er oder sie gar keine Corona-Symptome hat. Aber auch solche Menschen zählen als Corona-Patienten, obwohl Corona gar nicht der Grund für die Klinik-Einweisung war.

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Die aktuell in Deutschland grassierenden Omikron-Varianten sind hochansteckend, lösen aber eine – wenn überhaupt – im Schnitt nur leichte Erkrankung aus. Das heißt: Es werden sich noch sehr viele Menschen infizieren, vielleicht auch zum zweiten oder dritten Mal. Wenn wir diese Menschen alle immer in die Isolation schicken, droht völliges Chaos.

Was wird dann aus unseren Kindern, wenn nach den Ferien die Kitas und Schulen wieder öffnen und sich Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher zwar kerngesund fühlen, aber wegen eines positiven Tests mindestes fünf, im Zweifel sogar zehn Tage zu Hause bleiben müssen? Was, wenn wir unsere Kinder wieder aus Schulen, Kitas und Vereinen aussperren, nicht weil sie krank, sondern nur, weil sie positiv getestet sind? Ich mag mir das gar nicht vorstellen.

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Die psychischen und sozialen Schäden, die die eine Zeit lang sicherlich erforderlichen und richtigen Schutzmaßnahmen vor allem bei Kindern und Jugendlichen angerichtet haben, sind gewaltig. Damit muss jetzt endgültig Schluss sein. Sie haben ein Recht auf Bildung, Unterricht, Sport, Partys, Feten und ein ganz normales Leben zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden.

„Corona-Warn-App: Wie wäre es mit Abschalten?“

Und wenn man schon dabei ist, Unfug zu beenden, sollte man auch gleich die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen aufheben. Die ist inzwischen wirklich ebenso sinnfrei geworden wie der Aufwand, der mit der Corona-Warn-App betrieben wird. Wie wäre es mit Abschalten?

Österreichs Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sagt: „Wir können die Pandemie nicht wegtesten, nicht wegimpfen und nicht wegabsondern.“ Recht hat er. Fangen wir endlich an, mit ihr zu leben, statt im Panik-Modus zu verharren.

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