
Lundquist Neubauer, Energieexperte bei Verivox, erläutert, warum in vielen Fällen ausgerechnet der Anbieter das günstigste Gas anbietet, der sonst fast immer der teuerste war. © Fotos: Verifox, dpa / Montage: Klose
Gaspreise in NRW: Dieser Anbieter ist überraschenderweise am günstigsten
Interaktiver Gaspreis-Vergleich
Die Gaspreise explodieren. Wir haben die Preise in 70 NRW-Städten abgefragt und massive Unterschiede entdeckt. Zudem überrascht extrem, wer Gas jetzt am billigsten liefert.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Preise für Erdgas explodieren lassen. Davon sind auch in Nordrhein-Westfalen rund zwei Drittel aller Menschen betroffen, denn: Mehr als fünf Millionen Wohnungen werden mit Erdgas beheizt. Hauseigentümer und Mieter müssen sich auf drastische gestiegene Gas-Rechnungen gefasst machen, sofern die Abschläge nicht schon erhöht wurden.
Erhöht der Gas-Anbieter seine Preise, kann man seinen laufenden Vertrag auch außerhalb der regulären Kündigungsfrist kündigen. Dann müsste man sich einen neuen Anbieter suchen. Wer sich auf die Suche nach einem neuen Gas-Lieferanten für sein Zuhause macht, erlebt dabei eine heftige Überraschung.
Viele Jahre lang war der Tarif der Grundversorgung, den der lokale Netzbetreiber anbot, der teuerste Tarif. Über ein Vergleichsportal ließ sich sehr schnell ein anderer Anbietern finden, der die gleiche Leistung für deutlich weniger Geld anbot. Hauseigentümer konnten so schnell mehrere hundert Euro im Jahr sparen.
Dortmund und Recklinghausen als Beispiele
Als unsere Redaktion jetzt über das Vergleichsportal „Verivox“ die Preise in 70 stichprobenartig ausgewählten Städten und Gemeinden in NRW in drei Kategorien miteinander verglichen hat - für kleine Wohnungen von 50 Quadratmeter und einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 5.000 Kilowattstunden, für mittlere Wohnungen (100 qm, 12.000 kwh) und für große Wohnungen (150 qm, 18.000 kwh) - zeigte sich: Fast überall ist der Tarif des Grundversorgers, in den man beispielsweise automatisch zurückfällt, wenn der bisherige Gasanbieter Konkurs anmeldet, der mit Abstand günstigste Anbieter.
Beispiel Dortmund. Wer einen Jahresverbrauch von 5.000 Kilowattstunden hat (das trifft etwa auf eine Wohnung von 50 Quadratmetern zu), zahlt aktuell in der Grundversorgung 78,76 Euro im Monat. Der laut Verivox billigste Alternativ-Anbieter verlangt 114,91 Euro. Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung und einem Verbrauch von 12.000 Kilowattstunden liegt der Unterschied schon bei fast 100 Euro im Monat (165,21 zu 261,04 Euro).
Oder Recklinghausen. Eine warme 100-Quadratmeter-Wohnung ist hier in der Grundversorgung mit 153,34 Euro zu haben. Der billigste Alternativ-Anbieter verlangt 267 Euro.
„Ja, die Beobachtung ist richtig. Es ist momentan in der Tat so, dass in ganz vielen Fällen der Tarif der Grundversorgung der günstigste ist, den man bekommen kann“, sagt Lundquist Neubauer von Verivox auf Anfrage unserer Redaktion. „Das war viele Jahre anders.“
Die Erklärung für die überraschende Entwicklung
Für diese Entwicklung gebe es eine nachvollziehbare Erklärung: „Der Grundversorger hat es mit einem festen Kundenstamm zu tun. Daher hat er langfristige Verträge mit seinen Gas-Lieferanten abgeschlossen und Gas zu festen Konditionen eingekauft“, erläutert Neubauer. In der Grundversorgung gebe es zudem nur einen einzigen Tarif. Alt- und Neukunden müssen das Gleiche bezahlen, unterschiedliche Tarife für alte und neue Kunden sind im Grundtarif verboten.
Für Alternativanbieter gelte diese Vorschrift dagegen nicht. Sie müssten bei ihren Angeboten jeweils mit den aktuell gültigen Marktpreisen kalkulieren und die seien derzeit exorbitant hoch. Allerdings, so stellte Neubauer klar, würden auch die Grundversorger auf Dauer ihre Preise erhöhen müssen: „Wenn der Anteil der Neukunden steigt und neue Lieferverträge geschlossen werden müssten.“
Zudem müsse man beachten, dass Grundversorgungs-Verträge zum einen nur eine zweiwöchige Kündigungsfrist hätten und es dabei keine Preisgarantien über ein oder zwei Jahre gebe. Hier müsse man immer damit rechnen, dass der Anbieter die Preise erhöhe, sagt Neubauer. Daher sei es auf jeden Fall ratsam, vor dem Abschluss eines neuen Vertrages die Angebote im Detail zu vergleichen.
Ausnahmen bestätigen im Übrigen auch hier die Regel. Das derzeit eklatanteste Beispiel dafür ist Attendorn im Sauerland. Anbieter der Grundversorgung ist da die Bigge Energie & Co KG. Für 12.000 Kilowattstunden im Jahr, um eine 100-Quadratmeter-Wohnung zu heizen, muss man in der Grundversorgung derzeit hier 435,68 Euro bezahlen. Der preiswerteste Alternativanbieter verlangt für die gleiche Leistung 166,61 Euro.
In Lünen ist Gas ganz besonders teuer
Abgesehen von Attendorn und einem ähnlichen Ausreißer in Emmerich haben wir die höchsten Grundversorgungs-Gaspreise in Lünen gefunden. 5.000 Kilowattstunden kosten dort 109,75 Euro im Monat, 12.000 Kilowattstunden kosten 249,55 Euro und 18.000 Kilowattstunden 367,65 Euro.
Zuweilen sind die Preise in Orten, in denen derselbe Grundversorger das Gas liefert, unterschiedlich. Das hängt damit zusammen, dass die Netzentgelte je nach Netzbetreiber variieren. Gleiches gilt für die Höhe der Konzessionsabgaben.
Bei unserer Abfrage von 70 Städten haben wir den günstigsten Tarif in Kleve am Niederrhein gefunden: Die Monatspreise: 5.000 Kilowattstunden für 36,85 Euro, 12.000 Kilowattstunden für 73,37 und 18.000 Kilowattstunden für 113,30 Euro.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
