Kumpel mit Hufen: Als Pferde unter Tage halfen
Geschichte der Grubenpferde
Sie gehören zum Ruhrgebiet wie Kohle und Stahl und Zehntausende malochten in den Zechen an der Seite der Bergleute. Trotzdem sind die Grubenpferde heute fast in Vergessenheit geraten. Wir erzählen die Geschichte dieser Kumpel und zeigen, warum sie für die Entwicklung der Region unersetzbar waren.

Hier hatte Tobias seinen Stall noch unter Tage.
Das Wichtigste im Überblick:
- 1. Die Bedeutung der Grubenpferde: Warum waren sie so wichtig für den Bergbau? Wieso waren sie maßgeblich am industriellen Fortschritt in unserer Region beteiligt?
- 2. Das Leben der Pferde unter Tage: Wie wurde mit den Tieren umgegangen? Welche Arbeit mussten sie leisten? Wo waren sie untergebracht?
- 3. Das Leben eines Pferdejungen: Im Video erzählt Horst Höfer aus Unna von seinem Leben als Bergmann und Pferdeführer.
- 4. Grubenpferde als Wirtschaftsgut: Verleihfirmen versorgten die Zechen mit den Tieren. Vertraglich wurde geregelt: Was musste ein Pferd oder Pony leisten? Wer kam im Falle von Verletzungen oder Tötung für den Schaden auf? Wie lang waren die Schichten?
- 5. Das Ende der Grubenpferde: Welches war das letzte Pferd, das in Rente ging? Und auf welcher Zeche hatte es seinen Dienst versehen?
1. Die Bedeutung der Grubenpferde
Rund 100 Jahre lang haben zehntausende Grubenpferde einen schnellen Arbeitsablauf in den Zechen und eine starke Produktivität im Ruhrkohleabbau ermöglicht. Erst dann löste die maschinelle Kettenförderung die Arbeitskraft der Tiere komplett ab.
"Ohne sie wäre der Anschluss an die Industrialisierung nicht möglich gewesen", erklärt Dr. Ulrike Gilhaus, Leiterin des LWL-Museumsamtes für Westfalen und ehemalige Leiterin des Industriemuseums Zeche Zollern in Dortmund. In anderen Ländern habe man schon früher damit begonnen, Pferde in den Zechen einzusetzen. "Um konkurrenzfähig zu bleiben, hat man schließlich die gleichen Mechanismen genutzt", so Gilhaus.
Bereits am Anfang ihrer „Karriere“ um 1882 ersetzten 2200 Grubenpferde allein im Bereich Dortmund rund 15.000 Förderleute. Ihren ersten Einsatz im Ruhrbergbau hatten die Vierbeiner in den Essener Zechen Helene Amalie und Victoria Mathias.
2. Das Leben der Pferde unter Tage
Die Grubenpferde hatten viele Aufgaben: Sie brachten abgebaute Kohle zum Schacht und nahmen Steine in die andere Richtung mit, um damit Hohlräume zu füllen. Ebenso brachten sie Holz oder später auch Maschinen an den Ort des Einsatzes.
Zunächst wurden die Pferde überirdisch in Stallungen untergebracht und mithilfe von Hanfnetzen, Gurten und Schlingen in den Schacht heruntergelassen. Später, als die Stollen breiter angelegt wurden, wurden sie in speziellen Kisten und stehend hinuntergebracht. Schließlich blieben die Pferde in unterirdischen Stallungen. Um Verletzungen zu vermeiden, wurden den Tieren ein Augen- und Ohrenschutz angelegt.
Stark, schlau, gutmütig und unerschrocken mussten sie sein und trugen Namen wie Erich, Seppel, Konrad und Nurmi. Immer an der Seite des Tieres war ein Pferdejunge, der eine innige Beziehung zu seinem vierbeinigen Kumpel pflegte und ihn nicht selten liebevoll verwöhnte.
Doch das war nicht immer so: "Bis um die Zeit um 1920 waren die Tiere schrecklichen Misshandlungen und äußerster Brutalität ausgesetzt", so Gilhaus. Lange hat sie sich mit dem Thema Grubenpferd auseinander gesetzt, nach einer Ausstellung im Westfälischen Industriemuseum Zeche Zollern 2005 erforschte sie den Mythos und veröffentlichte das Buch "Kumpel auf vier Beinen", erschienen bei der Klartext-Verlagsgesellschaft.
Eines der letzten Grubenpferd im Revier: Tobias
"Die Bergleute wurden selbst lange Zeit schlecht behandelt und das Pferd stand ganz unten in der Hierarchie", erklärt Gilhaus. Man habe das Tier schlicht nicht als Lebewesen, sondern als Maschine gesehen und maßlos drangsaliert.
Mit dem Einzug einer Sozialpolitik auf den Zechen nach zahlreichen Ausständen, änderte sich auch die Einstellung zu den Grubenpferden. "Nicht nur die Bergmänner, auch die Tiere haben davon profitiert", so Gilhaus. Man habe erkannt, dass das Menschenwohl und das Tierwohl miteinander zusammenhängen. "Sind die Bedingungen für die Arbeiter gut, werden sie auch die Tiere besser behandeln."
Mit dem "Bergmannsfreund", einem Ratgeber zur Bekämpfung von Unfallgefahren im Steinkohlebergbau, wurde der gute Umgang mit den Pferden unter Tage gelehrt. Ab den 50er-Jahren seien sie schließlich zum Freund und zu etwas Besonderem für die Bergleute geworden, erzählt Ulrike Gilhaus. "Es ist ein Thema und Mythos, der die Menschen auch heute emotional packt."
3. Das Leben eines Pferdejungen
Horst Höfer ist Inhaber eines kleinen Stollenmuseums in Unna, hat das Leben eines Pferdejungen unter Tage gelebt und erinnert sich genau an die Zeit, die er mit „seinem“ braunen Holsteiner in der Grube verbracht hat:
4. Grubenpferde als Wirtschaftsgut
Eingesetzt wurden Tiere verschiedener Rassen und Größen, eingekauft wurden sie aus ganz Europa. Besonders gefragt waren wegen ihrer Gutmütigkeit, Kraft und Genügsamkeit die Pferde aus Island. "Die isländischen Ponys sind stärker und kräftiger als die Shetland-Ponys, besitzen alle guten Eigenschaften derselben noch in erhöhtem Maße und sind deshalb unter allen Umständen vorzuziehen", heißt es in einem Schreiben eines Bonner Ingenieurs-Büro an die Einkaufsabteilung von Hoesch.
Die Tiere gehörten im übrigen meistens nicht den Zechen. Sie wurden zunächst von Landwirten und später von Verleihfirmen zu Verfügung gestellt. Im Ruhrgebiet teilten sich drei große Firmen das Geschäft mit den Grubenpferden. Dabei galt die Firma W. Bischoff in Gelsenkirchen mit rund 13.000 Grubenpferden als wohl "größter Pferdestall der Welt".
Die Gebrüder Van Eupen aus Essen besaßen 2500 Tiere, gefolgt von der Dortmunder Firma Franz Wiechers mit 1000 Pferden. Die Unternehmen stellten das nötige Zubehör wie Geschirre und Decken und die Zechen kümmerten sich um Verpflegung sowie das nötige Personal.
In den Verträgen zwischen Zechen und Firmen ist genau festgehalten, in welchem Zustand sich die Tiere befinden, wie alt sie sind sowie wer bei Unfällen und Krankheiten für den Schaden und die Versorgung aufkommen muss. Der Preis eines Tieres richtete sich nach seiner Transportleistung, die im Durchschnitt mit 35 bis 50 Tonnenkilometern angegeben wurde. Diese wird nach der transportierten Masse und der dabei zurückgelegten Strecke bemessen. Auch die Anzahl der Schichten pro Pferd waren geregelt – auch wenn vorkam, dass die Tiere mehr Schichten arbeiteten, als festgelegt.
Die Zeche entschädigte die Verleiher für kranke, verletzte, arbeitsunfähige Tiere, aber auch im Falle einer Tötung kam sie für den Verlust auf. Die Arbeitszeit der Grubenpferde lag im Schnitt bei vier bis sechs Jahren.
5. Das Ende der Grubenpferde
Tobias, der gerne Apfelsinen und Butterbrote schnabuliert haben soll, ist schließlich offiziell das letzte Grubenpferd des Reviers und wird 1966 unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit in den Ruhestand verabschiedet. Zwölf Jahre lang hat der Wallach an der Seite der Bergleute auf der Zeche General Blumenthal in Recklinghausen geschuftet. Ungeachtet dessen ist es jedoch der Schimmel Seppel, der in Bochum noch zwei weitere Monate in der Dunkelheit der Grube verbringt.
Fünfzig Jahre, nachdem das letzte Grubenpferd in den Ruhestand verabschiedet worden ist, steht auch der Abbau der Ruhrkohle vor dem Aus. Seit dem 18. Dezember 2015 ist Zeche Auguste Victoria in Marl stillgelegt. Prosper Haniel in Bottrop ist dann die einzige Zeche an Rhein und Ruhr, in der noch bis 2018 gefördert wird.