Klimaschützer fordern: Kommunen sollen RWE verkaufen

"Divestment"-Bewegung

Die Städte im Ruhrgebiet und RWE: Lange haben die Kommunen vom Energieriesen profitiert, durch Arbeitsplätze und jährliche Aktiendividenden in Millionenhöhe. Nun fordern Klimaschützer, die Kommunen sollen ihre Anteile am angeschlagenen Konzern verkaufen. Die Städte sind von der Idee nicht begeistert.

von Jan Falk

NRW

, 16.02.2015, 05:30 Uhr / Lesedauer: 7 min
RWE-Braunkohlekraftwerk Niederaussem: Der Essener Energieriese steht schon länger in der Kritik von Klimaschützern.

RWE-Braunkohlekraftwerk Niederaussem: Der Essener Energieriese steht schon länger in der Kritik von Klimaschützern.

“Je besser es RWE geht, desto voller sind die Stadtsäckel” - diese Diagnose von Jürgen Großmann, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der RWE, beschrieb über viele Jahrzehnte ziemlich gut das Verhältnis der Ruhrgebietsstädte zum Stromkonzern aus Essen. Diese profitierten nicht nur von den vielen Tausend Arbeitsplätzen in der Region, sondern auch von üppigen Dividenden durch ihre Anteile an der RWE; alleine nach Dortmund wurden Jahr für Jahr hohe zweistellige Millionenbeträge überwiesen.

Und der Satz stimmt im Grunde immer noch - nur dass es dem hochverschuldeten Konzern derzeit eben alles andere als gut geht und volle Stadtsäcke an der Ruhr höchstens noch in ferner Erinnerung existieren.

Zeit, diese Verbindung endlich zu kappen und die Anteile zu verkaufen, fordert die “Divestment”-Bewegung, die in den vergangenen Monaten vor allem in den USA von sich reden gemacht hat. Sie verfolgen einen neuen Ansatz im Klimaschutz: Nicht mehr auf die Politik wollen sie sich verlassen, stattdessen sollen Investoren dazu gebracht werden, ihre Gelder aus klimaschädlichen Industrien abzuziehen.

Die Aktivisten glauben, dass auch die RWE nicht mehr tragbar sei. Aus Umweltgründen. Aber auch aus wohlverstandenen wirtschaftlichen Eigeninteressen sollten die Kommunen diesen Schritt gehen, um nicht vom strauchelnden Konzern mit in den finanziellen Abgrund gezogen zu werden. Doch wie sinnvoll ein solcher Schritt jetzt wäre, ist umstritten. In den Stadträten und Kämmereien an der Ruhr jedenfalls will man davon derzeit nichts wissen.

Die Idee hinter Divestment

Ein Fehler, sind sich die Klimaaktivisten sicher. „Kein Geld für Kohle, Öl und Gas“ - dieses Ziel hat sich die globale Bewegung auf die Fahnen geschrieben. Zu deutsch bedeutet „Divestment“ etwa „deinvestieren“ oder „entäußern“ - also das Gegenteil von investieren. Das Idee - irgendwo zwischen politischer Ebene (Energiewende, Klimagipfel) und persönlicher Konsumebene (sparsamer Kühlschrank) angesiedelt - ist zugleich simpel - und doch ein bisschen komplizierter, als sie zunächst erscheint.

Die Klimaschützer glauben, dass der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen Kohle, Gas und Öl viel zu langsam von sich gehe, dass weiterhin viel zu viel CO2 ausgestoßen werde, um den Klimawandel noch aufhalten oder zumindest abmildern zu können. Deshalb sollten Investoren kurzen Prozess machen und ihre Aktienanteile an Unternehmen verkaufen, die dazu beitragen. So soll der Branche langfristig die finanzielle Grundlage entzogen und Druck auf sie ausgeübt werden.

„Wenn es falsch ist das Klima zu zerstören, ist es falsch von dieser Zerstörung zu profitieren“ – sagen die Aktivisten. Und die Sache mit dem Profitieren werde schon in naher Zukunft ohnehin nicht mehr funktionieren, denn BP, Shell und andere Energieförderer und -produzenten seien derzeit noch massiv überbewertet.

Der Grund: Die “Karbonblase”. Nach dieser Theorie dürfen große Teile der noch vorhandenen Öl-, Gas- und Kohlereserven im Boden gar nicht mehr gefördert und verbrannt werden, wenn der Klimawandel noch halbwegs beherrschbar bleiben soll. Laut einer aktuellen “Nature”-Studie gehören dazu auch über 80 Prozent der Kohlevorräte. Doch wenn diese Vorräte in Zukunft unangetastet bleiben müssten, so die Logik, wäre auch die Geschäftsgrundlage der Energieriesen dahin - und damit auch die Börsenwerte Makulatur. Selbst die Deutsche Bank warnte zuletzt schon vor “peak carbon” - dem sich schnell nähernden Limit an gesamten CO2-Emissionen, das von Wissenschaftlern als sicher angesehen wird.

Bewegung in Deutschland am Anfang

In Deutschland noch weitgehend unbemerkt, konnte die Divestment-Bewegung zuletzt weltweit Erfolge feiern. Laut der Organisation „Fossil Free“ hatten sich Ende letzten Jahres bereits über 830 Institutionen den Forderungen der Aktivisten angeschlossen und ihre Investitionen aus fossilen Energien abgezogen, darunter viele der reichen Universitäten in Nordamerika, aber auch Kirchen, Städte und Stiftungen.

Erst Anfang der letzten Woche hatten etwa Studenten der kanadischen „University of British Columbia“ durchgesetzt, dass die Uni ihr Vermögen – mehr als 1,1 Milliarden Dollar – in Zukunft so anlegen will, dass keine Unternehmen mehr im Portfolio bleiben, die mit fossilen Energien Geld verdienen.

Am vergangenen Freitag und Samstag sind am „Global Divestment Day“ in über 400 Städten Protestaktionen organisiert worden, etwa auch in Münster und Berlin. Doch die Demos sind ausgerechnet in Deutschland noch relativ klein ausgefallen – im Land der Energiewende tut sich die Bewegung noch ein wenig schwer und ist erst seit etwas über einem Jahr aktiv.

 

Happy #GlobalDivestmentDay! Be fossil free, be #Berlin! Ein guter Auftakt für unsere Stadtkampagne! @FossilFreeDepic.twitter.com/CJ2eohKxPz

— Michalina Golinczak (@mgolinczak)

With 450 actions, Global Divestment Day has been an incredible collective valentine to the planet and us all #divestpic.twitter.com/J1ovAoWpFy

— 350 dot org (@350)

 

„Wir sind hier noch im Aufbau“, so Koordinatorin Tine Langkamp aus Münster, die bislang die einzige festangestellte Campaignerin bei “Fossil Free Deutschland” ist, ein Teil der Klimaschutzorganisation 350.org. Doch nachdem sich im November auch die Grünen das Divestment ins Programm geschrieben haben (“Keine Kohle für die Kohle”), sehen die Klimaschützer die Zeit langsam gekommen für die Bewegung in Deutschland.

Die Ruhr-Städte und RWE

Die Ruhrgebietsstädte und ihre Beziehungen zum Stromriesen aus Essen, der aufgrund des hohen CO2-Ausstoßes in den vergangenen Jahren bereits öfter Kritik ausgesetzt war, soll nun das erste große Kampagnenziel werden.

Insgesamt rund 25  Prozent der Aktien halten die Kommunen, den größten Batzen davon, ca. 15 Prozent, über die “RW Energie-Beteiligungsgesellschaft”, die sich wiederum aus diversen Beteiligungen von Stadtwerken und Kommunen zusammensetzt. Daraus ergibt sich auch eine enge personelle Verflechtung: So sitzt etwa neben dem Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau auch seine Amtskollegin Dagmar Mühlenfeld aus Mülheim an der Ruhr mit im Aufsichtsrat des Konzerns.

Auf einer Städtetour sucht Langkamp derzeit Mitstreiter für das Anliegen der Klimaaktivisten. In Köln und Düsseldorf gab es bereits Infoveranstaltungen, Dortmund, Essen und Solingen sollen noch folgen. Auch in Bochum hat die Kampagne schon Halt gemacht – Ende Januar waren zwar nur eine Handvoll Interessierte dazu in den kleinen Veranstaltungsraum „Wohnzimmer“ gekommen, doch fast alle wollen die Kampagne nun vor Ort fortführen. „Ich habe drei Kinder und befürchte, dass es denen durch den Klimawandel mal schlechter gehen wird als mir“, sagt der Bochumer Benjamin Hermann, „deshalb will ich jetzt selber aktiv werden“.

Energiewende verschlafen?

RWE liegt als erstes Ziel für die Bewegung in Deutschland dann auch tatsächlich auf der Hand: „RWE ist die größte CO2-Schleuder Europas“, sagt Langkamp - eine Aussage, der in der Sache noch nicht einmal das Unternehmen selbst widerspricht. “Die Angabe ist richtig, wenn man auf die absoluten CO2-Emissionen blickt”, bestätigt RWE-Sprecherin Brigitte Lambertz. Fast 164 Millionen Tonnen waren es 2013.

Dabei hat ein Wandel beim Essener Stromriesen hin zu erneuerbaren Energien und moderner Energietechnik durchaus begonnen. Nahezu sechs Milliarden Euro sind in den vergangenen fünf Jahren in die Erneuerbaren geflossen, bis 2017 soll noch eine weitere Milliarde hinzukommen. Neben Offshore-Windparks und Solarfeldern setzt RWE auf  Projekte wie “Smart Home”, eine intelligente Energiesteuerung für zu Hause, die Strom sparen helfen soll. Drei Kohlekraftwerke bzw. Kraftwerksblöcke - in Hürth, Hamm und Werne - sollen bis 2017 zudem stillgelegt werden.

Noch immer produziert der Erzeuger jedoch mehr als die Hälfte der Energie mit der besonders klimaschädlichen Kohle und im vergangenen Jahr erst etwas über sechs Prozent aus erneuerbaren Quellen. Zum Vergleich: Zur gesamten Stromerzeugung in Deutschland tragen die Erneuerbaren mittlerweile zu fast einem Drittel bei.

 

Ausgerechnet diese Entwicklung führt beim Stromversorger auch zu den immensen wirtschaftlichen Problemen. "Durch eigene Fehler hat sich RWE zum Dinosaurier der Energiebranche gemacht. Die Essener verschliefen schlicht den Erfolg der erneuerbaren Energien", glaubt Gerald Neubauer von Greenpeace. Denn durch die großen Mengen Strom aus Wind- und Sonnenenergie werden die Kapazitäten aus den konventionellen Kraftwerken der RWE - und auch der anderen Großerzeuger wie E.On - immer seltener gebraucht. Jetzt sitzt das Unternehmen auf einem riesigen Schuldenberg und muss zugleich massiv investieren, um sich neu aufzustellen - keine ganz einfache Aufgabe.

„So viel zum Werbeslogen VoRWEg gehen“, spottet Aktivistin Langkamp. Die Entwicklung in Richtung Erneuerbare sei einfach viel zu langsam. Die Kommunen sollten jetzt ein klares Zeichen setzen und ihr Geld abziehen.

Divestment-Idee umstritten

Ob dem Klima tatsächlich geholfen wird, wenn sich die Städte von ihren Anteilen trennen, daran gibt es auch Zweifel - und das gleich aus zwei Gründen. Der Haken beim Divestment: Zunächst werden dabei schlicht nur Anteile nur von einem Aktionär an einen anderen verkauft - und solange es einen oder mehrere willige Käufer gibt, ändert sich dadurch weder der Börsenwert noch die Aufstellung des Unternehmens - lediglich die Eigentümer sind dann andere. Das wäre wohl bei RWE ebenfalls der Fall: „Der Kraftwerkspark verändert sich ja nicht dadurch, dass die Kommunen ihre Aktien verkaufen“, gibt Hermann Rappen vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) zu bedenken.

Der Verkauf für sich genommen wäre also auch kein Beitrag zum Klimaschutz, sagt Rappen, der der Idee - aus ordnungspolitischen Gründen - gar nicht abgeneigt ist. Klimapolitik werde jedoch letztlich in Berlin entschieden. Bei RWE verweist man darauf, dass Kohle- und Gaskraftwerke ja als Grundlast ohnehin noch über Jahre im Energiemix benötigt würden. “Erneuerbare alleine können die Stromversorgung nicht gewährleisten – da gibt es keinen Dissens”, so Brigitte Lambertz von RWE.

Das bestreiten auch die Divestment-Aktivisten nicht. “Es stimmt, da gehen nicht sofort die Kraftwerke aus. Das ist aber auch gar nicht unser Ziel”, so Langkamp. Divestment sei auch Symbolik, öffentlicher Druck soll auf die Unternehmen ausgeübt und eine Debatte angestoßen werden. So würden die Unternehmen dazu gedrängt, mehr für ihre Nachhaltigkeit zu tun. “Es geht darum, der fossilen Industrie die soziale Akzeptanz und damit den politischen Einfluss zu entziehen.”

Doch ganz ohne konkrete Folgen wäre das Divestment im speziellen Fall RWE wohl nicht. Denn die Ruhrkommunen sind ja nicht irgendein anonymer Anteilseigner mit einer unbedeutenden Zahl an Aktien, sondern repräsentieren die lokale Politik und besitzen so viele Anteile, dass sie den Kurs des Unternehmens mit ihrer Sperrminorität wesentlich mitbestimmen können.

Ob ein anderer Aktionär dann einen klimafreundlicheren Weg im Unternehmen einschlagen würde, das bezweifelt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „In der Tat sollte man die Geldanlagen überdenken und nur in ökologische Projekte investieren, die man für unbedenklich hält“, so die renommierte Energieexpertin. „Dennoch muss man fragen ob nicht der Gestaltungsdruck größer ist, wenn die Kommunen und andere weiterhin Anteile halten.“ Die Städte sollten diesen Einfluss zu einer klimafreundlicheren Aufstellung des Unternehmens aber auch nutzen, was bislang nicht immer der Fall gewesen sei, fordert Kemfert.

Verkauf steht nicht zur Debatte

Hört man sich in Räten und Kämmereien in der Region um, ist man dort derzeit zwar alles andere als glücklich über die Lage des Essener Konzerns - jedoch eher aus wirtschaftlichen Gründen als aus Sorge ums Klima. Ein Verkauf der Aktien steht derzeit aber nirgendwo zur Debatte. “Unter allen Entscheidungsträgern in der Stadt gibt es nicht einen, der dies befürwortet”, sagt der Essener Kämmerer Lars Martin Klieve. “Die RWE ist nicht irgendein Unternehmen. Wir sind seit 1905, fast seit der Gründung daran beteiligt.” Eine solche Entscheidung hänge auch nicht vom aktuellen Aktienkurs ab.

Dieser war zuletzt auf rund 23 Euro gefallen - von einem Höchstwert um die 100 Euro vor zehn Jahren. Die Stadt Essen verlor dadurch im vergangenen Jahr rechnerisch 680 Millionen, Mülheim musste die Buchwerte um 480 Millionen nach unten korrigieren. Auch in Bochum steht demnächst noch eine Wertanpassung an.

Auch von den einst üppigen Dividendenzahlungen ist nicht viel geblieben, zuletzt noch ein Euro pro Aktie. So konnte etwa die DSW21 - in Dortmund halten die Stadtwerke mit über 22 Millionen RWE-Aktien rund 3,5 Prozent des Bestandes - bislang die defizitären öffentlichen Verkehrsmittel quersubventionieren. Die Erlöse waren hier zuletzt von rund 40 auf 20 Millionen Euro gesunken. Für die ohnehin eng gestrickten Haushalte in den Städten wird diese Entwicklung zu einem Riesenproblem. Und selbst die schmale Marge von einem Euro ist für die kommenden Jahre nicht mehr gesichert, denn RWE will für die Ausschüttung auch andere Faktoren als nur das Nettoergebnis einfließen lassen - etwa auch die Verschuldung.

Dennoch: Auch Dortmund plant keinen Verkauf und übt sich in Zweckoptimismus. “Ich bin sicher, dass RWE durch die Krise kommt und ab 2020 wieder ordentliche Ergebnisse einfährt”. so DSW21-Vorstandschef Guntram Pehlke. Auch die Bochumer Politik winkt ab: “Die Auswirkungen niedriger Dividenden auf den Haushalt sind noch nicht absehbar”, klagt SPD-Fraktionschef Peter Reinirkens, “einen Verkauf kann ich mir derzeit aber nicht vorstellen”. Bei dem derzeitigen Aktienstand und den niedrigen Zinsen wäre das auch finanziell nicht klug, heißt es aus den Rathäusern. Selbst die jetzige niedrige Dividende helfe den Haushalten weiter.

Für die „Fossil-Free“-Bewegung eine unverständliche Haltung. „RWE ist zu einem Risikogeschäft geworden und die Kommunen leiden unter dem andauernden Wertverlust“, heißt es in einem Argumentationspapier der Klimaaktivisten. Die Städte sollten besser jetzt ein Ende mit Schrecken wagen, bevor es mit dem Konzern noch weiter bergab geht.

Ob und wann RWE die Wende schafft, kann derzeit wohl noch niemand sicher sagen. Firmenchef Peter Terium jedenfalls verspricht nach dem derzeitigen “Tal der Tränen” eine Neuaufstellung mit einer stärkeren Konzentration auf Stromnetze, Energiemanagement und erneuerbare Energien. Eine Mammutaufgabe. Welchen wirtschaftlichen und ökologischen Erfolg das Unternehmen damit haben wird und welche Rolle die kommunalen Aktionäre dabei spielen sollen, das wird in den kommenden Jahren noch öfter zur Debatte stehen - an der sich wohl auch die Divestment-Aktivisten von nun an rege beteiligen werden.