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Impf-Verbot für Zahnärzte: Lobbyisten und Politiker sind indirekt mitschuldig am Tod Tausender
Meinung
Selbst die Gewissheit, dass es tausende Menschenleben kostet, hält Politiker und Ärzte-Lobbyisten nicht davon ab, absurde Impf-Privilegien zu verteidigen. Es geht nur ums Geld. Ein Kommentar.
So langsam macht sich Panik breit in unserem Land. Die Zahl neuer Infektionen mit dem Coronavirus hat unvorstellbare Größenordnungen erreicht. Und der Anstieg beschleunigt sich weiter. Im Osten und Süden unseres Landes sind viele Kliniken schon überlastet und es wird noch schlimmer werden, viel schlimmer.
Nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern ganz offen macht inzwischen das Schreckenswort von der Triage die Runde, also von der Entscheidung: Für welchen Patienten haben wir noch Platz, für welchen nicht? Anders ausgedrückt: Wen retten wir, wen müssen wir sterben lassen, weil unsere Kapazitäten einfach nicht mehr für alle reichen?
„Arztpraxen werden überrannt“
Diese Szenario, das mit jedem Tag wahrscheinlicher wird, muss man vor Augen haben, um die Abscheulichkeit dessen ermessen zu können, was sich gerade in unserem Gesundheitssystem abspielt.
Allen, wirklich allen dürfte inzwischen bewusst sein, dass Impfen gegen das Coronavirus der wichtigste Faktor ist, um die Pandemie in absehbarer Zeit in den Griff zu bekommen. Dabei geht es nicht nur um die Ungeimpften, sondern auch um die notwendigen Auffrischungs-, die Booster-Impfungen für die, die vor Monaten bereits geimpft wurden und deren Schutz jetzt nachlässt.
Auch wenn das Impf-Tempo in den vergangenen Tagen zum Glück wieder angezogen hat, geht noch immer alles viel zu langsam. Die Arztpraxen werden von Impfwilligen überrannt, die Impfzentren werden erst langsam wieder hochgefahren. Auf einen Impftermin muss man mancherorts lange warten. Es gibt einfach viel zu wenige Menschen, die einfach nur impfen. Und das ist keine gottgegebene, unumstößliche und daher zu ertragende Tatsache, sondern absolut hausgemacht und daher schlichtweg ein handfester Skandal.
In Deutschland gibt es allein mehr als 97.000 Zahnärztinnen und Zahnärzte, von denen mehr als 72.000 noch im aktiven Dienst sind. Es gibt mehr als 52.000 Apothekerinnen und Apotheker und 1,1 Millionen Krankenpflegekräfte. Sie alle könnten impfen, dürfen es aber nicht.
Zahnärzte sind keine Fachärzte, sagt das Gesetz
Das Infektionsschutzgesetz sagt: „Zur Durchführung von Schutzimpfungen ist jeder Arzt berechtigt. Fachärzte dürfen Schutzimpfungen unabhängig von den Grenzen der Ausübung ihrer fachärztlichen Tätigkeit durchführen.“ Zahnärzte aber zählen nicht dazu, weil sie keine Fachärzte im Sinne des Gesetzes sind. Orthopäden, Urologen, Hautärzte, Radiologen ja, Zahnärzte nicht. Klingt völlig absurd, ist aber tatsächlich so.
Wer auch immer sich so einen Irrsinn ausgedacht hat, müsste mal erklären, was der Sinn dahinter sein soll. Zahnärzte spritzen, Zahnärzte operieren, Zahnärzte arbeiten im sensibelsten Bereich des menschlichen Körpers, Zahnärzte verschreiben und verabreichen Medikamente, Zahnärzte haben einen Großteil ihres Studiums dasselbe Wissen angehäuft und in Prüfungen nachgewiesen wie alle anderen Ärzte auch. Aber impfen dürfen sie nicht. Konkret: In den Oberarm-Muskel eines Patienten zu piksen, ist ihnen untersagt. Das ist unfassbar.
Die meisten Ärzte impfen gar nicht selbst
Ähnlich absurd ist das Impf-Verbot für Apotheker und Pflegende. Die meisten Ärzte impfen in ihren Praxen doch gar nicht selbst, sondern überlassen das den Arzthelferinnen oder Pflegekräften. Sie müssen nur in der Nähe sein, das reicht, um im Notfall eingreifen zu können.
Warum also dürfen dann nicht auch Apothekerinnen und Apotheker impfen? Apotheken finden sich doch in aller Regel im selben Haus oder gleich nebenan, wo auch ein Arzt seine Praxis hat. Im Notfall könnte der doch rasch in die Apotheke kommen. Was spricht gegen eine solche Verabredung?
Pflegende könnten in Alten- und Pflegeheimen boostern, was das Zeug hält, wenn sie sich nur darum kümmern, dass im Falle eines Falles ein Arzt in kürzester Zeit vor Ort sein könnte. Warum also passiert all das nicht?
Dafür gibt es nach meiner Einschätzung nur eine einzige Erklärung: Es geht den Ärzte-Lobbyisten nur um das Wahren ihrer überkommenen Pfründe und den drohenden Verlust eines überaus lukrativen Geschäfts. Die Vergütungen für das Impfen sind nämlich durchaus nicht zu verachten. Pro Impfung erhält der Arzt oder die Ärztin pauschal 28 Euro, wobei der Bund den Impfstoff bezahlt. Impft er am Wochenende oder am Feiertag, gibt es 8 Euro obendrauf. Und für einen Einsatz im Impfzentrum kassiert ein Arzt 150 Euro, am Wochenende 185 Euro – pro Stunde. Das lohnt sich schon.
Die große Angst vor einem Präzedenzfall
Möglicherweise wäre der ein oder andere Ärzte-Lobbyist mitten in diesem fürchterlichen Corona-Desaster sogar zu Zugeständnissen in Richtung Zahnärzte, Apotheker und Pflegender bereit, wenn da nicht die fürchterliche Angst vor einem Präzedenzfall wäre. Wenn all die anderen gezeigt haben, dass sie wunderbar gegen Corona impfen können, dann gäbe es ja kein Argument mehr, ihnen nicht auch künftig das Verabreichen zum Beispiel der Grippeschutz-Impfung zu erlauben. Damit drohte den Ärzten nicht nur jetzt, sondern auf immer der Verlust einfach verdienter, fest kalkulierbarer Einnahmen.
Dass Ärzte-Lobbyisten so agieren, hat zwar nichts mit dem auch von ihnen geschworenen Eid des Hippokrates zu tun, ist aber möglicherweise – wenn auch nicht akzeptabel – so irgendwie noch menschlich nachvollziehbar. Dass aber die politisch Handelnden, die das Wohl aller Menschen in unserem Land und nicht nur einer gewissen Ärzte-Clique im Blick haben sollten, hier nicht energisch eingreifen und endlich eine Regelung treffen, die Tausenden das Leben retten würde, ist für mich unbegreiflich.
Wer in einer Notlage wie jetzt nicht alles dafür tut, dass Menschen, die impfen können, es auch dürfen und tun, der macht sich zumindest indirekt mitschuldig am Leiden und Sterben tausender Menschen.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
