Heinz Strunk widmet sich wieder den Verlierern

Heinz Strunk, Schwarzhumorist und preisgekrönter Romanautor, legt in „Das Teemännchen“ knappe Geschichten und Skizzen vor. Die wirken teils wie im Alptraum ersonnen, teils wie real erlebt. Und geraten dabei perspektivlos pessimistischer denn je.

von Von Ulrike Cordes, dpa

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Hamburg

, 04.09.2018, 13:43 Uhr / Lesedauer: 2 min
Heinz Strunk hat einen Blick für die Loser. Foto: Georg Wendt

Heinz Strunk hat einen Blick für die Loser. Foto: Georg Wendt

Von schlechtem Essen und Fusel entstellte, von beißender Sexualnot geplagte Körper, die eine käsebleiche Haut voller eitriger, blutender Pickel und Pusteln überzieht: So oder so ähnlich sehen sie aus, die jungen oder auch gar nicht so jungen Anti-Helden aus den Romanen des Heinz Strunk.

Und hinter ihrem entsetzlichen Äußeren tobt das verheerende seelische Elend: Einsamkeit, Komplexe, Orientierungsarmut, Mangel an Geist und Liebe eben. Alles norddeutsches Kleinbürger-Mittelmaß scheint der bei Hamburg aufgewachsene und in der Hansestadt lebende Kultautor (56) dabei zu suggerieren.

Der große Erfolg einiger seiner Bücher zeigt wohl auch, wieviel sensibel wahrgenommenes, wenngleich satirisch überhöhtes Identifikationsmaterial der auch als Entertainer (Trio „Studio Braun“) bekannte Strunk seinen Fans bietet. So wurde sein Debüt „Fleisch ist mein Gemüse“, in dem er 2004 seine freudlose Jugend als Provinz-Tanzmusiker schildert, rund eine halbe Million Mal verkauft. Für Strunks Werk „Der goldene Handschuh“ über den Frauenmörder Honka gab es 2016 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis sowie eine Verfilmung durch den Regiestar Fatih Akin, die 2019 in den Kinos laufen soll.

Dann erschien „Jürgen“ auf dem Büchermarkt. Die Geschichte zweier niederschmetternd ungelenker Vierziger war im vergangenen Herbst auch im Ersten zu sehen. Der Beitrag wurde im Februar mit der „Goldenen Kamera“ als „Bester Deutscher Fernsehfilm“ ausgezeichnet.

Wer von Strunks Losern, die sich in vielen Fällen selbst so dauerhaft betrügen wie sie sich selbst befriedigen, noch immer nicht genug hat, kann nun auf einen Erzählband zurückgreifen, mit dem der Autor einmal mehr ein Füllhorn perspektivlos pessimistischer Daseinsbetrachtungen über dem Leser ausschüttet. Das tut er in „Das Teemännchen“ (Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg) erstmalig in kleiner Form - in 50 kurzen bis ultrakurzen Geschichten und Skizzen. Die variieren zwischen Sozialstudie, Groteske, Traumvision oder auch Schnipseln aus dem realen Leben.

Und geraten womöglich noch schwärzer als frühere Schöpfungen des ergrauten Verfassers, der nach einem Zeitungsinterview vom August bis heute zu Selbstzweifeln neigt und seinen eigenen Anblick nicht ertragen kann („Wenn ich in den Spiegel gucke, was nur zum Rasieren passiert, nehme ich immer die Brille ab.“). Seine neue Lektüre wird daher mehr denn je Geschmackssache bleiben und polarisieren. Denn einerseits darf man das Einfühlungsvermögen des Verfassers in unerhörte psychische Not und abgrundtiefe Gemeinheit ebenso preisen wie seinen scharfen Blick etwa auf die Verwerfungen, die Adipositas in der Gesellschaft anrichtet. Andererseits darf man den Strunk’sche Ansatz aber auch als schon lange gestrickte Masche begreifen, die geistig am Ende in genau das Nichts führt, das er in seinem Schaffen zu beklagen scheint.

Eher subtil geht es in diesem Sinne in der titelgebenden Geschichte zu. Ein Schlaffi namens Michael macht dank einer Bürgschaft der Eltern einen Teeladen mit dem akademischen Namen „Aromatica“ auf. Um ihn nach drei Monaten mangels Kunden wieder zu schließen, die Vorräte selbst zu trinken und dabei „ohne viel Aufhebens auf leisen Sohlen aus der Welt“ zu verschwinden.

Von deutlich drastischeren Aromen umweht, vollzieht sich der Niedergang einer Anja. Die Hauptfigur der Geschichte „Borstelgrilleck“ ist mit 20 die reinste Kleinstadtschönheit. Ein paar Jahre an den Herden einer Imbissstube machen aus ihr jedoch eine so desaströs konturlose Vettel, dass ihr Chef sie in den Keller verbannt, wo sie fern der lüsternen Augen männlicher Kunden die Frikadellen für den nächsten Tag anbraten darf.

Ganz zu schweigen von den brutalen Sexspielen zweier verfetteter Barkeeper eines „Madhaus“, die an betrunkenen Studentinnen ihre ekelhaften Triebe abreagieren. In einer Skizze namens „Lothar Späth“ erinnert Strunk aber auch in trefflich dürren Sätzen an das Leben jenes Politikers, der einmal Bundeskanzler werden wollte. Später in einem Pflegeheim starb. Und heute vielen Jungen völlig unbekannt ist.

Heinz Strunk: Das Teemännchen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 208 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3498064495