Grundschulen fehlen die Sportlehrer
Nach neuem Erlass
Nach dem Erlass des NRW-Schulministeriums zum Schulsport sind in Dortmund - wie berichtet - bereits die ersten Sportstunden ausgefallen. Wir haben bei weiteren Grundschulen in der Region nachgefragt, wie man dort mit der Neuregelung umgeht. Viele sehen Probleme auf sich zukommen.
von Susanne Riese, Sylvia Schemmann, Michael Jochimsen, Magdalene Quiring-Lategahn, Jennifer Riediger, Ulrike Kusak
NRW
, 22.01.2015, 06:39 Uhr / Lesedauer: 4 min
Viele Grundschulleiter in NRW fürchten derzeit, dass der Schulsport demnächst ausfallen muss.
Knackpunkt der am 1. Dezember in Kraft getretenen Neuregelung sind verbindlich vorgeschriebene "fachliche Voraussetzungen" für Lehrer, die Sport unterrichten.
Der Sprecher des NRW-Schulministeriums, Jörg Harm, betonte, man habe "lediglich die Sicherheitsvorschriften für neue Sportarten wie Parcours angepasst und bestehende präzisiert". Demnach dürften drei Personengruppen Sport unterrichten: entsprechende Fachlehrer, Lehrer mit einer Qualifikation durch die Bezirksregierung und langjährige Lehrer mit einer privaten Trainer-Lizenz (C-Lizenz) - vorausgesetzt, der Schulleiter stimmt zu.
Der Erlass sei mit den Hauptpersonalräten der Lehrer und dem Landessportbund abgestimmt, so Harm. Unterm Strich seien die Sicherheitsregeln begrüßt worden.
Das sagen Vertreter der Grundschulen in der Region:
Werner Mans, dessen Sohn die erste Klasse der Kreuz-Grundschule in Dortmund besucht, hatte berichtet, zwei von drei Stunden Sport seien dort wegen des Erlasses bereits ausgefallen. „Die Kinder sind zur Inaktivität verdonnert.“
In Dortmund betont Schulamtsdirektor Bernd Bandulewitz, man müsse nun erst einmal Bilanz ziehen. An der Gutenberg-Schule im Stadtteil Dorstfeld etwa gibt es zwei Fachlehrer Sport. Ob die das Programm nun alleine bestreiten müssen, weiß Schulleiterin Angela Möller noch nicht. „Wir warten auf Instruktionen.“
Bis dahin müsse keine Schule auf Bewegung verzichten, meint Bandulewitz. Wenn keine ausgebildete Lehrkraft zur Verfügung stehe, könne etwas Risikoarmes ohne Geräte auf die Beine gestellt werden – im Rahmen des neuen Erlasses natürlich. Was genau dieser Rahmen vorgibt, soll kommende Woche bei einer Schulaufsichtskonferenz geklärt werden.
"Für Grundschulen ein Riesenproblem"
Die Schulleiterin der Silverbergschule und Sprecherin der Grundschulleiter in Haltern, Veronika Beher, betont allerdings: "Für den Grundschulbereich ist das ein Riesenproblem. An unserer Schule haben wir einen studierten Sportlehrer, der, neben dem Unterricht in seiner eigenen Klasse, nur Sport in anderen Klassen unterrichtet. Die übrigen Sportstunden müssen aber auch weiterhin die Klassenlehrer übernehmen. Sonst müssten sie nämlich ausfallen."
Dieter Gill, Leiter der Erich-Kästner-Schule in Castrop-Rauxel, sagt, dass es an seiner Schule keine einzige Fachkraft "im Sinne des Erlasses" gebe. "Sollte das von heute auf morgen so umgesetzt werden, würde bei uns der Sportunterricht erst einmal komplett wegfallen. Das wäre natürlich sehr heftig."
Gill findet die Regelung grundsätzlich zwar sinnvoll, sagt aber auch: "An der Grundschule ist das nicht praktikabel, dafür gibt es dort zu wenig Lehrer mit der entsprechenden Fachqualifikation. Hier sind fast alle Lehrer Allrounder, die alles unterrichten." Es müsse unbedingt ausreichend lange Übergangsfristen geben, damit die Schulen Regelungen finden könnten. Nun wartet Gill auf klare schriftliche Anweisungen. "Bis dahin ändern wir erst mal nichts."
Seine Kollegin Elfi Streicher von der Castrop-Rauxeler Waldschule ist da in einer besseren Position: "Uns betrifft die Regelung nicht, wir haben eine ausreichende Zahl qualifizierter Sportlehrer."
"Erlass geht an Lebenswirklichkeit der Schulen vorbei"
Auch Jochen Bell von der Cottenburgschule betont: "Wir werden jetzt nicht nervös, fast alle unsere Sportlehrer haben die nötige Qualifikation." Bell kritisiert die Kommunikation des Schulministeriums, diese schaffe Unsicherheit.
Auch Katherina Overkott von der Castrop-Rauxeler Elisabethschule übt Kritik am Ministerium. "Da werden Erlasse verabschiedet und in Kraft gesetzt, die an der Lebenswirklichkeit in den Schulen einfach vorbei gehen", sagte die Schulleiterin. Grundsätzlich hält sie die Regelung zum Sportunterricht für sinnvoll, auch zur Absicherung der betreffenden Kollegen, es müsse aber unbedingt ausreichende Übergangsfristen geben. "Es kann auch nicht im Sinne des Ministeriums sein, wenn an einigen Schulen von heute auf morgen kein Sport mehr unterrichtet werden kann, weil die Fachkräfte nicht da sind."
An der Elisabethschule gebe es drei Fachkräfte, die aber nicht ausreichen würden, um 12 Klassen je drei Stunden pro Woche zu unterrichten. Sie wolle jetzt mit ihren Kollegen sprechen, um zu klären, wer bereit sei, sich weiter zu qualifizieren.
"Wir warten erstmal ab"
Jürgen Grundmann, Leiter der Schulverwaltung in Lünen, berichtet auf Anfrage, bei ihm habe sich bisher noch keine der örtlichen Grundschulen wegen des Erlasses gemeldet. Matthias Flechtner, Sprecher der Lüner Grundschulen, hat bislang ebenfalls keine Rückmeldungen bekommen. Er verweist außerdem auf Bestrebungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE), den Erlass zu entschärfen. „Wir warten ab“, sagt er. An der Leoschule, deren Leiter Flechtner ist, stelle sich das Problem ohnehin nicht. Dort gebe es drei oder vier Kollegen mit Sportbefähigung.
An der Reichshofschule Westhofen in Schwerte ist es hingegen nur eine Lehrerin. Schulleiterin Annette Jungholt sagt: "Nur eine Kollegin hat Sport studiert. Sie könnte den ganzen Sportunterricht übernehmen, aber dann könnte sie ihre Klasse nicht mehr unterrichten. Deshalb machen wir vorerst weiter wie bisher, nur dass die Kollegen dann andere Sportarten machen.“
Ihr Kollege Holger Sprenger, Konrektor der Schwerter Heideschule berichtet hingegen: „Wir haben keine Probleme durch diesen Erlass. Ich weiß von mindestens drei Kollegen, die Sport studiert haben. Bei uns haben schon vor dem Erlass nur studierte Sportlehrer den Sportunterricht gegeben.“
Martin Krämer, Leiter der Schwerter Lenningskampschule: „Wenn der Erlass eins zu eins umgesetzt würde, hätten wir Probleme. Wir warten noch auf detaillierte Informationen vom Schulamt. Bis dahin machen wir weiter wie bisher, die Kollegen machen das schon seit Jahren.“ Krämer übt harsche Kritik an dem Erlass: „Da hat jemand schnell was geschrieben, ohne die Auswirkungen zu bedenken.“ Zudem würden auch die Albert-Schweitzer-Schule und die Friedrich-Kayser-Schule in Schwerte nach eigener Aussage Probleme bekommen, sollte der Erlass strikt umgesetzt werden.
Außerdem eine wichtige Info: Man prüfe den Erlass derzeit, so Susanne Wessels vom Kreis-Schulamt. „Wir haben bei der Bezirksregierung nachgefragt, welche fachlichen Qualifikationen man genau braucht.“ Bis dahin empfehle sie „Risiko-Ärmeres wie Lauf- und Ballspiele“. Wessels gehe von einer Übergangsregelung aus, sodass der Erlass nicht sofort umgesetzt werden müsste.
Mehr Zeit zur Vorbereitung gewünscht
Der Erlass bereitete Beate Klink-Schmidt, Leiterin der Kardinal-van-Galen-Schule in Werne, am Donnerstag Kopfzerbrechen. Sie sei noch in Beratung mit ihren Kollegen, wie sie die neuen Anforderungen an ihrer Schule erfüllen könne, sagte sie auf Anfrage. Unterrichtsausfall versuche sie zu vermeiden: „Wir hoffen nicht, dass es so weit kommt." Allerdings sei es nicht unproblematisch, die Bestimmungen umzusetzen. Denn bisher hätten an ihrer Schule nur in der Hälfte der Klassen ausgebildete Sportlehrer Unterricht erteilt. Den Rest hätten bisher die Klassenlehrer übernommen.
Auch an der Werner Wiehagenschule mussten die Stundenpläne wegen des Erlasses umgeschmissen werden. Rektorin Klaudia Funk-Bögershausen begrüße den Vorstoß des Schulministeriums prinzipiell, hätte sich aber mehr Zeit zur Vorbereitung gewünscht.
Aus der Misere hilft den Schulen hilft derzeit ein Schlupfloch im neuen Erlass: Auch wenn nicht mehr alle Lehrer Sport unterrichten dürfen – sogenannter risikoarmer Bewegungsunterricht kann immer noch von allen Lehrern gegeben werden. „Der Einsatz von Sportgeräten wie Schwebebalken, Stufenbarren und Co. ist hier aber nicht vorgesehen“, erklärt Susanne Wessels, Schulamtsdirektorin im Kreis Unna. Einige Grundschüler im Kreis müssen in nächster Zeit wohl also auf große Sportgeräte verzichten. Genaueres kläre sich in den kommenden Tagen, sagt Wessels. Sie warte derzeit noch auf nähere Instruktionen des Schulministeriums. „Erst dann können wir prüfen, an welchen Schulen Bedarf an ausgebildetem Personal besteht, und reagieren.“