Freund des Täters als Mitwisser festgenommen

Amoklauf von München

Der 18-jährige Amokläufer in München ist in psychiatrischer Behandlung gewesen. Am Sonntag haben Polizei und Staatsanwaltschaft erste Ermittlungsergebnisse vorgestellt. Ein 16-Jähriger Freund des Täters wurde laut Polizeiangaben als mutmaßlicher Mitwisser festgenommen.

MÜNCHEN/BERLIN

, 24.07.2016, 13:37 Uhr / Lesedauer: 4 min
Robert Heimberger, Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes (v.l.), Thomas Steinkraus-Koch, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München, und Vize-Polizeipräsident Werner Feiler geben eine Pressekonferenz beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) in München zur Schießerei am Olympia-Einkaufszentrum.

Robert Heimberger, Präsident des Bayerischen Landeskriminalamtes (v.l.), Thomas Steinkraus-Koch, Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft München, und Vize-Polizeipräsident Werner Feiler geben eine Pressekonferenz beim Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) in München zur Schießerei am Olympia-Einkaufszentrum.

Gegen den 16-Jährigen Freund des Amokläufers werde wegen Nichtanzeigens einer Straftat ermittelt, teilte die Polizei am Sonntagabend mit. Der Jugendliche habe sich nach der Tat vom Freitagabend mit neun Todesopfern bei der Polizei gemeldet. Bei einer erneuten Vernehmung habe er sich in Widersprüche verwickelt. Bei einer Pressekonferenz in der bayrischen Landeshauptstadt äußerten sich Staatsanwaltschaft und Polizeipräsident am Sonntag zu den ersten Ermittlungsergebnissen. Polizeipräsident Robert Heimberger gab bekannt, dass der Tatverdächtige sich seit Sommer 2015 mit der Tat befasst habe. Warum er den Zeitpunkt und diesen Ort genutzt hat, das hätten die Ermittlungsergebnisse noch nicht ergeben.

Als Ausgangspunkt für die Planung seines Amoklaufs sei für den 18-Jährigen ein Besuch in Winnenden im vergangenen Jahr gewesen. In dem baden-württembergischen Winnenden erschoss im März 2009 ein 17-Jähriger 15 Menschen und anschließend sich selbst. Die Ermittler haben auf einer Digitalkamera des Müncheners Fotos aus Winnenden gefunden, welcher er an den Tatorten gemacht habe.

Bücher gefunden

Widerlegt hat Heimberger seine frühere Aussage, dass das Manifest vom norwegischen Massenmörder Andres Behring Breivik auf dem Computer des Täters gefunden worden sei. Stattdessen haben die Ermittler ein eigenes Manifest des 18-Jährigen gefunden, in dem er sich mit anderen Amokläufen sowie mit seiner eigenen Tat befasst hat. Dennoch stellte der Polizeipräsident auch klar, dass man erst begonnen habe, den Computer auszuwerten. Es bestehe also weiterhin die Möglichkeit, Breiviks Manifest zu finden. 

Bereits am Morgen wurde bekannt, dass der Einzeltäter sich mit dem Buch „Amok im Kopf - Warum Schüler töten“ von US-Psychologe Peter Langman befasst hat, der über mehr als 20 Jahre hinweg Amokläufe an Schulen untersucht hat. In seiner Arbeit waren unter anderem Tagebücher und Gesprächsprotokolle eingeflossen. 

Facebookprofil war ein Fake

Die Ermittler haben auf dem Computer jedoch bereits Chatverläufe aus dem Darknet gefunden, die darauf schließen lassen, dass er sich die Waffe dort besorgt habe.

Desweiteren wurden am Tatort insgesamt 58 Patronenhülsen gefunden, wovon 57 aus der Waffe des Täters stammen, eine Patrone ist von einem Polizisten abgefeuert worden. Heimberger schließt daraus, dass der Täter nur die eine Waffe vom Typ Glock 17 und einem Kaliber von neun Millimetern hatte. Er widerlegte damit erste Angaben, wonach es sich vielleicht um mehrere Täter und um eine weitere Langwaffe gehandelt haben könnte.

Weitere Erkenntnisse waren, dass der 18-Jährige das Egoshooterspiel Counterstrike gespielt hat. Auch im Internet sei er auf Plattformen angemeldet gewesen sein, auf denen solche Spiele gespielt werden. Zum Facebookprofil, über das zu einem Treffen am späteren Tatort aufgerufen worden war, erklärte Heimberger, dass es sich hierbei um einen Fakeaccount handelte, den der Täter selbst angelegt hatte. Die Informationen wie zum Beispiel Fotos habe er dabei von einem anderen Account geklaut. 

Täter in psychiatrischer Behandlung

Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch stellt nochmals klar, dass die Tat nicht politisch motiviert war, auch die Opfer habe sich der Täter nicht gezielt ausgesucht. Stattdessen bestätigte er, dass der 18-Jährige wegen psychischen Problemen in Behandlung war. 2015 sei er von Juli bis September Monate stationär, anschließend ambulant wegen Sozialphobien - Angst vor dem Umgang mit Menschen - sowie einer Depression psychologisch behandelt worden. Zuletzt sei dies im Juni 2016 der Fall gewesen. 

Im Zimmer des Täters hätten Ermittler ärztliche Unterlagen sowie Medikamente gefunden. Ob der Täter diese Psychopharmaka auch eingenommen habe oder selbstständig wieder abgesetzt hat, sei noch nicht bekannt. Die toxikologischen Untersuchungen würden noch Wochen andauern. Ebenfalls äußerte sich Steinkraus-Koch zu einem Verfahren aus dem Jahr 2012, bei dem drei Mitschüler den Täter auf dem Nachhauseweg gemobbt hätten. Auch diese drei Jugendlichen seien nicht unter den Opfern.

Verletztenzahl weiter gestiegen

Gerüchte, wonach der 18-Jährige unter seinen Mitschülern die Tat immer wieder angedroht hatte, konnte Heimberger bisher noch nicht bestätigen. "Wir hatten noch keine Gelegenheit, die Mitschüler zu vernehmen", so der Polizeipräsident. Auch mit Eltern und Bruder konnten die Ermittler noch nicht reden. "Sie sind noch nicht vernehmungsfähig", so Heimberger. 

Der Polizeipräsident erhöhte die Anzahl der Verletzten auf 35 Opfer, darunter zehn Schwerverletzte. Viele hätten sich auf Eigeninitiative in Krankenhäuser im gesamten Stadtgebiet begeben, als sie sich auf der Flucht durch Hinfallen verletzt haben.

Während die Ermittlungen der 70 Beamten aus der Sonderkommission weiter andauern, bekundeten Politiker ihr Mitgefühl für die Opfer. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat nach dem Amoklauf in München Deutschland sein Beileid ausgesprochen. „Israel kondoliert Deutschland nach dem Mord an unschuldigen Bürgern bei der tragischen Schießerei in München am Freitag“, teilte sein Büro in der Nacht zum Sonntag mit. „Israel steht an der Seite Deutschlands an diesem traurigen Tag.“ 

Anteilnahme aus Rom

Auch Papst Franziskus reagierte auf den Amoklauf. In einem von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin unterzeichneten Telegramm an den Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx drückte das Oberhaupt der katholischen Kirche sein tiefes Mitgefühl aus. Gleichzeitig dankte er den Rettungs- und Ordnungskräften „für ihren umsichtigen Einsatz“, wie die Deutsche Bischofskonferenz am Sonntag mitteilte. „Seine Heiligkeit nimmt Anteil an der Trauer der Hinterbliebenen und bekundet ihnen seine Nähe in ihrem Schmerz“, hieß es in dem Schreiben weiter. 

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat nach dem Amoklauf von München dazu aufgerufen, der wachsenden Angst mit Hoffnung zu begegnen. „Die Zukunft gehört nicht der Gewalt, dem Hass und dem Kampf gegeneinander, sondern der Hoffnung, dass die eine Menschheitsfamilie im gemeinsamen Haus der Erde Heimat findet“, sagte der Münchner Erzbischof im „Wort zum Sonntag“, das am Samstagabend im Ersten ausgestrahlt wurde.

Marx erinnert an weitere Taten

Marx erinnerte auch an die Anschläge von Nizza und Würzburg und sagte: „Am Anfang dieser Gewalttaten steht die Angst vor dem Verlust der eigenen Lebenswelt, die absolut gesetzt wird. Deshalb müssen die anderen als Bedrohung, als Feinde gesehen und deshalb beseitigt, marginalisiert, unterdrückt oder sogar getötet werden.“ Marx ergänzte: „Konsequenterweise arbeitet der Terrorismus und auch sogenannte ideologische Einzeltäter und Amokläufer mit der Waffe der Angst.“ Diese Angst dürfe aber nicht unser Leben beherrschen. 

Zur Bewältigung der schrecklichen Ereignisse beim Amoklauf im München sind Kriseninterventionsteams an den Schulen der Opfer im Einsatz. Durch den Amoklauf seien „viele Menschen unschuldig in den Tod gerissen oder verletzt“ worden, teilte Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) am Sonntag in München mit. „Ihre Familien, Freunde, Verwandte und Bekannte sind geschockt und erleben tiefe Trauer. Sie haben oft die für sie wichtigsten Menschen verloren.“

Schule wird betreut

Die Mitarbeiter des Kriseninterventions- und -bewältigungsteams der Bayerischen Schulpsychologen (KIBBS) sollen vor allem für die notfallpsychologische Versorgung von Schüler, Lehrern und Eltern an den betroffenen Schulen sorgen. Eine weitere Aufgabe stelle die Beratung von Schulleitungen und Lehrkräften dar. 

Mit Material von dpa