Ein Brand wäre nicht besser gewesen
Kommentar zur Hannibal-Räumung
Wegen gravierender Brandschutzmängel und einer Gefahr für Leib und Leben hat die Stadt Dortmund das Hannibal-Hochhaus räumen lassen. Die Folgen sind unangenehm. Aber nicht so schlimm wie die Folgen eines Hochhaus-Brandes wie in London. Ein Kommentar über Vermieter-Pflichten.

Der Hannibal-Hochhaus-Komplex im Dortmunder Stadtteil Oberdorstfeld musste geräumt werden.
Rettungswege waren zugewachsen und Löschwasseranschlüsse nicht erreichbar. Mieter klagten über nasse Wände und andere miserable Zustände. Dazu kommt die eigentliche Gefahr: Vertikal verlaufende Schächte, die im Falle eines Feuers giftige Rauchgase vom Sockel hoch durch alle Etagen bis unters Dach führen, den Weg ins freie abschneiden und mehrere hundert Menschenleben gefährden würden - wenn das "keine Gefahr für Leib und Leben" ist, wie sie Feuerwehr und Bauaufsicht erkennen, was hätte der diese Gefahr bestreitende Vermieter noch benötigt, damit er selbst handelt? Verletzte? Ein paar Tote?
Wer in den Stunden der Räumung mit den Mietern gesprochen hat, erhält den Eindruck, dass ein Hochhaus-Komplex, der einst im Besitz einer Tochter der Stadt Dortmund war, zu einem Spekulationsobjekt verkommen ist, in dem es nie darum gegangen ist, Menschen mit ordentlichem Wohnraum eine Heimat zu geben und Mieter als ehrenwerte Kunden anzusehen, sondern ausschließlich maximalen Profit aus dem Beton herauszuquetschen.
Was am Hannibal perfekt funktioniert: Die Mieten für die zumeist sozial schwachen Bewohner - darunter viele Geflüchtete - zahlt, pünktlich auf Heller und Pfennig, der Steuerzahler. Die im Hannibal wohnenden Mieter neigen nicht zum Widerspruch. Viele von ihnen können, der deutschen Sprache nicht mächtig, die Mietverträge nicht einmal lesen.
"Dann zieht doch aus"
Flüchtlings-Initiativen berichteten von unwürdigen Zuständen. "Wenn es euch hier nicht passt, zieht doch aus", zitiert Nahid Farshi vom "Projekt Ankommen" einen Satz, der gegenüber einer geflüchteten Familie gefallen sein soll. Genau das ist der Punkt: Ausziehen in eine bessere Wohnung - gerne, aber wohin? Wohnraum ist knapp in Dortmund. Das kann man ausnutzen - und wie am Hannibal zwei wichtige Aussagen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ignorieren: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" und "Eigentum verpflichtet" ist darin zu lesen.
Ein Immobilien-Unternehmen, das einen in die Jahre gekommenen Hochhauskomplex erwirbt, muss im Gebäude-Management aus eigenem Antrieb den Brandschutz ganz oben auf der Prioritätenliste haben und im Interesse seiner Mieter sämtliche Standards erfüllen. Also investieren oder die Branche wechseln. Brandschutz-Ausgaben zahlt kein Eigentümer aus der Portokasse. Sie verhindern also die Gewinnmaximierung. In was für eine Katastrophe der gedankenlose Umgang mit Brandschutz führen kann, haben wir bei dem verheerenden Hochhaus-Brand in London mit rund 80 Toten ansehen müssen. Die Stadt Dortmund hat die Reißleine gezogen, um diesen harten Aufprall zu verhindern.
Schuld haben die Anderen
Ja, die Kommunikation vor der Räumung hätte besser sein können, aber die Mängel sind der Not geschuldet. Und die Anforderungen an die Kommunikation wären besonders hoch gewesen, wenn es zu einem Brand mit Verletzten oder Toten gekommen wäre - und die Bauaufsicht und die Feuerwehr von den Mängeln gewusst hätten, ohne vorher präventiv einzuschreiten. Dem Vermieter ist das jetzt alles zu viel. Man hätte ja Brandwachen aufstellen können, ließ er lapidar wissen, um die moralische Verantwortung für die unangenehmen Folgen für die Vermieter der Stadt Dortmund zuzuschieben. Ein fragwürdiges Krisenmanagement.
Wenn das so einfach ist: Warum hat er das dann nicht gemacht oder mit der gebotenen Qualität in den Brandschutz investiert? Die Schuld der Feuerwehr und der Bauaufsicht in die Schuhe zu schieben ist nicht mehr als ein schnell durchschauter Abwehrreflex, aber keine angemessene Reaktion auf eigenes Versagen. Leidtragende sind nicht Feuerwehr und Bauordnungsamt oder der Eigentümer in Berlin - Leidtragende sind 800 Menschen.