
Corinna Stura-Cura ist Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Anwaltsnotare und arbeitet als Notarin in Fröndenberg. © Archiv/Marcel Drawe
Bewusstlos im Krankenhaus: Was Ehegatten bald alles entscheiden dürfen
Notvertretung
Eine Notvertretung von Ehegatten untereinander wird ab dem 1. Januar 2023 erstmals gesetzlich geregelt. Eine Notarin warnt davor, künftig Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung für überflüssig zu halten.
Wer darf nach einem schweren Unfall oder Schlaganfall darüber entscheiden, wie der Bewusstlose behandelt werden soll? Ohne Vollmacht dürfen bislang selbst Ehegatten nicht handeln. Eine neue Vorschrift im BGB wird dies nun ändern.
? Welche Vorschrift wird neu ins Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt?
Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2023 gilt im BGB ein neuer Paragraf 1358, der sich im Umfeld der sonstigen eherechtlichen Vorschriften findet. Geregelt wird die „gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge“. Wichtigster Anwendungsfall dürfte eine Situation sein, in der ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht selbst für sich sorgen bzw. in ärztliche Maßnahmen einwilligen kann. Der andere Ehegatte darf ihn in solchen Entscheidungen künftig rechtlich vertreten.
? Was dürfen Ehegatten dann alles entscheiden?
Der Notvertreter darf in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Behandlungen oder medizinische Eingriffe einwilligen oder sie auch untersagen. Er nimmt auch ärztliche Aufklärung entgegen, die der bewusstlose Ehepartner nicht aufnehmen kann. Behandlungsverträge dürfen abgeschlossen werden, der handelnde Partner darf sogar über freiheitsentziehende Maßnahmen im Krankenhaus oder in einem Heim entscheiden. Logisch ist, dass Ärzte auch von ihrer Schweigepflicht gegenüber dem Ehegatten entbunden sind.

Ärztinnen und Ärzte, hier Makfiret Veseljk, Radiologin am Christlichen Klinikum Unna, müssen bislang den mutmaßlichen Willen von bewusstlosen oder nicht ansprechbaren Patienten ergründen, bevor sie eine ärztliche Entscheidung treffen. Liegt keine Patientenvollmacht vor, wird die Meinung der nächsten Angehörigen eingeholt. © Archiv/Marcus Land
? War Ehegatten eine solche gegenseitige Sorge bislang nicht erlaubt?
Landläufig sei dies von Ehepartnern immer als selbstverständlich angesehen worden, sie irrten aber darin. Nach bisher geltendem Recht können Ehegatten für ihren nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner ohne entsprechende Vollmacht nämlich keine Entscheidungen der Gesundheitssorge treffen, auch wenn die Lage noch so akut ist, erläutert Corinna Stura-Cura, Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Anwaltsnotare: „Ehepartner durften bisher nichts unterschreiben.“
? Wie verfuhren aber Ärzte und Kliniken bisher in Notfällen?
Bei einer „dringenden Entscheidung“, wenn also zum Beispiel eine sofortige Operation notwendig ist, sei der mutmaßliche Wille des Patienten ausschlaggebend, heißt es beim Christlichen Klinikum Unna. „Gemeinsam mit Ehepartner und, falls vorhanden, Kindern, wird unter Beteiligung von Ärzten und Pflegenden erörtert, wie im Sinne des Patienten zu verfahren ist“, erläutert Pressesprecherin Bettina Szallies.
Einen mutmaßlichen Willen zu erforschen, sei aber mitunter schwierig. „Ärzten wird künftig mehr Sicherheit gegeben. Sie wissen dann, mit wem sie sprechen können“, sagt Corinna Stura-Cura.
? Warum können solche Einwilligungen heute problematisch sein?
Liegt keine Vorsorgevollmacht vor oder ist der Ehegatte nicht ohnehin Betreuer seines Partners, wird mit einer Einwilligung zum Beispiel in eine Operation in den höchstpersönlichen Bereich eines Menschen eingegriffen – ohne dass der das womöglich will. Denn dazu ist er grundsätzlich nur selbst befugt.
Corinna Stura-Cura weist auf Fälle hin, in denen Ehegatten womöglich Krankheiten voreinander verheimlicht haben und nicht wollen, dass der Partner eine Entscheidung für sie trifft.
Die Notarin gibt zu bedenken, dass die künftige Ehegatten-Notvertretung ins Leere laufen wird, wenn etwa bei Hochbetagten und demenzieller Erkrankung eine Vertretung praktisch nicht möglich ist. Stura-Cura: „Vielleicht wäre es viel sinnvoller, ein solches Vertretungsrecht den Kindern einzuräumen.“ Der Gesetzgeber hat diese Regelung indes nicht eingeführt.

Die neue gesetzliche Regelung macht Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht künftig nicht überflüssig. Vielmehr geht jede individuelle persönliche Regelung dem Gesetz sogar vor. © picture alliance/dpa
? Hebelt das Gesetz Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung aus?
Nein, im Gegenteil. „Die neue Vorschrift ist ein Feuerwehrrecht“, sagt Stura-Cura. Das Notvertretungsrecht darf nämlich nicht angewendet werden, wenn ein Ehegatte eine bestehende Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung in der Arztpraxis oder Klinik vorlegt. Diese persönliche Regelung geht immer vor.
„Es ist auch nicht alles gesetzlich geregelt“, warnt die Notarin aus Fröndenberg. So gilt das BGB-Notvertretungsrecht nur für sechs Monate ab dem Zeitpunkt, in dem es im akuten Fall ausgeübt wird. Nach einem halben Jahr erlischt es wieder. Dagegen ist eine Vorsorgevollmacht grundsätzlich auf Dauer angelegt – und nur sie kann auch die Vermögenssorge regeln.
? Woher soll die Klinik wissen, dass keine Vorsorgevollmacht vorliegt?
Ärzte müssen sich künftig schriftlich versichern lassen, dass die Voraussetzungen für das Notvertretungsrecht tatsächlich vorliegen; eben auch, dass keine Vorsorgevollmacht existiert, die womöglich etwas anderes regelt. Aufgeklärt werden muss auch, ob die Ehegatten nicht eventuell getrennt leben, weil die Notvertretung dann nicht erlaubt ist.
„Wir werden dieser Dokumentationspflicht nachkommen und dies natürlich versuchen, so wenig aufwändig wie möglich für unser Ärztinnen und Ärzte zu gestalten“, sagt CKU-Sprecherin Bettina Szallies.
Man begrüße es allerdings sehr, wenn sich Patienten frühzeitig mit dem Thema auseinandersetzten und für den Fall der Fälle Regelungen treffen. Damit sorge nicht nur jeder für sich selbst, sondern auch für seine Angehörigen, richtig und in seinem Sinn zu handeln. Ein Plädoyer also für die Vorsorgevollmacht.
Szallies: „Hierzu halten wir auch eine eigene Broschüre zur Patientenvorsorge für unsere Patientinnen und Patienten bereit und bieten unterstützende Aufklärungsgespräche an.“
Geboren 1972 in Schwerte. Leidenschaftlicher Ruhrtaler. Mag die bodenständigen Westfalen. Jurist mit vielen Interessen. Seit mehr als 25 Jahren begeistert an lokalen Themen.
