Die Hochstaplerin, die New Yorks Oberschicht narrte: Anna Sorokin fliegt heim
Kriminalität
Die USA schieben die verurteilte Hochstaplerin Anna Sorokin ab. Mit einem Linienflug soll die 31-Jährige in Deutschland eintreffen. Ihre Geschichte könnte sie weiterhin gut vermarkten.

Anna Sorokin, verurteilte Hochstaplerin aus Deutschland, sitzt in einem Gerichtssaal. Ihre Geschichte ist auch verfilmt worden. Die True-Crime-Serie «Inventing Anna» ist bei Netflix zu sehen. © picture alliance/dpa/AP
Zwei Beamte sollen sie begleiten, wenn die verurteilte Hochstaplerin die Maschine nach Deutschland besteigt. Die 31-Jährige Anna Sorokin aus Eschweiler soll im Laufe der kommenden Woche per Linienflug von New York in ihre Heimat zurückgebracht werden, wie der „Spiegel“ berichtet. Gefallen dürfte das der Hochstaplerin wohl nicht: Bis zuletzt soll Sorokin versucht haben, die Abschiebung aus den USA mit einem Asylantrag zu verhindern.
Schuldig in acht Anklagepunkten
2019 war Sorokin von den Geschworenen des New York City Criminal Court wegen schweren Diebstahls, versuchten schweren Diebstahls und Diebstahl von Dienstleistungen (die Gesamtsumme des Betrugs belief sich auf 275.000 Dollar) in acht Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Zu diesem Zeitpunkt saß die junge Frau bereits anderthalb Jahre in Untersuchungshaft. Das Urteil eröffnete ihr dann Aussicht auf vier bis zwölf Jahren Haft im Staatsgefängnis, eine Geldstrafe von 24.000 Dollar und Entschädigungszahlungen an ihre Opfer.
Bis Februar 2021 saß Sorokin ihre Strafe in verschiedenen US-Haftanstalten ab, wurde dann auf Bewährung entlassen. Weil ihr Visum überschritten war, wurde Sorokin am 25. März von der amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) erneut in Gewahrsam genommen. Gegen diese Behörde klagt Sorokin derzeit, wie unter anderem der britische „Guardian“ berichtet. Sie behauptet, an Covid erkrankt zu sein, nachdem ihre Anträge auf eine Booster-Impfung von der ICE abgelehnt worden seien. Sorokin sei laut der Klage im Januar positiv auf das Coronavirus getestet worden. Sie habe Symptome wie „Fieber, andauernden Husten, Übelkeit, Migräne und Körperschmerzen“ gezeigt.
Designergarderobe im Gerichtssaal
Die Geschichte von Anna Sorokin ist die einer geltungsbedürftigen jungen Frau, die als Tochter russischer Eltern 2007 von Moskau nach Deutschland kam. Bis zum Abitur führte sie – bis auf ein angeblich ausgeprägtes Markenbewusstsein – ein eher unauffälliges Leben im nordrhein-westfälischen Eschweiler. Von London über Paris zog sie 2013 nach New York und gab sich dort unter dem Pseudonym Anna Delvey als Millionenerbin aus. Mit der Idee eines Privatclubs für Reiche und einer Kunststiftung, der „Anna Delvey Foundation“, versuchte sie zunächst vergeblich, Investoren anzulocken, mit gefälschten Vermögensauskünften wollte sie Banken zu Millionenkrediten bringen.
Erste Anzeichen, sie könne eine Betrügerin sein, gab es bereits Anfang 2016, verhaftet wurde Sorokin im Oktober 2017. Auf dem Höhepunkt ihres Treibens „lieh“ sie sich – ohne die übliche Vorauszahlung (mehr als 35.000 Dollar) zu leisten – einen Privatjet, um den mehr als hundertfachen Milliardär Warren Buffett zu treffen.
Noch im Gerichtssaal trug sie Designergarderobe und verzögerte einen Prozesstag, weil sie nicht in Anstaltskleidung erscheinen wollte. Vor ihrer Verurteilung entschuldigte sie sich „für die Fehler, die ich gemacht habe“. Der Richter stellte fest, so schrieb die „New York Times“, dass Frau Sorokin während des gesamten Verfahrens keine Reue gezeigt habe und sich mehr Gedanken darüber machte, welche Schauspielerin sie in einer Verfilmung spielen würde. Später zog Sorokin ihr Bedauern zurück.
Die Oberschicht genarrt
Die amerikanische Journalistin Jessica Pressler hatte sich in New York auf die Spur der unbezahlten Rechnungen Delveys gemacht. Ihre Geschichte veröffentlichte sie 2018 unter dem Titel „Vielleicht hatte sie so viel Geld, dass sie einfach den Überblick verlor“ im „New York Magazine“. Dadurch bekam die Inhaftierte breite Aufmerksamkeit.
Der Fall weckte zwiespältige Gefühle beim Leser. Zum einen war da eine offensichtlich kriminelle Person, eine Betrügerin mit seltsamer Selbstwahrnehmung, die Menschen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um ihr Geld gebracht hatte – ganz klar eine Verbrecherin.
Andererseits bereitete die Geschichte auch diebisches Vergnügen. Wie wenig Blendwerk brauchte es, um die High Society an der Nase herumführen zu können? Mit einigen Investitionen in die richtige Garderobe und ausreichend Chuzpe konnte man offenbar mühelos an einer Welt teilnehmen, die ungenügend Betuchte für gewöhnlich mit snobistischem Abwinken auf Distanz hält.
Die Geschichte Sorokins ist somit auch eine der Schadenfreude. Nobelhotels und Luxuswarengeschäfte, die Otto Normalverbraucher diskret darauf aufmerksam machen würden, dass ihre Angebote seine Verhältnisse bei Weitem übersteigen, gewährten der mondänen Fremden (anfänglich) sorglos Kredit. Der Mensch, der „die da oben“ narrt, hat das Zeug zum „Held“ der Popkultur.
Ein Mensch aus kleinen Verhältnissen, der das Establishment an der Nase herumführt, ist – seit 1906, als der Schuster Friedrich Wilhelm Voigt als „Hauptmann von Köpenick“ hochstapelte – perfekt dazu geeignet, ein Buch-, Kino- oder Serienheld zu werden.
So war es auch mit Sorokin. Die etwas anstrengende und verwirrend personal- und erzählstrangreiche Netflix-Serie „Inventing Anna“ von Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes („Grey‘s Anatomy“) brachte Sorokin Anfang des Jahres erneut ins Gespräch. „Ozark“-Star Julia Garner verkörperte die Titelfigur eindrucksvoll. Die Rechte an der Verfilmung ihrer Geschichte brachten Sorokin 320.000 Dollar ein.
Das „Netflix“-Geld war schnell wieder weg
Behalten durfte sie das Geld indes nicht – wegen des New Yorker „Son of Sam“-Gesetzes, demzufolge Verbrecher nicht von ihren Verbrechen profitieren dürfen. Die Summe wurde zum Begleichen der verhängten Geldstrafe verwendet, zu Entschädigungszahlungen in Höhe von 199.000 Dollar und für Anwaltskosten in Höhe von 75.000 Dollar. Das Gericht erlaubte Sorokin, die restlichen 22.000 Dollar zu behalten, wie US-Medien berichteten.
Es wird nicht die letzte mediale Aufarbeitung bleiben. Der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet von einem Buch und einem Podcast, an dem die Heimkehrerin arbeitet. Auch eine Dokuserie ist in Planung. In Deutschland wird Sorokin nach ihrer Landung auf freiem Fuß bleiben. Hier liegt rechtlich nichts gegen sie vor.
Der Artikel "Die Hochstaplerin, die New Yorks Oberschicht narrte: Anna Sorokin fliegt heim" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.