Das Böse kommt von innen: Stephen Kings „Der Outsider“

Baseball-Coach Terry Maitland hat einen Jungen geschändet und ermordet. Davon ist die Polizei von Flint City angesichts der Beweisfülle überzeugt. Doch der Verdächtige hat ein wasserdichtes Alibi. Sephen King bietet in seinem neuen Roman „Der Outsider“ auch ein Bild der Gesellschaft.

von Von Frauke Kaberka, dpa

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München

, 04.09.2018, 13:33 Uhr / Lesedauer: 3 min
Stephen King 2013 in Hamburg. Foto: Maja Hitij

Stephen King 2013 in Hamburg. Foto: Maja Hitij

Wenn Stephen King eine der unsympathischsten Figuren seines neuen Romans „Der Outsider“ als „wahrscheinlich ein Wähler Donald Trumps“ charakterisiert, ist jedem klar, wo sich der 70-jährige Erfolgsautor politisch einordnet. Sofern man das nicht vorher schon wusste.

In seinem ersten Roman seit dem Amtsantritt desn US-Präsidenten hat King eine Horrorgeschichte im von ihm favorisierten Kleinstadtmilieu geschrieben, aber dabei die Gegenwartsgesellschaft im Ganzen im Auge behalten.

Der Durchschnittsmensch (nicht nur im Mittleren Westen der USA, in dem der Roman spielt) kann der Parole „America first“ einiges abgewinnen und hat sie nicht selten für sich auf „Ich zuerst“ heruntergebrochen. Egoismus, die Furcht vor eigener Not, die geradezu obsessive Bereitwilligkeit, einen unter Verdacht stehenden Mitbürger abzuurteilen (auch um von eigenen Problemen abzulenken), sind symptomatisch für die Kleinstadt Flint City im Bundesstaat Oklahoma - und weit darüber hinaus. Das Böse - so der Tenor im „Outsider“ - kommt von innen, Unerklärliches jedoch von außen.

Stephen King wäre nicht Stephen King, wenn er nicht eine Lösung anböte, die übernatürlichen Ursprungs ist, also von außen kommt. Doch bevor der „Outsider“ überhaupt Gestalt annimmt, beschäftigt ein Kapitalverbrechen die Menschen von Flint City: Ein Junge wurde auf grausame Weise sexuell missbraucht und ermordet. Ja schlimmer noch, der Täter - so wird aufgrund der Verletzungen vermutet - hat Teile seines Opfers gegessen. Ausgerechnet der allseits beliebte Coach des heimischen Baseballteams und geachtete Englisch-Lehrer Terry Maitland soll es gewesen sein.

Etliche Zeugen sahen ihn zur Tatzeit und in der Nähe des Tatorts, Fingerabdrücke und DNA-Spuren scheinen den Verdacht zu bestätigen. Unter großem Aufsehen wird der Trainer während eines Spiels seiner Mannschaft in aller Öffentlichkeit festgenommen. Der Fall scheint klar. Staatsanwalt und Polizei, allen voran Detective Ralph Anderson, sind von der Schuld Terrys überzeugt. Nur allzu bereitwillig folgen die meisten Bürger deren Argumenten, obwohl der zweifache Vater ein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen und sogar mit einem Fernsehauftritt belegen kann, dass er zum fraglichen Zeitpunkt in einer anderen Stadt war.

Doch die Hetzjagd auf ihn hat begonnen. Und jeder weiß: Ist der Mob erst einmal entfesselt, ist die Katastrophe nicht fern. Wie Anderson schon bald feststellen muss, gibt es Zweifel an seiner Beweiskette, zumal sich - wie er erfährt - vor einigen Monaten andernorts ein ähnliches Verbrechen ereignet hat: Zwei kleine Mädchen wurden bestialisch gequält und ermordet. Und auch hier scheint der Täter an zwei Orten zugleich gewesen sein. Der Detective beugt sich eher widerstrebend dem Wunsch einiger Leute, die an Terrys Unschuld glauben, beginnt gemeinsam mit ihnen zu ermitteln und diese bizarren Morde miteinander in Verbindung zu bringen.

Was ihn vor allem antreibt, sind Angst einflößende, meist in der Dunkelheit erfolgende Auftritte eines Wesens, das bereits mehrere Menschen heimgesucht hat, darunter auch seine Frau. Anscheinend ernährt es sich vom Schmerz, von der Wut und Angst seiner Auserkorenen. Anderson ist versucht, die bösen Erscheinungen als Alpträume abzutun, doch ist er gezwungen, die Begegnungen mit einer nicht zu fassenden Gestalt ernst zu nehmen, auch wenn er sich nach wie vor weigert, an einen Outsider zu glauben. Er, der rational Denkende und Handelnde, ist zwischen die Fronten geraten: Er kämpft gegen sich und seine Überzeugung, die von Vernunft geleitet wird, sowie gegen das Offensichtlich-Nicht-Fassbare, von dem anscheinend weitere Morde zu erwarten sind.

Interessante Charaktere bringt King ins Spiel, so die altjüngferliche Detektivin Holly Gibney, die King-Fans bereits aus der Mr.-Mercedes-Trilogie bekannt sein dürfte. Sie ist neben Anderson die Heldin der zweiten Hälfte des rund 800-Seiten-Werkes. Es liegt wahrlich nicht an ihr, dass die Spannung zum Ende hin ein wenig abflaut, sondern an einigen überflüssigen Wiederholungen und der etwas holprigen Metamorphose des Outsiders. Doch der Showdown zerrt noch einmal an den Nerven und liefert gleichzeitig die Erkenntnis: Der Mensch ist dem Übernatürlichen nicht unbedingt hilflos ausgeliefert.

Beunruhigend hingegen ist das Böse, was vom Menschen selbst ausgeht. Es ist nicht so, dass dieses Fazit das Buch wie ein straffer roter Faden durchzieht. Von den Trump-Ein- und Anspielungen mal abgesehen, muss man schon zwischen den Zeilen lesen, um Stephen Kings Kritik an der derzeitigen gesellschaftlichen Sozialkompetenz aufzunehmen, die kaum den Horizont der Ortsgrenze überschreitet.

Was für die deutschen Leser wichtig sein sollte: Die Einschätzung des preisgekrönten Autors trifft in zunehmendem Maße auch auf Europa zu: Intoleranz, Inkompetenz, Rassismus und vor allem ein nicht zu begreifender Egoismus sind die Wurzeln allen Übels und deren Folgen - O-Ton King - auch das Elixier des übernatürlichen Bösen: „Wenn Mord das Lebenswerk von diesem Ding war, dann war Kummer seine Nahrung. Kummer und Zorn.“

Stephen King: Der Outsider. Heyne Verlag, München, 752 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3- 4532-7184-5