Brillanter Text von Jelinek wird zähe Nummern-Revue
Ruhrfestspiele
Mit "Mare Nostrum" sind die Ruhrfestspiele in Recklinghausen überschrieben - und da passen Stücke über Flüchtlinge prächtig ins Konzept. Gleich zwei Werke zu dieser Thematik präsentierte jetzt das Schauspiel Leipzig im Festspielhaus: Nach Aischylos´ antikem Drama "Die Schutzflehenden" folgt mit "Die Schutzbefohlenen" Elfriede Jelineks Kommentar zur europäischen Asylpolitik.

Eine Szene aus "Die Schutzflehenden/ Die Schutzbefohlenen" bei den Ruhrfestspielen 2016.
Im Einheitsbühnenbild, Hugo Gretler hat die Bühne mit einer Art Halfpipe bestückt, lässt Regisseur Enrico Lübbe vor allem seine Chöre sprechen, die fünf Schauspieler wirken wie nettes Beiwerk. Der eintönige, wenn auch gut einstudierte Sprechrhythmus ist ermüdend, langweilig, nimmt dem Text seine Wirkung.
Brillante Textschlaufen
Zunächst gibt´s 45 Minuten Aischylos pur: Männer in weißen Brautkleidern und mit Masken stellen den Chor der geflüchteten Frauen dar. Wechseln - laut mit ihren Holzsandalen trippelnd - den Standort, um dann den Text weiter zu rezitieren. Mal lauter, mal leiser - und ab und an recken sie die Arme nach oben. Herrscher Pelasgos´ Worte sind durch die geräuschvollen Positionswechsel nicht immer gut zu verstehen.
Dann geht´s in die Gegenwart: Ausgehend von einer Protestaktion pakistanischer Flüchtlinge im Herbst 2012 in Wien und Hunderten afrikanischer Flüchtlinge, die im Herbst 2013 im Mittelmeer ertranken, entwickelte Jelinek ihren Klagechor. In brillanten Textschlaufen verschränkt die Dramatikerin diese Ereignisse mit Aischylos´ Drama sowie mit Zitaten aus der Broschüre "Zusammenleben in Österreich" und der "Blitzeinbürgerung" von Anna Netrebko und der Tochter von Boris Jelzin.
Platt illustriert
Eine extrem verkürzte Version des Jelinek-Textes hat Lübbe als Nummern-Revue inszeniert und äußerst platt illustriert. Ist von Papieren die Rede, hält der nun von Frauen mit Jelinek-Perrücken gespielte Flüchtlingschor weiße Blätter in die Luft. Ein Mann in roter Abendrobe schwebt in einer Badewanne als Netrebko über die Bühne, dazu erklingt eine Arie. Die Jelzin-Tochter tanzt als It-Girl mit dem Chor.
Eine Verschränkung der beiden Stücke gelingt bei den Ruhrfestspielen nicht: Auf den statisch angelegten ersten Teil folgt ein bunter Bilderreigen. Und dem fast zweistündigen emotionsfreien Chorsprechen zu lauschen, ist eine zähe Angelegenheit.