So floh ein syrischer Arzt von Damaskus nach Lünen
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„New life“ - neues Leben. Das ist der Status, den Mohammed (25) aus Syrien beim Kurznachrichten-Dienst Whatsapp in seinem Handy eingestellt hat. Als Flüchtling ist er vergangenen Freitag in der Jugendherberge am Cappenberger See angekommen. Wir haben mit ihm gesprochen. Über sein altes Leben, den Krieg, die Flucht – und seine Pläne für die Zukunft.

Mohammed ist angekommen am Cappenberger See und wartet darauf, wie es für ihn weitergeht. Er hat eine lange und beschwerliche Reise hinter sich.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Mohammed über seine Heimat erzählt, wo er Probleme sieht und wieso es für ihn keinen anderen Ausweg mehr gab als zu fliehen.
Es war eine teure Reise, oder Mohammed?
Ja, ungefähr 2000 Euro, von Damaskus bis Dortmund, ungefähr 4500 Kilometer. Ich bin glücklich, hier zu sein.
Warum wolltest du unbedingt nach Deutschland kommen, bist nicht zum Beispiel in Österreich geblieben oder weitergefahren?
Ich bin Arzt, mein Abschluss in Syrien wird hier gut angenommen. Ich muss ein paar Tests machen, damit ich hier arbeiten kann. Die Medizin ist hier so gut entwickelt und es gibt viele Stellen.
Und das Geld, um hierher zu kommen, hast du bekommen, indem du in Damaskus als Arzt gearbeitet hast?
Ja, unter anderem, außerdem noch Geld von meiner Familie. Die bleibt in Damaskus, es gibt keine andere Wahl.
Warum wolltest du unbedingt weg?
Die eine Situation, die mir klar gemacht hat, dass ich auf jeden Fall weg muss, war die: Am 25. August arbeitete ich eine Nachtschicht in der Notaufnahme im Krankenhaus. Da waren nur ich und eine Kollegin. Ein Soldat der Miliz, die für Assad kämpft, kam in die Notaufnahme, er hatte Bauchschmerzen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn untersuchen werde. Er wollte aber von der Ärztin untersucht werden. Er hat sie angestarrt. Also habe ich mit ihm gestritten. Da hat er eine Granate herausgenommen und den Sicherheitsstift herausgezogen. Er sagte, er würde den Raum in die Luft jagen, wenn wir nicht machen, was er sagt. Dann kam ein Sicherheitsmann, zum Glück. Aber da habe ich realisiert: Ich muss weg. Jetzt hatte ich noch Glück, aber beim nächsten Mal vielleicht nicht.
Es ist also nicht mehr sicher in Damaskus?
Es wird als die sicherste Stadt in Syrien betrachtet. Aber jeden Tag schlagen da Raketen ein, auch auf Zivilisten. Menschen werden festgenommen ohne Begründung. Einer meiner Freunde, er ist auch Arzt, wurde im Krankenhaus festgenommen. Er ist in einen Kampf mit einem Soldaten geraten. Er war vier Monate im Gefängnis. Er kam lebend heraus – aber nicht gesund. Die Milizen sagen, sie wären da für unsere Sicherheit. Aber meiner Meinung nach sind sie die größte Gefahr für uns.
Musstest du eigentlich zum Kriegsdienst in Syrien?
Nein, bisher nicht, weil ich noch studiert habe. Aber danach hätte ich hin gemusst. Spätestens dann hätte ich weggemusst.
Wie war das Leben in Syrien?
Ich habe mit meiner Familie im Zentrum der Stadt gelebt. Es ist gefährlich, aus der Stadt herauszugehen. Jeden Tag sind aber auch in der Stadt so zehn Raketen eingeschlagen. Niemand weiß, woher die kommen. Ich glaube es sind die Gruppen außerhalb der Stadt, die gegen Assad kämpfen.
Hattest du dort Hobbys?
Alle Hobbys, die man hat, muss man im Haus machen. Draußen gibt es keine Kinos oder so. Dort ist Krieg. Du kommst von der Arbeit nach Hause und bleibst da. Drinnen habe ich viel gelesen, Geschichte, Wissenschaft. Ich höre auch gerne Musik gehört, Filme und Serien geguckt.
Hattest du Internet?
Ja, das Problem ist aber die Elektrizität. Die funktioniert nur acht Stunden am Tag, 16 Stunden ist es dunkel. Nach diesen Zeiten muss man sich arrangieren. Oft komm ich von der Arbeit wieder und es ist dunkel. Aber wir haben auch Kerzen und Batterien für Strom.
Konntet ihr von eurem Geld gut leben?
Ja, es hat dafür gereicht, was wir dringend brauchten, Essen zum Beispiel. Alle die Ersparnisse, die wir hatten, habe ich für die Flucht hierher ausgegeben. 2000 Euro sind ungefähr 500.000 syrische Pfund. Im Krankenhaus habe ich 20.000 Pfund pro Monat ausgegeben.
Fehlt es dir?
Ja, ich vermisse es. Ich erinnere mich an die friedlichen und die fürchterlichen Zeiten.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was sich Mohammed von seinem neuen Leben in Europa verspricht und ob er Kontakt nach Syrien hält.
Wie ist es hier, wie gefällt es dir?
Sehr schön bis jetzt. Die Jugendherberge hier ist ja fast romantisch. Auch die Menschen sind sehr sehr nett zu uns und versuchen uns so gut zu helfen wie möglich. Aber auch die Bürger der Stadt sind sehr nett, ein paar haben wir schon getroffen. Das ist ein guter Start für mich.
Glaubst du, dass manche Deutsche auch Angst vor den Flüchtlingen haben?
Man hat uns gesagt, dass die größte Angst der Leute hier ist, dass wir den Krieg mit hierher bringen. Aber ich finde: Die Leute hier, sind nicht die Leute, die kämpfen. Sondern die, die davor fliehen, einfach Zivilisten, die viereinhalb Jahre im Krieg gelebt haben. Wir müssen jetzt ein positives Bild abgeben, damit die Menschen keine Angst mehr vor uns haben.
Kannst du verstehen, dass manche Menschen auch Angst vor der Islamisierung haben?
Ja, aber es ist meine Pflicht ihnen zu zeigen, wie ein richtiger Muslim ist. Das ist nicht einer, der eine Waffe in der Hand hat und einen langen Bart, das ist nicht ein typischer Muslim, so wie die im Fernsehen. Die richtigen Muslime sind friedlich, arbeiten, haben eine Familie, Freunde.
Hattest du schon Kontakt mit deiner Familie?
Ja, über das Handy. Ich habe ihnen Bilder von mir geschickt, von der ganzen Reise auch schon.
Und hier in der Jugendherberge, mit wem umgibst du dich da?
Hier sind ja Menschen aus der ganzen Welt. Afghanistan, Irak, Iran, Kurden – von überall. Bis jetzt habe ich größtenteils mit den Syrern Kontakt. Die gleichen Akzente, die gleichen Traditionen. Die anderen sind auch nett, aber es ist schwer, mit denen zu kommunizieren.
Und jetzt?
Ich hoffe, dass es schnell weiter geht. Das wichtigste ist, finde ich, die Sprache so schnell wie möglich zu lernen.
Aber du sprichst ja schon etwas deutsch.
Ja, ich habe am Goethe-Institut in Damaskus vier Kurse gemacht. Das war vor mehr als vier Jahren, vor dem Krieg. Als der Krieg ausbrach, hat die deutsche Botschaft zugemacht, auch das Goethe-Institut. Ich habe also vieles vergessen.
Warum hast du damals schon deutsch gelernt?
Ich hatte schon immer den Plan, nach Deutschland zu kommen. Aber nicht als Flüchtling. Sondern ganz normal mit Visa. Aber dann kam der Krieg. Ich möchte jetzt mein Studium weitermachen und dann die Facharztausbildung. Aber erst einmal müssen die Papiere fertig werden.
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