Dr. Christian Lüdke rät vor der Kaufentscheidung zur Selbstreflexion: Brauche ich das Öl oder Mehl wirklich?

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Psychologe zum Hamstern: Die Menschen schalten in den Steinzeit-Modus

rnHamsterkäufe

Öl und Mehl fehlen in vielen Supermärkten - die Menschen hamstern wieder. Das liegt in unseren Genen, ist aber trotzdem egoistisch und irrational, erklärt der Psychologe Dr. Christian Lüdke.

Lünen

, 17.03.2022, 11:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

In den Regalen vieler Supermärkte klaffen gerade deutliche Lücken. Öl und Mehl sind vielerorts vergriffen. Weil die Waren knapp werden könnten, werden sie gehamstert. „Man kennt es ja von diesen possierlichen Tieren“, sagt der Psychologe Dr. Christian Lüdke. „Die stopfen sich die Hamsterbacken voll, bevor die in den Winterschlaf gehen.“ Der Hamster versuche viele Vorräte anzulegen, um in Zukunft davon zu profieren. Bei uns Menschen sei das Prinzip ähnlich, so der Psychologe.

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Irrational, emotional und egoistisch

Die Gründe für dieses Verhalten sind relativ banal, sagt Lüdke. Es sei der alte Versuch, eine scheinbar nicht zu kontrollierende Situation unter Kontrolle zu bringen, indem Vorräte anlegt werden. „Wir fühlen uns gestresst und bedroht und dann versuchen wir uns in Sicherheit zu bringen, das ist reine Biochemie“, erklärt Lüdke. „Die Menschen schaffen Konserven an, um die Kontrolle in ihrem eigenen Leben zu behalten.“

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Dieses Verhalten sei zwar völlig irrational, zeige aber gut, wie wir unter Stress reagieren: „Es ist so, als wenn die Menschen in einen Steinzeit-Modus umschalten“. Das geschehe eher unbewusst und emotional. „Da geht es um ganz tiefe ungestillte Bedürfnisse. Ich habe den Wunsch nach Sicherheit, nach Geborgenheit, nach Zugehörigkeit“, erklärt Lüdke.

In der Psychologie gebe es das Konzept des Egoismus der Gene: „Sei gemein zu allen Fernstehenden, sei nett zu allen Nahestehenden. Wie du mir, so ich dir und die wichtigste Regel lautet: Betrüge wo du nur kannst“. Deshalb denken Menschen überall an den eigenen Vorteil und das eigene Überleben. „Es ist ein zutiefst egoistisches Verhalten“, sagt Lüdke.

Leere Regale: Auch in Selm (hier Aldi) gab es zwischenzeitlich kein Sonnenblumen- und Rapsöl mehr.

Leere Regale: Auch in Selm (hier Aldi) gab es zwischenzeitlich kein Sonnenblumen- und Rapsöl mehr. © Marie Rademacher

Weil der Mensch trotz allem ein Herdentier sei, werde durch den Egoismus jedoch häufig auch sichergestellt, dass zumindest die soziale Herde - in der Steinzeit die Gruppe, heute meist die Kernfamilie - ebenfalls versorgt wird. „Auch das liegt wieder in unseren Genen, erstmal die eigene Familie, die eigene Brut, zu beschützen.“

Kontrollverlust wie vor zwei Jahren

Das letzte Mal, als so stark gehamstert wurde, war zu Beginn der Corona-Pandemie vor ziemlich genau zwei Jahren. Das sei laut Lüdke kein Zufall. Beide Situationen - der Ausbruch eines Krieges und der einer Pandemie - sind ein massiver Kontrollverlust. „Menschen versuchen durch diese Hamsterkäufe die Lage scheinbar wieder in den Griff zu bekommen.“ Damals war es Klopapier, jetzt eben Öl und Mehl. Durch diesen „vorauseilenden Gehorsam“ könnten die Waren dann tatsächlich knapp werden.

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Ein anderes Verhaltensmuster, das auftreten kann, wenn Menschen in unübersichtlichen Situationen die Kontrolle erlangen möchten, ist das Eintauchen in Verschwörungstheorien. „Verschwörungstheorien versuchen sehr einfache Erklärungen für extrem schwierige Situationen zu finden“.

Ehrliche Selbstreflexion ist gefragt

„Grundsätzlich kann man sagen, je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger anfällig ist er fürs Hamstern“, sagt Lüdke. Doch reine IQ-Punkte schützen auch vorm Hamstern nicht, das eigene Verhalten zu hinterfragen und sich selbst zu reflektieren hingegen schon. Wer stattdessen ganz impulsiv und ohne nachzudenken reagiert, der läuft große Gefahr zu hamstern.

Wer im Supermarkt vor der letzten verbleibenden Flasche Öl steht, der sollte sich eine Sekunde Zeit nehmen und fragen: „Brauche ich jetzt wirklich diese Flasche Öl? Muss ich heute Abend einen riesigen Salat anrichten oder will ich sie nur mitnehmen, weil sie knapp scheint?“

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