
© Torsten Storks (Archiv)
Psychologe: Bei Angst im Ukraine-Konflikt sollten Eltern ruhig reagieren
Christian Lüdke
Auch Kinder bekommen etwas von den Meldungen über russische Angriffe auf die Ukraine mit und entwickeln Ängste. Wie Eltern darauf reagieren sollten, sagt Psychotherapeut Dr. Christian Lüdke.
Erwachsene sind geschockt von den Bildern aus der Ukraine und den Drohungen aus Moskau. Auch Kinder bekommen natürlich mit, wenn sich die Eltern darüber unterhalten oder sie sehen die verstörenden Bilder im Fernsehen. Eine Belastung für die Kinderseelen. Wenn Kinder ängstlich fragen und vielleicht sogar Tränen fließen, weil sie Schlimmes befürchten, sollten Eltern vor allem eins - Ruhe bewahren. Das rät der bekannte Lüner Kinder- und Jugendpsychotherapeut Dr. Christian Lüdke.
„Man muss die Reaktion auf das Alter der Kinder abstimmen“, so Lüdke. Bei und vor den Kleinsten bis zu drei Jahren sollte man gar nicht über das Thema sprechen. Anders sieht es bei Mädchen und Jungen zwischen vier und neun Jahren aus. „Da sollte man mit den Kinder nur darüber sprechen, wenn sie von sich aus fragen.“ Mit Kindern und Jugendlichen ab der Vorpubertät (ab zehn Jahren) könne man wie mit Erwachsenen sprechen.
Bei solch belastenden Themen wie Ängsten vor einem Krieg sollten Eltern auf jeden Fall versuchen, die eigenen Gefühle vor den Kindern zu verbergen. Und ganz ruhig reagieren, damit diese Ruhe auf die Kinder übergeht. „Bei den jüngeren Kindern besteht deren Welt nur aus den engsten Bezugspersonen und einigen Dingen. Deshalb sollten die Eltern auf keinen Fall Trauer und Panik zeigen, sonst fühlen die Kinder, dass ihre eigene Welt auch bedroht ist“, so Lüdke.
Deshalb sollten die Erwachsene über mögliche eigene Ängste angesichts der Angriffe auf die Ukraine lieber nur untereinander oder auch mit Freunden sprechen, ohne dass die Kinder das mitbekommen. Wichtig sei aber auch, dass die Eltern im Gespräch mit ihren Kindern die Wahrheit sagen, aber „niemals die ganze Wahrheit“. Und natürlich sollte man die Situation kindgerecht erklären: „Beispielsweise indem man sagt, das ist, als ob jemand ins Wohnzimmer käme und dann sagt, das Wohnzimmer gehört jetzt mir und dann bringt er auch noch ein paar Kumpel mit“, nennt Lüdke ein Beispiel.
Kinder kennen natürlich auch Streitsituationen und auch das könne man nutzen, um ihnen den Konflikt kindgerecht zu erklären: „Kinder beschimpfen sich gegenseitig oder ziehen sich an den Haaren, obwohl der andere nichts gemacht hat. Das kann auch bei Erwachsenen und Ländern passieren.“ Man solle auch ruhig Position beziehen und sagen, dass diese Angriffe nicht in Ordnung sind.

Dr. Christian Lüdke hat schon einige Bücher geschrieben, in denen es um Themen geht, die Kinder betreffen. Beispielsweise um Ängste oder auch - wie hier - um Streit. © Beate Rottgardt (Archiv)
Wichtig für die Kinderseele sei auch, zu versuchen, den Mädchen und Jungen Sorgen und Ängste zu nehmen, ihnen zu sagen, dass so etwas bei uns nicht passieren werde. „In solchen Situationen ist auch mal eine Notlüge, also eine Zwischenform der Wahrheit, erlaubt, um das Kind zu schützen.“ Dann könnte man den Kindern sagen, dass unser Land nicht angegriffen werde und dass Mama und Papa auch nicht weg müssen, um zu kämpfen. Lüdke: „Aber auf keinen Fall Details erzählen, das schreckt nur ab, lieber oberflächlich bleiben.“ Man solle auch die Großeltern bitten, die Enkel nicht mit Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg zu ängstigen.
Wichtig seien in Situationen wie dieser die „drei Z“ - Zeit, Zuwendung, Zärtlichkeit, das Kind ablenken und spielen lassen. Eltern und Bezugspersonen der Mädchen und Jungen sollten auch wissen, dass es bei Kindern verzögerte Reaktionen geben kann, der sogenannte Rantanplan-Effekt, benannt nach dem Hund aus den Lucky Luke-Comics. „Kinder entwickeln manchmal erst Wochen oder Monaten nach einem Ereignis Ängste und werden dann sehr kreativ. Das zeigt sich beispielsweise in Bildern, die sie malen, oder Geschichten, die sie erfinden.“
Das hat Lüdke selbst bei einem Aufenthalt in New York nach den Attentaten auf das World Trade Center erlebt. „Kinder malten noch Wochen später einstürzende Hochhäuser oder bauten das Ganze mit Lego nach.“ Der Kinder- und Jugendpsychotherapeut hat vor einiger Zeit einen achtjährigen Jungen behandelt, dessen Vater bei einem Amoklauf ermordet worden ist. „Auch er hat Bilder gemalt, die seinen Vater in verschiedenen Situationen zeigten, am Ende als Clown im Zirkus. Das zeigt, dass Kinder ihre eigenen Lösungsstrategien und -fantasien entwickeln.“
Nicht erschrecken
Eltern sollten bei solchen Reaktionen, die längere Zeit nach einem traumatischen Erlebnis auftauchen, nicht erschrecken, sondern sich alles genau anschauen und mit ihrem Kind darüber reden. „Kinder sind zu 100 Prozent Gefühlsmenschen und wollen immer die stärksten sein, deshalb zeigen sie auch nicht, dass sie schwach und ängstlich sind. Manchmal laufen sie monatelang damit herum und dann werden die Reaktionen durch andere Ereignisse in der Familie ausgelöst.“
Manchmal helfen auch die klassischen Märchen, die zwar auch viele traumatische Inhalte (dem Wolf wird der Bauch aufgeschnitten, die Hexe im Ofen verbrannt) haben, aber sie haben eben auch immer ein glückliches Ende. „Den Kindern in schöner Atmosphäre die Märchen vorlesen, kann helfen, dass die Mädchen und Jungen ihre eigenen Lösungen für ihr Problem finden.“
Bei den älteren Kindern solle man zwar über deren Empfindungen sprechen, aber auch hier Details über die Angriffe der Ukraine nicht ausschmücken. „Besser ist es, zu fragen, was sie am meisten an dem Thema interessiert, vielleicht würden sie auch gern persönlich etwas tun, um den Menschen zu helfen. So wie gute Wünsche mit anderen zu teilen.“ Wichtig sei es, den Jugendlichen klar zu machen, dass Fake News über soziale Netzwerke verbreitet werden und dass dies auch ein Teil der Kriegsstrategie ist.
Beate Rottgardt, 1963 in Frankfurt am Main geboren, ist seit 1972 Lünerin. Nach dem Volontariat wurde sie 1987 Redakteurin in Lünen. Schule, Senioren, Kultur sind die Themen, die ihr am Herzen liegen. Genauso wie Begegnungen mit Menschen.
