Gesundheit gehört für viele Lüner zum Glück. Die meisten machen sich in der Pandemie mehr Sorgen um ihre Gesundheit. Dr. Hans-Martin Sobottka (l.) und Dr. Arne Krüger, Vorsitzender des Lüner Ärztevereins, schildern, wie sich die Arbeit in den Praxen durch Corona verändert hat. © Quiring-Lategahn/Montage Klose
Glücksumfrage
Lüner Hausärzte mit hohem Corona-Stresspegel: Routinechecks müssen warten
Vormittags 8000 Telefonanrufe in einer Praxis: Der Stresspegel bei Lüner Hausärzten ist seit Corona hoch. Das gesteigerte Arbeitspensum hat viele Nebenwirkungen, in einem Fall aber positive.
Gesundheit hat einen großen Einfluss auf das Glücksempfinden. In der Pandemie machen sich Menschen mehr Sorgen um ihr Wohlbefinden. 199 Lünerinnen und Lüner haben in den vergangenen Wochen an unserer Glücksumfrage „Mensch, wie glücklich bist du?“ teilgenommen. 140 von ihnen gaben an, sich mehr Sorgen um ihre persönliche Gesundheit zu machen. Bei der Frage, wem sie vertrauen, wenn es um gesundheitliche Informationen rund um Corona oder das Impfen geht, steht der Hausarzt bei 156 Lünerinnen und Lünern deutlich vorne.
Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, sie unterstreicht aber, was auch die Hausärzte Dr. Arne Krüger (47) und Dr. Hans-Martin Sobottka (48) in den zwei Jahren seit Pandemie-Beginn erleben: Die Hausarztpraxen haben viel zu tun. „Das Arbeitsaufkommen ist so stark gestiegen, dass wir für den Patienten nicht mehr die Zeit haben, die wir uns wünschen“, sagt Krüger.
Erst waren es Abstriche, dann Impfungen, jetzt beides zusammen, dazu jede Menge Beratungsbedarf rund um Corona. „Die Verdichtung der Termine hat extrem zugenommen“, so Sobottka. 8000 Telefonanrufe zählte er mal an einem Vormittag. In der Praxis am Lippepark arbeiten drei Ärzte. Arne Krüger, Vorsitzender des Lüner Ärztevereins, ist als Allgemeinmediziner alleine tätig. Er hat noch eine Fachärztin für Diabetologie in der Praxis. Das Patientenaufkommen habe sich seit Corona für ihn verdoppelt - und auch für seine medizinischen Fachangestellten.
Auch am Wochenende hat sich Dr. Hans-Martin Sobottka (Archivbild) an dezentralen Impfaktionen beteiligt. © Quring-Lategahn (A)
Zu Corona kommen strukturelle Probleme
Doch es ist nicht nur Corona, das den Puls bei den Hausärzten nach oben treibt. Es sind auch strukturelle Entwicklungen. Weil die alteingesessene Praxis von Dr. Elisabeth Meiß ohne Nachfolge blieb, verteilen sich seit Beginn des Jahres auch diese Patienten auf die umliegenden Ärzte. In Lünen und Selm sind derzeit 62,75 Vollzeitstellen für Hausärztinnen und Hausärzte besetzt. 5,5 weitere Niederlassungsmöglichkeiten bestehen noch, bevor statistisch von einer Überversorgung gesprochen wird. 35 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte sind älter als 60 Jahre und werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Ob ihre Praxen übernommen werden, ist fraglich.
In den vergangenen zwei Jahren hat Krüger sein Personal um 1,5 Stellen aufgestockt. „Zuarbeiten muss ich abgeben.“ In die Praxis Sobottka kam eine Auszubildende, ab 1. April beginnt eine weitere Kraft. Das sei unabhängig von Corona eine normale Entwicklung. Allerdings: Personal zu finden ist schwer. Es fehle an Wertschätzung für den Beruf, auch finanziell. 2400 Euro verdient eine Fachangestellte ab dem 5. Berufsjahr. Bei dem Stress winken viele ab.
Routinechecks erstmal nach hinten schieben
Höflich sein, einfühlsam, immer wieder an Maskenpflicht in der Praxis erinnern, endlose Fragen zu Coronaregeln beantworten, das sorgt bei der hohen Zahl an Patienten bei den Praxisbeschäftigten für Erschöpfung pur. Um der unglaublichen Anfragen Herr zu werden, setzt die Praxis am Lippepark auf Telefonsprechstunden und E-Mails für Rezeptbestellungen. Routineuntersuchungen wie Hautkrebsscreening oder Lungenfunktionstest würden erstmal nach hinten geschoben. Auch Arne Krüger muss einschränken: Er schafft nicht mehr so viele Hausbesuche wie einst, weil er in der Praxis gefordert ist. Das habe am Telefon schon einmal zu heftigen Diskussionen geführt.
Hat ein Jahr lang keinen Urlaub gemacht: Dr. Arne Krüger, auf dem Archivbild bei einer Impfaktion in einem Altenheim. © Goldstein (A)
Nicht nur das: Im letzten Jahr haben die Hausärzte an den Wochenenden geimpft, oft an dezentralen Orten. Krüger hatte ein Jahr keinen Urlaub und war 2021 gerade mal drei Wochen weg, „weil mich die Mitarbeiterinnen quasi rausgeschmissen haben.“ Heute lässt er die Wochenenden frei, auch, um die Teams zu schonen.“ Die Praxis am Lippepark ist zwar durchgelaufen, aber auch mit reduziertem Urlaub.
Was heute gilt, ist morgen anders
Weil Hausärzte als verlässliche Ansprechpartner gefragt sind, informieren sich Krüger und Sobottka aus offiziellen Quellen des Robert Koch-Instituts oder des Landes NRW. Doch manche Meldung vom Vormittag ist abends schon wieder überholt. Beispiel der Impfstoff Johnson & Johnson: An einem Freitag hieß es, die zweite Impfung sei der Booster, nach einer Pressekonferenz abends war dann von einer dritten die Rede. Patienten wollen sich darauf verlassen können, was Ärzte sagen. Die aber werden selbst von den Nachrichten überrollt. „Bei jeder Frage müssen unsere Antworten sitzen und wir den aktuellen Stand kennen“, sagt Sobottka. Volle Konzentration sei gefordert, wenn er die Tür zur Praxis öffne. Er geht früher schlafen.Mehr Teamgeist unter den Ärzten
Einen positiven Nebeneffekt für die Lüner Ärzteschaft hat das ganze Corona-Wirrwarr. Habe es früher eher Konkurrenzgedanken gegeben, sei jetzt das Netzwerk enger geknüpft worden. Kollegialer Austausch laufe über WhatsApp, neue Infos zu Corona werden schnell miteinander geteilt, verfügbarer Impfstoff mal eben über den kleinen Dienstweg publik gemacht. Ein Beispiel für den Teamgeist ist auch dieses Interview. Nicht alleine wollte Arne Krüger als Vorsitzender die Situation der Lüner Hausärzte beleuchten, Hans-Martin Sobottka kam spontan dazu. „Von außen kommt für uns wenig Unterstützung“, sagt er. Deshalb müsse sie innerhalb der Ärzteschaft gut umgesetzt werden.
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