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Lüner Virologe Dr. Mehnert: „Impfpflicht wird Gesellschaft zersplittern“
Menschen in Lünen
Dr. Franz Mehnert war eigentlich schon aus dem aktiven Dienst raus, ist wegen der Pandemie beruflich aber wieder aktiv geworden. Er wirft einen speziellen Blick auf die vergangenen zwei Jahre.
Wenn man die Pandemie eindämmen und in den Griff bekommen möchte, muss man vor allem aufhören, falsche Bilder zu verbreiten. Davon ist Dr. Franz Mehnert, Virologe aus Lünen, überzeugt. „Wenn von Wellen gesprochen wird, dann wird ein rein statistischer Begriff verwendet“, sagt der 80-Jährige. „Man müsste stattdessen mehr mit den Begriffen Ansteckung und Entzündung arbeiten. Das Bild eines Brandes, des Entzündens wäre viel besser geeignet als das einer ‚Welle‘.“ Die Covid-19 - Pandemie als das Aufflackern vieler kleinerer und größerer Brandherde weltweit. Außerdem verhindere „Welle“ den Blick auf Einzelschicksale.
Um trotzdem einen Beitrag in der Bekämpfung der Pandemie zu leisten, kehrte Mehnert in fortgeschrittenem Alter aus dem Ruhestand zurück und versorgt die Lüner mit Corona-Tests und Impfungen.
Medizin nicht nur als ökonomisches System sehen
Franz Mehnert ist Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Nach Studienjahren in Freiburg und anderthalb Jahrzehnten in der Abteilung für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Ruhr Uni Bochum hatte er 1991 zusammen mit seiner Frau, Siegrid Mehnert-Aner, das Jakob-Henle-Haus an der Cappenberger Straße gegründet.
Siegrid Mehnert-Aner hatte zuvor als Oberärztin in einem Herner Krankenhaus gearbeitet und in Lünen einen Platz gefunden, sich als Fachärztin für Nierenheilkunde und Diabetologie in eigener Praxis niederzulassen. „Medizin muss ein System sein, das auch atmen kann“, erinnert sich Franz Mehnert an die Beweggründe zurück. „Man darf die Medizin nicht nur als ökonomisches System sehen.“
Masern riefen aus dem Ruhestand
Er selbst war zunächst administrativ im Hintergrund tätig, beaufsichtigte den Bau des medizinischen Zentrums und versuchte, sich ein eigenes Labor aufzubauen. Als das scheiterte, nahm er die Gelegenheit wahr, sich in seiner Heimat Neu-Ulm als Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie in einer Gemeinschaftspraxis niederzulassen. Einige Jahre pendelte er zwischen Neu-Ulm und Lünen, führte eine Wochenend-Ehe und war Wochenend-Vater, bevor er im Jahr 2005 beschloss, wieder nahe bei der Familie zu sein.
Nach reger politischer Tätigkeit für die Lüner FDP war es die massive Zunahme der Masern-Erkrankungen 2018, die Mehnert zurück in seinen Beruf riefen. „Da dachte ich zum ersten Mal: Mein Gott, da muss man was machen“, erinnert sich der studierte Virologe, „Ich dachte: Donnerwetter, bring dein Wissen doch mal ein, du kannst helfen“.
Viele Brandherde löschen
Zunächst eröffnete er 2018 eine privatärztliche Praxis in der Cappenberger Straße 62. So arbeitet er seither privatärztlich für Impf- und Reisemedizin im Verbund mit der Praxis seiner Frau. Als die Corona-Epidemie sich ankündigte und ausbreitete, war es für Dr. Franz Mehnert auch noch im fortgeschrittenen Alter selbstverständlich, die Lüner mit Test- und Impfangeboten zu versorgen.
„Manchmal muss man eben, wenn das Haus schon brennt, handeln“, erklärt er sein Engagement. Das Bild des Brandes, vieler Brandherde, die es zu löschen gilt, ist nach seiner Meinung der aktuellen Lage angemessen – viel angemessener als das Bild der Wellen, die nur die Statistik zeichneten.
Dabei zieht er den Vergleich dazu, wie in früherer Zeit auf dem Land mit Bränden umgegangen wurde: Jeder Dorfbewohner half mit, das Feuer zu bekämpfen. „So sollte auch mit der Pandemie umgegangen werden“, sagt er. „Nur dann kann sie bekämpft werden. Je mehr das politisch versucht wird zu regeln, desto schwieriger wird es und desto mehr rücken wir von der Mündigkeit des einzelnen Bürgers ab.“
Hang zu autoritärem System
Unmündig mache auch die Impfpflicht. Nicht wegen der Impfung an sich. Hierzu sagt er: „Impfungen sind eine der segensreichsten Wirkungen, die wir je hatten, einer der größten Erfolge der Medizin. Die Impfung ist eine Anwendung, die bei geringsten Nebenwirkungen den größten Effekt erzeugt.“ Die Pflicht zur Impfung werde aber die Gesellschaft nicht nur spalten, sondern zersplittern, ist er überzeugt.
Weil aber mangelhafte Informationspolitik betrieben wurde und falsche Bilder gezeichnet wurden, sei die Pandemie noch immer nicht eingedämmt. „Die Verantwortung ist aber so groß, dass man niemandem einen Vorwurf machen kann“, schiebt er ein. Zugleich sagt er aber auch: „Hier macht sich ein antidemokratischer, nahezu autoritärer Impuls bemerkbar. Das ist sehr gefährlich.“
Schwerfälligkeit des Systems
Außerdem ärgert sich der Virologe über die Schwerfälligkeit des Systems: „Es ist die Aufgabe der Politik, die einzelnen Kräfte, die in einer Gesellschaft wirken, zum Ausgleich zu bringen. Die müssen aber im Rahmen bleiben und dürfen nicht ausufern. Wenn man in der Politik aber zu langsam ist und deswegen heftigere Maßnahmen verabschiedet, dann kann das nicht funktionieren.“
Die Epidemie sei „etwas“ aus dem Ruder gelaufen. Nicht zuletzt, weil für die Übermittlung der Testungen und Impfungen ein wahnsinniger bürokratischer Aufwand betrieben werden müsse. „Die Meldungen über positive Fälle müssen wegen der Datenschutzverordnung per Fax erfolgen“, kommentiert Mehnert. Obwohl Dr. Franz Mehnert im Alter von 77 Jahren aus seinem Ruhestand zurückgekehrt ist, um bei der Corona-Bekämpfung einen Beitrag zu leisten, möchte er nicht als „Held der Pandemie“ bezeichnet werden.
In und um Stuttgart aufgewachsen, in Mittelhessen Studienjahre verbracht und schließlich im Ruhrgebiet gestrandet treibt Kristina Gerstenmaier vor allem eine ausgeprägte Neugier. Im Lokalen wird die am besten befriedigt, findet sie.
