Vielseitigkeit über Generationen hinweg

Reitsport: Interview

Am Samstag und am Sonntag (1. und 2. Juli) geht es für Josephine Schulze Bisping vom RV St. Georg Werne und Johanna Schulze Thier vom RV von Nagel Herbern um die EM-Teilnahme in der Junioren-Vielseitigkeit. Ambitioniert ist mit seinen 67 Jahren auch der Herberner Vielseitigkeitsreiter Joachim Raguse. Im Generationen-Interview Interview sprechen sie über ihren Sport.

WERNE

, 30.06.2017, 11:24 Uhr / Lesedauer: 4 min
Johanna Schulze Bisping (l.) und Johanna Schulze Thier (Mitte) würden liebend gerne zu den Europameisterschaften der Junioren fahren. Für den Senior der Runde, Joachim Raguse, geht es hingegen darum, noch so lange wie möglich im Sattel sitzen zu können. Vielseitigkeitssturniere geht er noch zwei bis drei Mal im Jahr an.

Johanna Schulze Bisping (l.) und Johanna Schulze Thier (Mitte) würden liebend gerne zu den Europameisterschaften der Junioren fahren. Für den Senior der Runde, Joachim Raguse, geht es hingegen darum, noch so lange wie möglich im Sattel sitzen zu können. Vielseitigkeitssturniere geht er noch zwei bis drei Mal im Jahr an.

Die Wernerin Josephine Schulze Bisping hat Chancen auf eine Teilnahme bei der EM der Großpferde in Irland (19. bis 23. Juli), Herberns Schulze Thier hofft auf einen Start bei der Pony-EM in Ungarn (25. bis 30. Juli). Dafür müssen beide am Samstag im Olympiastützpunkt in Warendorf zunächst morgens in Dressur, nachmittags im Gelände und sonntagvormittags im Springen die Bundestrainer von ihren Qualitäten überzeugen. Die 15-Jährigen sind ambitioniert, wollen es in den je sechs Reiter umfassenden Kader schaffen.

Ambitioniert ist mit seinen 67 Jahren auch Joachim Raguse. Zwei bis drei Mal im Jahr stemmt er den zeitlichen Aufwand über mehrere Tage und bestreitet noch Vielseitigkeitsturniere. Vor der entscheidenden Sichtung für Schulze Thier und Schulze Bisping haben sich die drei Reiter in einem "Generationen-Interview" zu den gleichen Fragen über das Wochenende in Warendorf und den Vielseitigkeitssport im Allgemeinen geäußert.

Trotz vieler Entschärfungen ist Vielseitigkeitsreiten nicht unumstritten, sei zu gefährlich und anstrengend für Pferd und Reiter. Wie bewerten Sie das Bild des Sports heute?

Raguse: Besser als vor einigen Jahren. Wenn wir über Vielseitigkeit auf nationaler und internationaler Ebene reden, dann war breiter, höher, länger schon unheimlich anstrengend für die Pferde. In der heutigen Zeit sind technische Anforderungen, wenn es nicht übertrieben wird, zum Wohle des Pferdes der bessere Weg. Wir sehen weniger Stürze, mehr schöne Ritte.

Schulze Thier: Reitkappen, Airbag-Westen und das MIM-System, bei dem Teile des Hindernisses bei bestimmtem Druck nachgeben – die Sicherheitsstandards sind heute viel höher. Das A und O bleibt trotzdem das Vertrauen zwischen Pferd und Reiter. Ein gewisses Risiko bleibt aber immer.

Schulze Bisping: Mittlerweile haben mehr Reiter die Möglichkeit, Vielseitigkeit zu reiten, weil es weniger anstrengend geworden ist.

Was muss ein modernes Vielseitigkeitspferd mitbringen?

Schulze Thier: Wichtig sind Sprungvermögen, Übersicht und die richtige Einstellung, damit ich mich als Reiter sicher fühle. Musst du gegen das Pferd arbeiten, wird‘s schwierig.

Schulze Bisping: Es muss ganz viel Herz haben, dem Reiter auch mal helfen können, wenn man eine Distanz falsch eingeschätzt hat. Das kann heute auch fast jedes Pferd in der Vielseitigkeit schaffen. Vielleicht nicht bei den ganz großen Turnieren, aber es braucht nicht zwingend Vollblüter.

Raguse: Ich würde zwischen ländlichen und internationalen Turnieren unterscheiden. Ländlich kann ich mit fast jedem Warmblut eine Prüfung absolvieren, wenn es darauf trainiert ist. Ein bisschen Vollblut ist aber immer besser für die Kondition. Auf internationaler Ebene brauchen wir einen höheren Blut-Anteil, aber auch da nicht mehr die reinen Blüter, wie es früher bei den langen Prüfungen auf Wegestrecke nötig war.

Wird die Dressur in der Vielseitigkeit unterschätzt?

Raguse: Zu einer vernünftigen Vielseitigkeit gehört die Dressur. Ich kann der beste Springer sein, aber ich komme in der Vielseitigkeit ohne die Dressur nicht weiter. Die Minuspunkte aus der Dressur bekomme ich ja nicht mehr weg, die kann ich maximal halten.

Schulze Bisping: Unterschätzt wird für mich das Gelände. Viele denken, man springt ein bisschen über Bäume und Wasser und das war’s. Das ist aber technisch höchst anspruchsvoll und braucht ein Pferd im Topzustand.

Schulze Thier: Müsste ich wählen, dann steht das Springen etwas im Schatten. Wenn zuvor der Geländeritt absolviert wird, sind die Springen meist für mich persönlich nicht so schwer. Aber ich sehe das Springen auch als meine Stärke.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie die beiden Nachwuchsreiterinnen ihre Chancen in Warendorf einschätzen, was sie von einem 67-Jährigen Reiter lernen können und wie es um die Regularien in der Vielseitigkeit bestellt ist.

Wo sehen Sie beide ihre Stärken?

Schulze Bisping: Dass meine Eltern früh für eine gute Grundlagen- und Dressurausbildung gesorgt haben. Und ich habe nie große Probleme die Harmonie zum Pferd zu finden.

Raguse: Ich freue mich nach der Dressur immer auf Gelände und Springen. Altersbedingt ist die Schwäche nämlich die Dressur. Ich kann nicht mehr so locker und elastisch mitschwingen auf meinem Pferd, wie Jüngere das können.

Und welche Schwächen hat die jüngere Generation?

Schulze Thier: Die Dressur. Mondeo hat nicht die besten Grundgangarten, dadurch muss alles andere immer sehr korrekt sein.

Schulze Bisping: Die Nerven meiner Mama, die sich immer Sorgen macht. Das ist aber schon besser geworden (lacht).

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Sind die Regularien in der Vielseitigkeit aktuell gut, oder gibt es Punkte, die Sie ändern würden?

Raguse: Das ist ganz in Ordnung. Man kann überall seine Minuspunkte bekommen, wobei der Geländeritt schon am meisten zählt.

Schulze Thier: Die Bepunktung ist besonders. Verweigern im Gelände gibt 20 Strafpunkte. Das ist so viel wie fünf Fehler im Springen. Es ist eben so, dass das Gelände eine große Rolle spielt.

Schulze Bisping: Gerade auf ländlichen Turniere könnte es fairer zugehen. Da kann es passieren, dass man plötzlich gegen Olympiareiter oder Bundestrainer antritt, was für junge Reiter auch frustrierend sein kann. Das würde ich trennen.

Die Bundestrainer müssen Sie am Wochenende bewerten, wie sehen Sie die eigenen Chancen in Warendorf?

Schulze Bisping: Sieben Reiter wollen noch einen freien Platz im Sechser-Kader. Ich bin halt der Neuling in der Gruppe, gehöre zu den Jüngsten. Aber ich will zeigen, dass ich alles packe und technisch sicher bin.

Schulze Thier: Es gibt vorab zwei Ausfälle. Ich glaube, acht oder neun Reiter wollen jetzt noch in den Kader. Die Bundestrainer werden einen anspruchsvollen Kurs bauen. Ich hatte erst zwei richtige Vielseitigsturniere in der laufenden Saison, da kann ich zu meinen Chancen wenig sagen.

Johanna und Josephine, der Altersunterschied zu Joachim beträgt mehr als ein halbes Jahrhundert. Was zeigt euch ein 67-jähriger Reiter?

Schulze Thier: An ihm kann man sich ein Beispiel nehmen. Er zeigt, wie vielfältig Reiten ist. Wie mit anderen Reitern auch tauscht man sich auf Turnieren auch mit Joachim aus.

Schulze Bisping: Ich habe Respekt, dass es Leute wie ihn gibt, die das immer noch machen. Und natürlich schaut man auch darauf, wie ein erfahrener Reiter durch die Prüfungen kommt.

Viele Wochenenden im Jahr gehen für Turniere drauf – nehmen sich Sportreiter eigentlich noch die Zeit für einen entspannten Ausritt?

Schulze Bisping: Minimum ein Mal in der Woche. Die Pferde sollen merken, dass man sie zu nichts zwingt. Da ist so was wichtig. Nach der DM in Kreuth durfte sich Abke‘s Boy ein paar Tage auf der Wiese und bei Ausritten erholen.

Schulze Thier: Mit Mondeo auf jeden Fall. Es ist immer gut, wenn das Pferd mal was anderes sieht. Bei Ligges gibt es im Umfeld auch viele gute Wege.

Raguse: Wir fahren seit 25 Jahren jedes Jahr im April ins Emsland für ein langes Wochenende. Hin und wieder buche ich auch einen Reiterurlaub, um mit fremden Pferden durch eine schöne Gegend zu reiten.