„Vielvölker-Gemeinschaft“ marschiert durch die neue Liga

© Nils Foltynowicz

„Vielvölker-Gemeinschaft“ marschiert durch die neue Liga

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Der Routinier einer „Mulitkulti-Truppe“ hat gerade viel zu Lachen. Sein Team marschiert als Aufsteiger durch die Liga und zieht damit viele neue Zuschauer ins Stadion nahe eines sozialen Brennpunktes.

Dortmund

, 16.10.2020, 14:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Es soll ja noch Dinge geben, die in diesen Zeiten ansteckend sein dürfen. Lachen zum Beispiel. Und wenn sich ein im betagten Fußballeralter gelassener, aber für die schönen Seiten des Fußballs sehr empfänglicher Spieler über eine sehr beachtliche Siegesserie äußert, fällt die Freude sehr herzlich aus. Sehr beachtlich ist das Ganze aus sportlicher Sicht deshalb, weil da ein Aufsteiger gerade durch die neue Liga marschiert.

Yahia Mezrhab (37), der schon für einige Klubs im Dortmunder Süden (BSV Schüren, RW Barop, TuS Kruckel) und auch im Lüner Raum kickte, trägt seit einem Jahr wieder das Trikot des VfL Hörde. Er stieg mit ihm aus der B-Liga auf und erlebt aktuell eine Zeit, die in seinem langen Fußballerleben die emotionalste ist.

„So etwas gab es für mich noch nie. Und ich bin ja nun wirklich nicht gerade kurz dabei.“ Mezrhab lacht und lässt erahnen, wie ansteckend sein Lachen auch trotz Sicherheitsabstand unter den Hördern sein dürfte. Nach sechs Siegen in sechs Spielen klingt sie in den Ohren der VfL-Freunde noch schöner.

Schon vor zwei Wochen, als seine Hörder Sarajevo Bosna schlugen, seien 200 Zuschauer im Goystadion gewesen. „Jetzt im Topspiel gegen Eintracht hatten wir bestimmt fast 300, die sich natürlich“, versichert er, „an die Abstände gehalten haben. Da war richtig was los, besonders als unser 1:0-Sieg feststand.“

Der VfL Hörde zieht die Menschen wieder an

Das sind somit auch Zeiten, die jüngere VfL-Mitglieder kaum kennen dürften. Der Traditionsverein lockte lange nicht mehr die Massen an, die vor Jahrzehnten in die alte „Kampfbahn“ geströmt waren. Viele Jahre verloren sich vielleicht ein paar Rentner im altehrwürdigen Goy und sahen sich die Kicks auf Asche an.

Es war nicht der neue Kunstrasen, der laut Vorstandsmitglied Gerd Martinschledde längst kein Alleinstellungsmerkmal ist, sondern es waren die Menschen, die wieder Leben ins Goy brachten. „Wir sind eine Super-Multikulti-Truppe. Ja, wir haben sogar ein paar Deutsche.“

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Wieder dieses Mezrhab-Lachen. „Die ziehen wir hier mit durch. Wir sind doch alle Hörder und haben hier einen Teil unserer Vergangenheit verbracht.“ Spaß beiseite: Einen Julian Koch, Ex-Profi beim BVB, sehen sie immer noch gerne beim Training: „Er hat sogar noch ein paarmal für uns gespielt. Dass er jetzt ab und an mitmacht, bedeutet ja auch, dass es bei uns nicht schlimm ist, sondern eher richtig nett.“

Spiele werden zu Erlebnisse „wie im Stadion“

Hier im Schatten des Clarenbergs mit seiner schwierigen Sozialstruktur lassen sie sich den Spaß nicht verderben. Und der färbt mittlerweile auf eine stimmungsbereite Nachbarschaft ab. So werden Spiele zu Erlebnissen „wie im Stadion. Die haben uns angefeuert und unseren Gegner teilweise ausgepfiffen.“

So lange diese Emotionen im Rahmen bleiben und sich nachher alle vertragen, wie es Mezrhab und die Spieler einer seiner vielen Ex-Vereine, TSC Eintracht, vormachten, hat der Abwehrspieler nichts dagegen einzuwenden.

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Nur kurz hält er inne, wenn er seinen WhatsApp-Status vorliest: „In der heutigen Gesellschaft vergisst der Mensch das Wichtigste – Menschlichkeit.“ Offenbar aber nicht in seinem sportlichen Umfeld: „Ja, darum geht es doch.“

„Ich mag es, wenn Leben in der Bude ist.“

Der Verteidiger sieht lieber das Wesentliche des neuen VfL: „Ich mag es, wenn Leben in der Bude ist und ich dabei auf dem Platz stehen kann. Das beeindruckt mich immer noch aufs Neue und lässt mich nicht routiniert lächeln.“ Nein, Mezrhab mag es lieber herzlich lachend, aber nicht böswillig auf Kosten anderer.

Daher ist er noch mit 37 Jahren Mannschaftssportler. Er fühlt sich in Hörde allgemein, beim VfL spezieller und ganz konkret auf seiner Position sehr wohl. Jetzt schaltet er wieder auf Lachen um. „So oft, wie ich Vereine gewechselt habe, habe ich auch Positionen gewechselt. Ich war auch mal Stürmer. Hinten hilft mir aber jetzt meine Erfahrung.“

Mezrhab hält nichts von Stillstand. „Ich bin froh, dass unser engagiertes Trainerteam uns nach einem Konzept spielen lässt. Wir verteidigen sehr hoch. Und das offenbar nicht schlecht, was nur zwei Gegentore ja wohl zeigen.“ Kern der Hörder Freude ist natürlich auch die Leistung. Und die stimmt beim Durchmarschierer.

„Was soll unsere Vielvölkergemeinschaft noch aufhalten? Wir sind fast nur Siege gewöhnt, haben 2020 noch nicht einmal verloren.“ Neben Eintracht gebe es noch eine Reihe starker Mannschaften, die Hörde gefährlich werden könnten, sagt er. „Dann zeigt sich, wie gefestigt wir sind.“

In der kommenden Woche seien noch „zehn Prozent mehr“ drin

Sogar noch „zehn Prozent mehr“ sind laut Mezrhab die kommenden Wochen drin. Dann hat Farid Damoch seine Sperre abgesessen. „Ein starker Junge.“ Aufmunternde Worte! Mezrhab weiß, dass seine Mitmenschen ihn gerne lachen hören. Ihnen tut aber auch seine Anerkennung gut. „Alle sind wichtig. Wir Spieler, der Platzwart, die Würstchenverkäuferin, wirklich alle!“ So lebt Mezrhab also seine Menschlichkeit aus.

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Auf die Frage, ob das auf alle Lebensbereiche zutrifft, zeigt er dann noch einmal, dass ihn auch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, menschlich macht. „Ja, mein Beruf ist witzig.“ Viele erwarten jetzt einen Job mit viel Reden, vielleicht sogar auf einer Bühne. Trocken seine Erklärung: „Ich bin Zerspannungsmechaniker.“

Frage: „Und das ist auch lustig?“ Antwort: „Ja klar!“ Merzhab lacht herzlich und steckt seinen Zuhörer an. „Bis bald in Hörde“, verabschiedet er sich. Es muss sich also wirklich lohnen – mit ihm und seiner fröhlichen und erfolgreichen Multikulti-Gemeinschaft.

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