Dortmunder Sportler zur Olympia-Verschiebung: Da würden schon Lebensträume platzen

Coronavirus

Sämtliche Sportevents sind abgesagt. Nur Olympia soll wie geplant stattfinden. Doch Athleten können nicht trainieren und keine Wettkämpfe austragen. Das sorgt für Unruhe – auch bei einem Dortmunder.

Dortmund

, 22.03.2020, 20:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Richard Schmidt (3.v.r) gehört seit zwölf Jahren dem Deutschland-Achter an.

Richard Schmidt (3.v.r) gehört seit zwölf Jahren dem Deutschland-Achter an. © picture alliance/dpa

Der 24. Juli ist das Fixdatum, auf das die Sportwelt hinfiebert. An diesem Tag sollen die Olympischen Spiele in Tokio eröffnet worden. So ist zumindest bisher der Plan. Doch die Kritik, an den Spielen festzuhalten, wächst stetig – vor allem, weil sich die Athleten vorher nicht in Wettkämpfen messen können. Andere sind dagegen noch nicht einmal qualifiziert.

Richard Schmidt führt als Hochleistungssportler ein komplett durchstrukturiertes Leben. Aufstehen, trainieren, frühstücken, trainieren, Uni oder Arbeit, Mittagessen, trainieren, Abendbrot, noch ein wenig an seiner Doktorarbeit im Fach Maschinenbau arbeiten und irgendwann todmüde ins Bett fallen.

Seine Frau Miriam und Töchterchen Matilda sehen den Papa in der direkten Olympia-Vorbereitung des Teams Deutschland-Achter eher selten. Trainingslager reiht sich an Trainingslager. Ab Sonntagabend war plötzlich die Lebensordnung dahin. Montagfrüh überstürzte Rückreise von Portugal nach Deutschland. Am Mittwoch hatte der 32-Jährige Zeit für ein längeres Gespräch – mit kleinen Funklöchern.

Richard Schmidt, wo erwischen wir Sie gerade?

Ich gehe mit meinem Töchterchen im Wald spazieren. Wir sollen uns ja nach unserer plötzlichen Abreise aus dem Trainingslager in Portugal locker bewegen, und das erscheint mir jetzt am sinnvollsten (lacht).

Wie haben Sie die vergangenen Tage erlebt?

Innerhalb einer Woche hat sich alles komplett verändert, minütlich gibt es neue Nachrichten. Das ist schon sehr krass. Am Sonntagmittag in Portugal sind wir davon ausgegangen, das Trainingslager dort eher noch zu verlängern, da wir dort sehr abgeschottet vom Geschehen waren. Am Sonntagabend kam dann plötzlich die Ansage, dass nachts um 3, morgens um 6 und um 8 Uhr drei Shuttles zum Flughafen fahren, um uns nach Deutschland auszufliegen. So etwas habe ich noch nie erlebt.

Sie sind auch Athletensprecher der deutschen Ruderer. Wie ist aktuell die Stimmung im Team?

Die Situation ist für uns alle total ungewohnt, sie macht uns natürlich auch unruhig und wirft jede Menge Fragen auf. Aus mehreren Gesprächen habe ich herausgehört, dass manche Sportler verunsichert und teilweise wie paralysiert sind, weil sie nichts machen können. Es sind jetzt alle Weltcups abgesagt worden. Wie sollen sich unsere noch nicht für Tokio qualifizierten Boote wie der Vierer oder der Zweier ohne Steuermann nun qualifizieren? Stand jetzt hätten wir zum Beispiel mit dem Achter im Olympia-Vorlauf unser erstes Rennen der Saison. Wenn es denn überhaupt Olympische Spiele im Sommer gibt.

Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, spielt bei einer möglichen Absage der Spiele von Tokio auf Zeit. Haben Sie dafür Verständnis?

Wir brauchen irgendwann eine Entscheidung, weil ja alle Sportler weltweit, die sich vier Jahre lang für Olympia gequält und auf vieles verzichtet haben, faire Wettkämpfe wollen. Dazu gehören auch nachvollziehbare Qualifikationen. Derzeit arbeiten wir noch auf den Ursprungstermin 24. Juli hin. Die Lage muss natürlich täglich neu bewertet werden, deshalb sind Vorhersagen oder Prognosen schwierig.

Richard Schmidt ist Olympiasieger und Weltmeister.

Richard Schmidt ist Olympiasieger und Weltmeister. © Merijn Soeters

Könnten Sie im Fall der Fälle mit einer Olympia-Verlegung leben?

Ich gehöre, wie unser Steuermann Martin Sauer (37), ja zu den älteren Semestern im Boot. Eine Verlegung der Spiele um ein paar Monate wäre sicher kein Problem, eine Verlegung um ein Jahr schon eher. Zwei Jahre würden nicht funktionieren, denn wir müssen uns langsam auch um unser Leben nach dem Sport kümmern, um die Familie, den Beruf. Da würden schon sportliche Lebensträume platzen, so viel ist sicher. Eines ist mir in diesem Zusammenhang aber wichtig zu erwähnen...

Und das wäre?

Wenn ich hier jetzt von unseren Problemen spreche, möchte ich uns Sportler auf keinen Fall in den Vordergrund spielen. Probleme haben Menschen, die krank sind oder jetzt um ihren Arbeitsplatz bangen. Es ist am Ende nur Sport, den wir machen, auch wenn wir so viel dafür opfern.

Der Psychologe Andreas Kappes hat in Zusammenhang mit der Corona-Krise davon gesprochen, dass Profisportler durch langjährige Selektionsprozesse ein besonders starkes Gefühl der Unverwundbarkeit hätten und daher Krisen anders wahrnehmen und daher vom psychologischen Profil ein Alptraum für Epidemiologen seien.

(überlegt länger) Profisportler haben immer Ziele oder größere Aufgaben vor sich, stehen deshalb häufig unter Anspannung. Wir haben häufiger im Jahr Anspannungs- und Entspannungsphasen. Außerdem sind wir in der Regel sehr gut organisiert und strukturiert. Das hilft uns vielleicht, manche Dinge mit etwas mehr Gelassenheit anzugehen. Ich bezweifle aber, dass wir Sportler deswegen leichtfertiger mit Krisen umgehen. Wir nehmen nichts auf die leichte Schulter.

Sie haben jetzt ununterbrochen seit 2008 einen Rollsitz im deutschen Prestigeboot, haben Olympia-Gold und -Silber gewonnen und arbeiten auf Ihre vierten Spiele hin. Was treibt Sie noch an?

Olympia ist das Größte, was es für einen Sportler gibt. Wir haben mit den Briten, die uns in Rio Gold weggeschnappt haben, noch eine Rechnung offen. Gold zum Abschluss meiner Laufbahn, das wäre der Wahnsinn.

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