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Ukrainisch-russisches Ehepaar Vladimir und Olivia Brandt: „Müssen Menschen wachrütteln“
Ukraine-Konflikt
Vladimir Brandt ist Ukrainer, seine Frau Russin. Die Davensberger sorgen sich über ihre Verwandten in der Ukraine und warnen davor, „Putins Krieg hier in Deutschland weiterzuführen“.
„Ich stehe jede Nacht zwei- bis drei Mal auf und gucke Nachrichten“, so Vladimir Brandt (46). Der gebürtige Ukrainer lebt gemeinsam mit Ehefrau Olivia (41), einer gebürtigen Russin und den drei gemeinsamen Söhnen Alexander (15), Maxim (12) und Philipp (10) seit gut sieben Jahren in Davensberg.
Kennengelernt haben sich der Ingenieur und die Heilerziehungspflegerin bei einer Silvesterparty in Essen, wo Olivia gemeinsam mit ihrer Familie gelebt hat. „Ich habe in der Ukraine Lehramt für Biologie und Chemie studiert; das wurde leider in Deutschland nicht anerkannt. Für ein neues Studium bin ich dann damals von Düsseldorf nach Essen gezogen“, erzählt Vladimir.
Während Olivias komplette Familie seit 1994 in Deutschland lebt, hat Vladimir, der 1998 nach Deutschland kam, noch seine 96-jährige Oma und eine Tante in der Ukraine in der Stadt Shitomir (Schytomyr). Genau in dieser Stadt ist aus purem Zufall ein LKW mit Hilfsgütern angekommen, der in Drensteinfurt von der Mirjam Kirchengemeinde beladen wurde. Hier hat auch Olivia mitgeholfen, Spenden zu sortieren und einzupacken. „Ich weiß, dass es echt egal ist, wo die Hilfe ankommt“, erzählt Olivia. „Aber dass es zufälligerweise die Stadt ist, in der unsere Verwandten leben, überwältigt mich.“
Oma und Tante bleiben in der Wohnung und „hoffen einfach das Beste“
Das Ehepaar ist mit der momentanen Situation überfordert und sorgt sich sehr. „Meine Oma kann bei einem Luftangriff nicht in den Keller; das schafft sie nicht mehr. Also bleiben Oma und Tante in der Wohnung und hoffen einfach das Beste.“
In ihrem Umfeld spürt die Familie keinerlei Unfrieden oder Misstrauen. „Wir fühlen uns sehr wohl hier und gut aufgenommen“, sagt Olivia. „Ich bin sicher, dass den Menschen das hier egal ist, wo wir herkommen.“ Auch die drei Jungs sind bereits fest in der Gemeinde verwurzelt und haben viele Freunde, wie Sohn Alexander bestätigt.
Politische Diskussionen sind seit Beginn des Krieges in der Familie an der Tagesordnung. „Eigentlich sind Russen und Ukrainer Brüder und Freunde. Fast jeder Ukrainer spricht russisch. Putin hat Angst, dass sich der Westen und somit Europa immer weiter Richtung Russland ausdehnt; das will er mit allen Mitteln verhindern. Er will sich seine russische Welt erschaffen. Er möchte nicht, dass sich die Ukraine westlich orientiert.“
Die Brandts haben keine Bedenken, ihre Meinung zu äußern
Beide haben keine Angst oder Bedenken, ihre Meinung öffentlich zu äußern. „Ich bin froh, dass ich mich, zumindest immer, wenn ich Zeit habe, in der Hilfe für die Ukraine mit einbringen kann. Das lenkt ab, man hat das Gefühl, man tut etwas Sinnvolles. Das trägt mich grad durch diese schwere Zeit“, sagt Olivia. „Vladimir nimmt das alles sehr mit; er zeigt das nur nicht nach außen.“ Die Mutter von Olivia ist entsetzt, dass scheinbar alle Russen auf einmal über einen Kamm geschoren werden.
„Putin bombardiert friedliche Bewohner, in der Hoffnung, dass das Regime einknickt“, so Vladimir. „Ich mache mir viel Gedanken und habe Angst, dass wie in Syrien als Nächstes Brandbomben fallen und dann Giftgas eingesetzt wird.“
Zu Beginn des Ukraine-Konfliktes im Jahr 2014 hat sich das Ehepaar von ihren besten Freunden, einem russischen Pärchen, „getrennt“. „Damals war das die einzige Lösung, da funktionierte die russische Propaganda noch. Das hat sich inzwischen geändert. Aber noch nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen.“
Olivia Brandt wünscht sich, dass „ein Zeichen gegen Krieg gesetzt wird“
Vladimir und Olivia sind froh in einem Ort mit dörflicher Struktur zu wohnen, in dem ihre Söhne sicher aufwachsen können. Im Haushalt lebt die Familie gemeinsam mit zwei Hunden und zwei Katzen, sowie zahlreichen Igeln. „Wir sind aktiv in der Igelhilfe hier im Ort tätig und kümmern uns seit Jahren um kranke verletzte und unterernährte Tiere, die wir dann nach dem Winterschlaf wieder in die Freiheit entlassen“, erzählt Olivia.
„Wenn ich im Radio höre, dass ein russisches Ehepaar in einem Lokal nicht bedient wird, da spitzt sich der Konflikt von der falschen Seite zu. Die Menschen, die sich hier mit den Kriegsopfern verbunden fühlen, sollen sich bitte engagieren. Wenn das jeder von uns so hinkriegen würde, einfach mal zu reflektieren und zu sagen, ‘Ja, Krieg ist scheiße, ich will ein Zeichen gegen Krieg und diese Ungerechtigkeit setzen‘, wäre schon viel gewonnen. Es darf doch nicht sein, dass wir Putins Krieg hier in Deutschland weiterführen. Wir müssen die Menschen wachrütteln. Hass muss gestoppt werden und wir müssen das Miteinander pflegen.“
Seit fast 30 Jahren ist Herbern nun unser Zuhause und seit gut vier Jahren darf ich über meinen zweiten Herzensort berichten. Ich habe einen großartigen Job als freie Mitarbeiterin, der den eigenen Horizont um ein Vielfaches erweitert.
