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Hermann Lütke Wissing denkt bei russischen Angriffen an seine Kindheit
Krieg
In Hermann Lütke Wissing kommen viele Erinnerung an seine Kindheit in Nienborg hoch, wenn er die russischen Angriffe auf Städte in der Ukraine sieht. Uns hat er erzählt, was es damit auf sich hat.
Wenn Hermann Lütke Wissing die Nachrichten über die russischen Angriffe auf Städte in der Ukraine sieht, muss er an seine eigene Kindheit denken. Als Siebenjähriger erlebte er, wie in der Endphase des Zweiten Weltkriegs englische Kampfflugzeuge über Nienborg hinwegdonnerten und niemand wusste, wo sie ihre tödliche Fracht abwerfen würden.
Wohl so um die 50-Mal sei der Luftalarm ausgelöst worden, schätzt Lütke Wissing. Da es in Nienborg nur drei oder vier „echte“ Luftschutzbunker gegeben habe, seien er und seine Familie dann immer in den eigenen Keller unter der ehemaligen Schankwirtschaft an der Hauptstraße hinabgestiegen.
Die Sirenen heulen los
Dessen Decke war mit Holzpfeilern verstärkt worden – in der Hoffnung, dass sie so einem möglichen Treffer besser standhalten würde. So weit ist es zum Glück nie gekommen, nur ein Haus wurde am Karfreitag 1945 zerstört.
Jung wie er damals noch war habe er die Situation gar nicht so bedrohlich empfunden, sagt Hermann Lütke Wenning in der Rückschau. Jedes Mal, wenn die Sirenen losheulten, stieg er mit seinen Eltern, der Oma, seinen Schwestern, einer weiteren Familie mit Kindern und zwei französischen Kriegsgefangenen, die im Haus seiner Eltern untergebracht waren, in den Keller hinab.
„Meine jüngere Schwester Elfriede nahm immer ihre Puppe mit, meine ältere Schwester Änne ein Buch mit Geschichten. Daraus las sie dann immer vor, wenn die Erwachsenen beim Rosenkranzbeten eine Pause machten“, weiß Lütke Wenning noch. Mit dabei war auch immer der kleine Hund der Familie, der auf dem Schoß des kleinen Hermann darauf warten durfte, dass nach meist vier bis fünf Stunden Entwarnung kam und alle wieder nach oben durften.
In seinen bereits im Mai 1945 verfassten Aufzeichnungen schilderte Vikar Theodor Strotmann die letzten Kriegsmonate in Nienborg so: „Tausend, Zehntausend von Bombern flogen bei Tag und Nacht ohne Rücksicht auf Witterung über unser stilles Dorf. (...) Bei Tag und Nacht hörte man das Donnern der Geschütze. (...) Mitunter war es nicht möglich ohne Lebensgefahr den kurzen Weg zur Nachbarpfarre Heek zurückzulegen.“
Englänger rücken heran
Am Karfreitag, der 1945 auf den 30. März fiel, kam die Nachricht, dass die Engländer von Ahaus aus heranrücken. „Da wurden an vielen Häusern weiße Flaggen gehisst“, schrieb Vikar Strotmann wenige Tage später auf. „Durchziehende SS-Soldaten waren darüber so empört, dass es fast zu Tätlichkeiten gekommen wäre und dass man drohte, ganz Nienborg in Brand zu stecken.“
Am Samstagmorgen kam ein weiterer Trupp deutscher Soldaten ins Dorf, „die sich sehr herausfordernd und rücksichtslos gegen die Bevölkerung benahmen und erklärten, Nienborg würde verteidigt und wenn auch das ganze Dorf draufginge.“
Auf diese Ankündigung hin hätten viele Familien „mit Tränen in den Augen“ ihre Habseligkeiten auf Karren und Bollerwagen gepackt und sich auf umliegenden Bauernhöfen in Sicherheit gebracht. Auch die von Hermann Lütke Wissing floh in eine Hütte in der Ammert.
Zu den befürchteten Kämpfen kam es dann aber doch nicht – in den Aufzeichnungen von Vikar Strotmann ist das zwar nicht festgehalten, aber Hermann Lütke Wissing hat später gehört, dass ein deutscher Offizier von einem seiner eigenen Soldaten erschossen worden sei, der damit ein sinnloses Gemetzel verhinderte.
Weiße Fahnen aufgehängt
Stattdessen konnten die Nienborger nun weiße Fahnen an ihre Häuser und sogar den Kirchturm hängen und die Panzersperren an der Dinkelbrücke öffnen.
Am Vormittag rückten die englischen Panzer ins Dorf ein, ohne irgendwelche Schäden anzurichten. Kurz darauf erreichte Hermann Lütke Wissing und seine Familie in ihrer Hütte die Nachricht, dass die Bewohner wieder in ihr Dorf zurückkehren können.
„Bei allen war die Erleichterung groß, dass der Krieg für uns nun zu Ende war“, kann sich der Nienborger erinnern – wenngleich er für viele noch weitere fünf Wochen andauern sollte.