30.000 Eichen für Lager gefällt: So haben die Römer in Haltern gebaut
LWL-Römermuseum
Mit welchem Werkzeug haben die Römer gebaut und finden wir noch heute Reste der antiken Architektur. Museumsleiter Josef Mühlenbrock gibt alle Antworten im Interview.

Die Römer waren lange in Haltern und haben hier auch gebaut. Was davon noch übrig ist und wie man die Bauwerke rekonstruiert. © PRAHL-RECKE
Wer Rom in Westfalen erleben will, muss sich ab dem 25. März aufmachen ins Römermuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Haltern am See. Im Rahmen der Sonderausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ können die Besucher beim Bau eines römischen Wachhauses selbst Hand anlegen.
Museumsleiter Josef Mühlenbrock will die Römerbaustelle Aliso mit frischen Funden und neuem Gebäude in die Zukunft führen. Im Interview erzählt er, wie sich die Römer im ehemaligen Militärlager Aliso häuslich niederließen und warum heutige Handwerker zwar einiges besser machen würden, es beim Bau des neuen Wachhauses aber nicht durften.
Herr Mühlenbrock, was ist von der römischen Baukunst in Haltern heute noch zu sehen?
Das LWL-Römermuseum ist Museum und Fundort in einem. Noch heute finden auf dem Gelände nahe der Römerbaustelle Aliso regelmäßig Ausgrabungen statt. Hier stoßen Archäologinnen und Archäologen immer wieder auf neue spannende Entdeckungen, die meist gar nicht vorherzusehen sind.
So war es beim Westtor mit seiner 156 Meter langen Holz-Erde-Mauer, das wir nach intensiven Studien 1:1, also am Original-Standort und in römischer Bauweise, rekonstruieren konnten. Dasselbe haben wir auch bei unserem neuen römischen Wachhaus umgesetzt. Hier ist ab Sommer der deutschlandweit erste Römer-Escape-Room untergebracht – mit Nachbauten römischer Möbel und Ausrüstungsgegenstände.

Das neue, alte Wachhaus von Haltern. Bei vielen Details ist man dem römischen Original treu geblieben, auch wenn es dadurch schief wurde. © LWL/ J. Mühlenbrock
Welche Funktion hatte dieses Wachhaus vor 2.000 Jahren?
Das Wachhaus lag direkt neben dem Westtor. Dort befand sich eine zehn bis 15 Meter breite Straße, die Via Sagularis. Sie führte innen an der Umwehrung entlang. Die Römer hatten sie bewusst nicht bebaut, damit die Truppen schnell auf der Mauer waren, um das Lager zu verteidigen. Diesen Gebäudetypus findet man außer in Westfalen nirgendwo im Imperium Romanum.
Wir vermuten, dass es sich um ein Wachhaus handelte, von wo die Nachtwache schnell auf die Mauer gelangen konnte. Wahrscheinlich gab es hier Schlafplätze, einen kleinen Raum deuten wir als Schreibstube für den wachhabenden Offizier.
Was kann man über die römische Baukunst in Haltern sagen?
Die Römer waren pragmatisch. Alles, was sie vorfanden, haben sie auch genutzt und dabei Ideen aus der Heimat weiterentwickelt. Anfangs haben die Römer im Marschlager in Lederzelten gewohnt. Die Zelte haben sie selbst mitgeschleppt. Alles war bis ins Kleinste organisiert.
Einige Jahre später entschieden sie sich, nicht mehr nur auf Sommerfeldzüge zu gehen. Das Gebiet sollte dauerhaft gesichert sein. Man wollte auch mal im Winter bleiben. Feste Gebäude mussten her. Und schon hat man das, was man aus Rom, Pompeji oder Herculaneum kennt, mit Holz hier in Westfalen nachgebaut.
Inwiefern erinnert Haltern an die römischen Städte?
Wir haben im Hauptlager von Haltern tatsächlich einige Gebäudegrundrisse gefunden, die an römische Villen erinnern, wie man sie aus der Region um den Vesuv in Mittelitalien kennt. Also Legaten- oder Zenturionenhäuser zum Teil zweistöckig, mit einem riesigen Atrium oder Peristyl, einem rechteckigen Hof, umgeben von Säulenhallen, und Gartenanlagen.
Sie waren für höhere Offiziere bestimmt, die auch in Westfalen luxuriös leben wollten. Die Masse der Legionäre hauste in einfachen Holzbaracken. Auch unser Wachhaus hat übrigens eine Porticus, eine vorgelegene Säulenhalle, die vor Regen schützte. Ähnliches kennt man auch aus der griechischen und römischen Architektur.
Wie haben es die Römer geschafft, diese Häuser in Westfalen zu bauen?
Eine Legion von 5000 bis 6000 Mann ist beim Hausbau nicht auf fremde Unterstützung angewiesen. Jeder römische Legionär war zugleich Handwerker. Das gehörte dazu: Er musste nicht nur kämpfen, sondern bei weitreichenden Feldzügen auch Lager bauen. Wenn es um Spezialfertigkeiten ging, wie Metallhandwerk, Leder- oder Bleiverarbeitung, gab es eine Art Ausbildung.
Wie haben die Römer das Wachhaus gebaut?
Man glaubt es kaum: Mit einfachen Kombi-Werkzeugen, die wir auch in unserer Sonderausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ zeigen. Die „Dolabra“ zum Beispiel hat an zwei Enden unterschiedliche Funktionen. Als typische Pionier-Axt verfügt sie auf der einen Seite über ein Beil, um Holz zu hacken, und auf der anderen Seite über eine Picke, mit der man Sand oder Erde lockern kann.
Natürlich war es aufwendig, nur mit diesen Werkzeugen aus Baumstämmen ein ganzes Holzgerüst zu bauen, aber die Römer haben es sich auch leicht gemacht: Sie haben die Pfosten in den Boden gesetzt, Weideruten dazwischen gespannt und das Ganze mit Lehm verputzt. Die Materialien kamen aus der Umgebung: Für die Anlage eines festen Standlagers mussten nach unseren Berechnungen bis zu 30.000 Eichen gefällt werden. Für das Wachhaus waren es deutlich weniger, nämlich 15 Kubikmeter Eiche und 2,5 Kubikmeter Lärche für die Dachschindeln.
Gab es in Haltern auch Gebäude aus Stein?
Hier haben die Römer ausschließlich mit der Fachwerk-Technik gebaut. Im Gegensatz zu Köln, Mainz oder Xanten ist es bei uns nie zu dem Punkt gekommen, wo man nach der militärischen Besatzungszeit dazu übergegangen ist, die Gebäude in Stein zu ersetzen.
Wegen der Varusschlacht und ihrer Folgen sind die Römer in Westfalen quasi in der Holz-Phase steckengeblieben. Das ist für die Wissenschaft von Vorteil. In den Römerlagern entlang der Lippe haben wir nur diesen einen Grabungshorizont. Während die Strukturen der ersten Besiedlungsphase in Xanten oder Köln tief unter der späteren Stadt liegen, sind sie bei uns leichter sichtbar.
Was gibt es zu beachten, wenn man römische Bauten heute rekonstruiert?
Im Grunde hatten die Römer uns aus der Not heraus einiges voraus. Lehm isoliert gut. Unser Escape-Room soll auch im Winter bespielt werden und das ist mit der 20 Zentimeter dicken Lehmschicht ohne Probleme möglich. Auch der Kalkanstrich schützt gut vor Nässe. Die Schwachstelle solcher Fachwerk-Bauten allerdings ist der Punkt, wo der Pfosten in den Boden eintritt.
Sobald Holz mit Wasser in Berührung kommt, beginnt es zu faulen und das ganze Haus wird instabil. An dieser Stelle mussten wir von der römischen Bauart abweichen. Punktfundamente aus Beton und ein Stahlstift verhindern den Kontakt des Holzes mit dem Erdreich. Wir können unsere Bauten nicht, wie die Römer, alle paar Jahre erneuern. Unvorstellbar, dass sie das Westtor und auch das Osttor ein zweites Mal komplett neu aufgebaut haben. Aber sie hatten tatsächlich genug Manpower.
Wo wir den „Fehlern“ der Römer allerdings treu geblieben sind, ist der Grundriss. Unsere Archäologinnen und Archäologen konnten ihn Pfosten für Pfosten anhand von Verfärbungen im Boden rekonstruieren. Von diesem Grundriss waren unsere modernen Bauhandwerker wenig begeistert. Eigentlich denkt man, die Römer sind dank ihrer Messinstrumente sehr genau, konnten ohne weiteres rechte Winkel messen. Das Wachhaus in Haltern aber ist krumm und schief. Keine Wand steht zur anderen in einem 90-Grad-Winkel, eine macht regelrecht einen Knick. Wir wollten nichts beschönigen und haben den Grundriss deshalb 1:1 übernommen.
Wie sieht die Römerbaustelle in der Zukunft aus?
Haltern ist wie eine große Wundertüte. Wir wissen nie, was wir als Nächstes ausgraben, aber das, was wir finden, wollen wir, wenn möglich, rekonstruieren. Bei einer Grabung am Wachhaus haben LWL-Archäologen vor einigen Jahren die Spuren eines Wasserturmes entdeckt. Wahrscheinlich wurde er über Holz- oder Bleileitungen mit Wasser versorgt, vielleicht über ein Aquädukt. Hier sollen weitere Ausgrabungen und Forschungen dem Verlauf, der Konstruktion und der möglichen Quelle der Wasserversorgung auf den Grund gehen.