Prof. Dr. Michael M. Rind ist seit 2009 Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen und damit der Landesarchäologe in Westfalen.

© Antje Bücker

Landesarchäologe: „Römer lebten in Haltern wie auf einer Insel“

rnInterview mit Prof. Dr. Rind

Das Römische Reich vor 2.000 Jahren hat viele sichtbare Spuren im heutigen Westfalen hinterlassen. Spektakuläre Neufunde werden ab dem 25. März im LWL-Römermuseum zu sehen sein.

Haltern

, 13.03.2022, 10:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Der Chefarchäologe des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Prof. Dr. Michael M. Rind, hat eine spezielle Abteilung für provinzialrömische Archäologie. Hier sind Archäologinnen und Archäologen seit Jahrzehnten ausschließlich auf der Suche nach Spuren aus der Römerzeit. Kurz vor Eröffnung der Landesausstellung NRW „Roms fließende Grenzen“, bei der Gäste „Rom in Westfalen 2.0“ erleben, beantwortet Michael M. Rind Fragen.

Warum sind die Römer überhaupt nach Westfalen gekommen?

Kaiser Augustus, der erste römische Kaiser und Erbe von Julius Caesar, wollte das römische Imperium erweitern. Den Rhein sah er nicht als naturgegebene Grenze des Reiches an. Durch die Überfälle germanischer Stämme auf römisches Territorium steckte bereits einiges an militärischem Konfliktpotential in diesem Raum. Das hat seine - ohnehin vorhandenen - Absichten zu einem großräumigen Eroberungskrieg nur bestärkt, nicht aber allein ausgelöst. Gebietserweiterung war Teil des römischen Selbstverständnisses frei nach der augusteischen Vorstellung „imperium sine fine“, zu deutsch „Imperium ohne Grenzen“. Nur eine natürliche Grenze wurde als solche akzeptiert.

Wie prägt der Aufenthalt der Römer das Leben der Westfalen bis heute?

Die Römer sind nicht nur Eroberer, sondern auch Kulturträger: Erschließung, Wasserversorgung, Organisation, Recht, Schrift, Hygiene - in vielem waren sie Vorreiter. Die ersten Straßen zum Beispiel bauten die Römer.

Welche Bedeutung hat die Ernennung des Niedergermanischen Limes zum UNESCO-Weltkulturerbe für Westfalen?

Die Anerkennung des Niedergermanischen Limes als römische Grenzanlage im Rheinland ist nicht nur für Deutschland, sondern sogar für Europa bedeutend.

Erst die Tatsache, dass die Invasion Roms in Westfalen so schiefging, hat den Rhein zur Grenze des Imperium Romanum gemacht. Damit wird dem Standort Haltern am See und der Landesausstellung „Rom in Westfalen 2.0“, die ab 25. März im LWL-Römermuseum zu erleben ist, eine besondere Stellung zuteil. Sie bildet den Prolog zum übergeordneten Thema und die historische Voraussetzung für die Aufnahme des Niedergermanischen Limes in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten im vergangenen Jahr. Die Hinterlassenschaften der Römer und die wissenschaftlichen Ergebnisse der LWL-Archäologie sind insbesondere im LWL-Römermuseum in Haltern am See mit unterschiedlichen Schwerpunkten präsentiert.

Wie hat man sich das Leben im Militärlager Haltern vorzustellen?

Man muss sich das Leben in Haltern und den anderen westfälischen Römerlagern wie auf einer Insel vorstellen, auf der sich die Römer, soweit es ging, heimisch einrichteten. Die Versorgung war gut und lief fast ausschließlich über Importe aus dem römischen Imperium. In der Heimat wurde alles bestellt, was vor Ort nicht hergestellt werden konnte: Lebensmittel - die Römer verzichteten ungern auf Gewohntes -, hochwertige Keramik, Glas, Totenbetten. Im LWL-Römermuseum ist sogar eine Schreibtafel mit Inschrift zu sehen, darauf: die Adresse eines Weinhändlers aus Gallien, quasi ein Lieferschein.

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Im Alltag erledigten die Soldaten routinemäßig ihren täglichen Dienst. Dazu gehörten Wache schieben, Exerzieren, Verwaltungsaufgaben, Nachrichtendienst und Transporte. Einige waren als Handwerker freigestellt, arbeiteten als Zimmerer, Tischler, Schuster oder Schmied. Vom Eisennagel bis zur Zimmertür wurde vieles im Lager in Eigenregie hergestellt.

Ist das Ende der Ausgrabungen nun in Sicht?

Nein, noch lange nicht. Die Entdeckungen unserer Archäologen gerade in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass auch nach Jahrzehnten archäologischer Forschung mit immer wieder neuen Erkenntnissen zu rechnen ist. Viele Entdeckungen sind Zufallsbefunde. Zur Archäologie gehört sicherlich immer auch ein Quentchen Glück, aber natürlich profitieren auch wir vom technischen Fortschritt. Immer neue Herangehensweisen - insbesondere sogenannte nichtinvasive Prospektionsmethoden wie Airborne Laserscanning, Magnetometer- und Radarmessungen liefern uns völlig neue Einblicke. Es bleibt spannend - nicht nur in Haltern am See.

Auf dem Feldzug mit den Römern

Mit der Sonderausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ erhält das LWL-Römermuseum in Haltern am See ein Update. Vom 25. März 2022 bis zum 30. Oktober 2022 ist sie als Teil der Archäologischen Landesausstellung „Roms fließende Grenzen“ zu sehen. Die Sonderausstellung zeigt den Prolog zur Entstehung des Niedergermanischen Limes. Die Besucher begeben sich auf einen Feldzug der Römer und schlüpfen dazu in verschiedene Rollen, wie die eines Pioniers. Aktuelle Funde, wie ein Legionärsdolch mit Gürtel und zwei Römerhelme, werden erstmals ausgestellt. Auf der Römerbaustelle Aliso entsteht ein neues „römisches“ Wachhaus. Hier gibt es für die Besucher:innen antike Bautechniken als „Work-in-Process“ zu entdecken. Ab Mitte des Jahres erleben sie die letzten Stunden des römischen Militärlagers im deutschlandweit ersten „Römer-Escape-Room“.
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